Wenn du zur Feuerwehr willst, wäre es gut, wenn du deinen eigenen Egoismus in den Griff bekommst - rät Steffen Neubert allen, die mit diesem klassischen Traumberuf liebäugeln. Der Hallenser Berufsfeuerwehrmann spricht über seinen Alltag bei Notfalleinsätzen, über andauernde Personalnot, Unterbezahlung und Überstunden sowie über seine Wahrnehmung von wachsender sozialer Not in Halle.
Du fährst bei strömenden Regen auf der Autobahn mit vernünftigen 130km/h. Nach nur wenigen Kilometern wird eine Baustelle angekündigt. Du gehst vom Gas und rollst in die Tempo-60-Zone. Der LKW, den du gerade überholt hattest, zieht rechts vorbei, bevor er hinter einem kleinen PKW zum Bremsen gezwungen wird. Es wird eng – jede Menge weiterer LKW´s drängeln sich auf der rechten und PKW´s parallel auf der linken Spur. Warnblinker geben den Takt an. Und plötzlich geht alles ganz schnell...
Alle Bremslichter ringsum leuchten auf und nur mit Not kommst du zum Stehen, dann ein fürchterlicher Krach. Reifen quietschen, Blech und Eisen verformen, Glas splittert, Menschen schreien. Für einen Moment ist es ganz still. Dein Herz beginnt zu rasen deine Hände und Beine zu zittern. Du greifst zum Handy und versuchst während der Klingelton läuft zu überlegen, wo genau du gerade bist. HILFE
Ich sitze auf der Wache und unterrichte meine Kollegen im Thema Rettungsdienst. Dann geht das Alarmlicht an und durch die Lautsprecher erfahren wir von einem Verkehrsunfall auf der Autobahn. Nun soll alles ganz schnell gehen: Zum Fahrzeug eilen, in die Sachen springen, die Fahrzeuge starten und los. Mit Blaulicht und Sirene kämpfen wir uns durch die volle Stadt. Kinder am Rande winken uns zu und wir winken zurück. Auf der Autobahn angekommen, fehlt wie so oft die Rettungsgasse - alle viel zu dicht aufgefahren und keiner kann richtig Platz machen. Wir kämpfen uns Stück für Stück vorwärts und kommen nur langsam an die Unfallstelle. Splitterteile liegen auf der Fahrbahn und Menschen bewegen sich sehr aufgeregt zwischen den Fahrzeugen. Es riecht nach Benzin und in der Luft ist der Rettungshubschrauber zu hören.
"Wie viele Verletzte? Wie viele beteiligte Fahrzeuge? Wo befinden sich versteckte Gefahren?"
Ich gebe Vorbefehle und versuche mir eine erste Übersicht zu verschaffen. Die vielen schnellen Entscheidungen, auf die es jetzt ankommt: Wo das Fahrzeug abstellen? Kommt es gleich zum Brand oder konzentrieren wir uns auf das Öffnen der zerstörten Fahrzeuge? Reden wir mit einem Unfallzeugen oder nicht? Wir steigen aus und versuchen im Chaos das Wesentliche zu erfassen: Wie viele Verletzte? Wie viele beteiligte Fahrzeuge? Wo befinden sich versteckte Gefahren? Ladung der LKW´s, Verletzungen der Beteiligten, Tiere, brennbare Flüssigkeiten…. ?
Kurz durchatmen und dann Anweisungen geben. Absprachen mit Notarzt, Rettungsdienst und Polizei sowie Rücksprache mit der Leitstelle führen. Jeder Handgriff muss sitzen, denn manche Verletzungen sind so ernst, dass nur im Krankenhaus der Tod noch verhindert werden kann.
Das andersfarbige Blech des kleinen PKW ist nur schwer zwischen den LKW´s zu erkennen. Mit Schere und Spreizer werden erst kleine, dann immer größere Öffnungen geschaffen. Zwischendurch gibt es für die Eingeklemmten erste Untersuchungen und Behandlungen durch die Mediziner. Nach und nach können wir die vier Belgier befreien. Sie waren auf dem Weg in den Urlaub. Die Verständigung ist durch Verletzungen und die fremde Sprache schwierig – es geht nur über Englisch. Sofort werden alle medizinisch versorgt und in die umliegenden Krankenhäuser gebracht.
"20 Minuten sind vergangen, bis alle Verletzten geborgen und versorgt sind."
Der LKW-Fahrer vom letzten Fahrzeug ist im Fußbereich eingeklemmt und kann nicht mehr selbst aussteigen. Es bereitet uns Mühe unsere schwere Technik in Überkopfhöhe zu nutzen. Nach dem wir mit hydraulischer Kraft den Raum genug vergrößert haben, kann er eigenständig herunterklettern. Der Rettungsdienst kann ihn übernehmen und wir sprechen weitere Arbeiten mit der Polizei ab. 20 Minuten sind vergangen, bis alle Verletzten geborgen und versorgt sind. Zurück auf der Wache beginnt das Aufräumen der Technik und die Pflege der Bekleidung...
Als ich mich bei der Feuerwehr 1995 beworben hatte, reichte ein handwerklicher Beruf als Voraussetzung. Heute nehmen wir nur noch Menschen mit abgeschlossener Rettungsdienstausbildung und LKW-Führerschein. Fertige Feuerwehrleute gibt es nicht und die nötigen Ausbildungen sind teuer. Ich bin froh, dass ich damals das alles von der Stadt noch bezahlt bekommen habe.
Für die vielen Aufgaben der Feuerwehr existieren verschiedene Planstellen mit entsprechenden Vergütungen. In den besser bezahlten Stellen klaffen Lücken, die von den schlechter bezahlten Kollegen mit erledigt werden müssen. Solche Zustände schleppen sich seit vielen Jahren dahin. Ein neues Bundesgesetz erfordert seit drei Jahren von Kollegen im medizinischen Bereich eine Erweiterung im Berufsabschluss. Eine finanzielle Vergütung dieses Extraabschlusses fehlt bis heute.
"Vor vielen Jahren wurde die zulässige Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt. Noch immer arbeiten viele Kollegen bis zu 56 Stunden pro Woche."
Eine Schicht dauert 24 Stunden. Praktisch sind es 25, da in der Wechselzeit beide Mannschaften anwesend sein müssen, was den Arbeitgeber rechnerisch nicht interessiert. Vor vielen Jahren wurde die zulässige Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt. Noch immer arbeiten viele Kollegen bis zu 56 Stunden pro Woche auf Grund von Personalmangel. Wichtige Termine mit deiner Familie können jederzeit platzen und Du musst einspringen. Denn die Einsatzleitstelle, Fahrzeuge des Rettungsdienstes und der Feuerwehr müssen besetzt sein. Manche Kollegen haben schon zur Jahreshälfte bis zu zehn gestrichene freie Tage. Das sorgt für Unmut in den Familien. Die Probleme ließen sich weiter fortführen. Ob Personal, Fahrzeugtechnik, Ausbildungsmaterialien oder Bekleidung, die Finanzknappheit der Stadt Halle ist täglich zu spüren. Hinzu kommt nun der allgemeine Nachwuchsmangel.
"Kann man im Beruf des Feuerwehrmannes die soziale Veränderung unserer Gesellschaft deutlicher spüren als anderswo?"
Doch all das ist nichts gegen die psychische Last, die sich im Laufe der Jahre aufbaut. Kann man im Beruf des Feuerwehrmannes die soziale Veränderung unserer Gesellschaft deutlicher spüren als anderswo? Als Feuerwehrmann und Rettungsdienstler kommst du den Bürgern sehr nahe, auch in den privatesten Bereichen. Und Du erlebst sie fast immer in Ausnahmezuständen. Du beschäftigst dich vorwiegend mit Kranken, Schwachen und Süchtigen. Du erlebst Reiche sowie Arme. In einem erschreckenden Ausmaß macht sich große Armut in unserer Stadt breit, während auf anderer Seite Betriebe, Handelsketten, Konzerne immer mächtiger werden. Und das Schlimmste: In vielen dieser extrem armen Familien wachsen Kinder auf, welche nie eine wirkliche Chance haben werden.
"Welche Position Du Dir auf der Autobahn auch erkämpfst - wenn es zum Unfallstau kommt, warten alle."
Für mich ist Feuerwehrmann tatsächlich ein Traumberuf, vielleicht weil es ein schönes Gefühl ist, anderen Menschen helfen zu können. Was mich traurig macht ist, dass der Beruf trotz hohen Ansehens in der Bevölkerung bei der Verwaltung scheinbar nicht sehr anerkannt ist. Hinzu kommen alte verkrustete Beamtengesetze, welche positive Veränderungen behindern. UND es macht mich sehr traurig, dass es einigen meiner Kollegen nicht mehr gelingt, sich für die Verlierer in unserer Gesellschaft zu interessieren. Wem es gut geht, der orientiert sich nach oben und es entwickeln sich feste Klassen in der Gesellschaft. Ein gemeinsames starkes Volk ist so nicht möglich - jeder kämpft gegen jeden, um ein oder zwei Positionen gut zu machen. Das ist so wie auf der Autobahn, dabei schadet das Gerangel allen, den „Stärkeren“ und den „Schwächeren“. Welche Position Du Dir auf der Autobahn auch erkämpfst - wenn es zum Unfallstau kommt, warten alle. Und ohne Rettungsgasse stehst du noch viel länger.
Wenn du also zur Feuerwehr willst, dann wäre es gut, wenn du deinen eigenen Egoismus in den Griff bekommst. Wenn wir eine Gesellschaft mit Zukunft wollen, wäre es gut, wenn wir uns wieder mehr für die Schwächeren interessieren könnten. Mir fallen da Kinder in allen Teilen der Welt, Natur, Tiere (vor allem Nutztiere) , Menschen mit Behinderung, Menschen mit Nachteilen durch Bildungsmängel oder deutsche Kriegspolitik ein. …
Steffen Neubert
Berufsfeuerwehr Halle
Gruppenführer und Notfallsanitäter
Mitglied im NABU, Tierschutz Halle e.V , plan