Silke Helfrich bei ihrer Buchvorstellung am 15. Mai in Halle

Com­mons: Ist das Ende des Kapi­ta­lis­mus in Sicht?

Am 15. Mai war Sil­ke Helfrich auf Ein­la­dung der Hein­rich-Böll-Stif­tung im Lite­ra­tur­haus in der Bern­bur­ger Stra­ße zu Gast, um das gemein­sam mit David Bol­lier geschrie­be­ne  Buch „Frei, fair und leben­dig – Die Macht der Com­mons“ vorzustellen.

Der Saal des Lite­ra­tur­hau­ses war längst voll und es kamen immer noch Zuhörer/innen. Das The­ma Com­mons hat Zugkraft.

Es geht ja im Grun­de um nicht weni­ger als eine Revo­lu­ti­on.  Der Kapi­ta­lis­mus ist dabei, mit sei­nen Pro­duk­tiv­kräf­ten sei­ne Pro­duk­ti­ons­grund­la­gen zu zer­stö­ren und immer mehr Men­schen sind nicht mehr bereit, das hin­zu­neh­men. Das bedeu­tet, aus der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­wei­se, der Markt­wirt­schaft, auf­zu­bre­chen in ande­re For­men des Wirt­schaf­tens. Das heißt, sich dem Markt zu ent­zie­hen, auf dem alles als Ware gehan­delt wer­den muss.

 

Das Wirt­schaf­ten den Markt­zwän­gen entziehen

Sol­che Ver­su­che sind nicht neu. So gab es schon wäh­rend der Welt­wirt­schafts­kri­se, als die Märk­te und das Ban­ken­sys­tem zusam­men­ge­bro­chen waren, Kom­ple­men­tär­wäh­run­gen (Regio­nal­geld), die das Wirt­schaf­ten in lokal begrenz­ten Räu­men wie­der mög­lich mach­ten. Heu­te ver­sucht das Pro­jekt Bit­coin Geld­flüs­se der Ban­ken­macht zu ent­zie­hen. Das Pro­jekt Medi­netz löst den Arzt­be­such aus den Markt­be­din­gun­gen her­aus, SoLa­Wis ver­sor­gen am Markt vor­bei Men­schen mit Obst und Gemü­se. Nun also Com­mons. War­um das eng­li­sche Wort? Weil kein deut­sches alle Bedeu­tungs­ebe­nen zu erfas­sen ver­mag, so Sil­ke Helfrich. Denn die deut­schen Über­set­zun­gen wie All­ge­mein­gut oder Gemein­schafts­gut bezie­hen sich auf den Objekt­cha­rak­ter. Com­mons hin­ge­gen sind sozu­sa­gen Bezie­hungs­gü­ter. Der Begriff lässt sich auf die All­men­de zurück­füh­ren, gemein­schaft­lich genutz­te Res­sour­cen wie Wei­den, Wäl­der und Seen in der vor­ka­pi­ta­lis­ti­schen Zeit. Sie wur­den im Zuge der sog. ursprüng­li­chen Akku­mu­la­ti­on des Kapi­tals geschleift (Ein­he­gun­gen) und zu Pri­vat­ei­gen­tum gemacht.

Das Den­ken über neu­es Wirt­schaf­ten beginnt als Suchen nach neu­en Wör­tern und Aus­drucks­for­men. Denn, so Helfrich, das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem hat auch unse­rer Den­ken im Griff und mani­pu­liert unser Men­schen- und Gesell­schafts­bild. Frei­den­ken ist not­wen­dig. „Onto-Wan­del“ nennt sie das: wir müs­sen unser Seins­ver­ständ­nis ändern.

Men­schen sind Beziehungswesen

Vor der bür­ger­li­chen Revo­lu­ti­on hat die Phi­lo­so­phie die geis­ti­gen Vor­la­gen gelie­fert, nun ist es die Sozio­lo­gie. Der homo oeco­no­mic­us wird abge­löst vom Bezie­hungs­we­sen Mensch. Wir exis­tie­ren nur in und durch Bezie­hun­gen. Com­mons nun stel­len genau die­sen Bezie­hungs­aspekt in den Mit­tel­punkt und füh­ren die Wirt­schaft so auf ihren eigent­li­chen Sinn zurück. Wir wirt­schaf­ten, damit wir unse­re Bedürf­nis­se befrie­di­gen kön­nen. Und genau so arbei­ten Com­mons: Sie erhe­ben die Bedürf­nis­se ihrer Mitglieder/Teilnehmer/innen und pro­du­zie­ren dafür. Nicht für ent­fern­te und ent­frem­de­te Märk­te. Ein Teil der Arbeit, die hier geleis­tet wird, ist Bezie­hungs­ar­beit („sozia­les Mit­ein­an­der“). Denn Com­mons arbei­ten mit Heterar­chien („Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on durch Gleich­ran­gi­ge“), hoher Eigen­ver­ant­wort­lich­keit, gemein­sa­mer Ent­schei­dungs­fin­dung („gemein­stim­mig ent­schei­den“ = es gibt kei­ne Verlierer).

Sil­ke Helfrich führt dafür vie­le Bei­spie­le auf. Ein pro­mi­nen­tes und inzwi­schen auch weit bekann­tes ist das vene­zo­la­ni­sche Ceco­se­so­la (Cen­tral Cope­ra­ti­va de Ser­vici­os Socia­les del Estado Lara). Die­se Bei­spie­le (sol­len) bele­gen, dass das Modell „pra­xis­taug­lich“ ist (fin­det man auch bei Wiki­pe­dia oder in einem schö­nen Arti­kel in der oya).

Was trägt zum Gelin­gen sol­cher Com­mons bei?  Wel­che Regeln füh­ren zu ihrem wirt­schaft­li­chen Erfolg? „Für­sor­gen­des und selbst­be­stimm­tes Wirt­schaf­ten“ lau­tet eine Ant­wort. Wenn zum Bei­spiel die Mit­glie­der einer Soli­da­ri­schen Land­wirt­schaft (SoLa­Wi) zum Zwie­beln­ste­cken aufs Feld gehen, nicht nur weil sie im Herbst Zwie­beln essen wol­len, son­dern auch weil es für die Gärtner/innen allein nicht zu schaf­fen ist. Der öko­no­mi­sche Nut­zen ist vom „Bezie­hungs­nut­zen“ gar nicht zu trennen.

 Nach­fol­ge­mo­dell für den Kapitalismus?

Zunächst ein­mal kön­nen ja ver­schie­de­nen For­men des Wirt­schaf­tens koexis­tie­ren, denn sie müs­sen sich ja die Men­schen und die Gesell­schaft tei­len. Das Geld für mei­ne SoLa­Wi muss ich erst mal ver­die­nen.  Mit die­sem Geld tra­ge ich dazu bei, ein Stück Land und sei­ne Bewirt­schaf­tung dem Markt zu ent­zie­hen. Ich ent­schei­de mit, wie dort gewirt­schaf­tet wird – pes­ti­zid­frei, nach­hal­tig und insek­ten­freund­lich. Alles aber, was dem Markt ent­zo­gen wird, schwächt den Markt und stärkt die Bezie­hun­gen.  Glück­lich machen uns Bezie­hun­gen und nicht Güter. Sil­ke Helfrich: „Je mehr wir com­mo­ning machen, umso weni­ger machen wir Kapi­ta­lis­mus.“ Wenn das kei­ne Revo­lu­ti­on ist, was dann?

Das Buch kann kos­ten­frei im Inter­net gele­sen oder für 19,90 Euro über den Ver­lag bestellt werden.

Wer mehr über com­mo­ning in Hal­le wis­sen möch­te, schrei­be an: neues@commoning-halle.de

 

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