Wer kennt es nicht: ein amtliches Schreiben, dem nur schwer ein Sinn entnommen werden kann? Ob Behörden, Anwälte oder Politiker, alle bedienen sich einer eigenen, sonderbaren Sprache. Man liest die Sätze, ein, zwei mal und spürt ein Gefühl der Abwertung. Denn trotz guter Schulbildung und Allgemeinwissen ist es oft nicht möglich, den Inhalt zu entschlüsseln.
Warum nur wird wichtige Post verschlüsselt? Sofort denke ich an weniger erfolgreiche ehemalige Mitschüler. Ich denke an ältere Menschen oder Eingewanderte, welche sich mühsam unser Deutsch angeeignet haben. Und nun auch ich. Ich bin plötzlich zum Analphabeten abgestempelt. Reihe mich ein, in die Gruppe von Menschen, welchen der Zugang zur Mitgastaltung verwährt werden soll.
Warum nur wird wichtige Post verschlüsselt?
Latein war im Mittelalter die Sprache der Gelehrten. Noch heute ist sie die Sprache der Wissenschaft. Kaum ein Biologe kommt umhin, den Haussperling als Passer Domestikus anzusprechen. Jeder Mediziner kennt den Appendix fermiformis, ein Wurmfortsatz am Übergang zwischen Dünndarm und Dickdarm, welcher im deutschen Sprachgebrauch Blinddarm genannt wird.
Um sprachenübergreifend feste Begriffe zu nutzen, ist Latein sicher von Vorteil. Im Englischen gibt es oft keinen eigen Begriff für anatomische Bestandteile des Körpers. Da ist Latein gleich Englisch.
In der Wissenschaft ist eine " Weltsprache" also nötig. Das sieht jeder ein, auch ich. Doch warum bedienen sich deutsche Behörden einer so komplizierten Kunst? Haben die, dort Arbeitenden, einfach nur den Boden der Verständlichkeit verloren? Ist ihnen die Abdrift ins Juristendeutsch ohne es zu bemerken einfach nur passiert? Ich behaupte klar und deutlich NEIN !
Je weniger ich verstehe, um so weniger kann ich gezielt nachfragen oder gar Gegenargumente anbringen.
Es steckt System dahinter. Eine Rechnung wirkt doch viel bedrohlicher, wenn ich Mühe habe aus mehreren Seiten Papier gerade noch die geforderte Summe zu erkennen. Warum und wie sich die Forderung zusammensetzt, soll ich nicht verstehen. Ich soll zahlen.
Je weniger ich verstehe, um so weniger kann ich gezielt nachfragen oder gar Gegenargumente anbringen. Viel komplizierter wird es, wenn wir Bürger uns für etwas einsetzen. Wenn wir etwas erhalten wollen oder etwas verhindern wollen, wird es schwer bis unmöglich mit Behörden zu kommunizieren. Wir stehen vor einer sprachlichen Riesenhürde.
Behörden fühlen sich sehr schnell angegriffen, wenn einfache Bürger mal so eben um einen Baum kämpfen. Die hohen Herren der Planung können nicht verstehen, dass eine alte Linde gerade das besondere Etwas ist, um sich wohl zu fühlen inmitten der Stadt. Der Blick aus dem Fenster, der nur durch diesen einzigen Baum die Seele erfreut. Das Pflaster der Straße kann das nicht. Die Jahreszeiten werden sichtbar, Vögel bringen Bewegung und Geräusche, Farben regen die Sinne an,die Luft riecht angenehm.
Wie nun aber soll der Bürger sich verhalten, wenn er auf Menschen der Verwaltung trifft, welche sich einer Sprache bedienen, die nicht fähig ist, ein Gespräch auf Augenhöhe zu ermöglichen?
Natürlich darf sich die Stadt verändern, dürfen Plätze und Straßen neu gestaltet werden. Doch wenn nun die dort Wohnenden an etwas hängen, so ist es ein schönes Zeichen einer gewissen Zufriedenheit mit seinem Wohnumfeld. Ein kleines neues Bäumchen wird für manch Menschen zu lange brauchen, ehe ein vergleichbarer Wert entstanden ist.
Wie nun aber soll der Bürger sich verhalten, wenn er auf Menschen der Verwaltung trifft, welche sich einer Sprache bedienen, die nicht fähig ist, ein Gespräch auf Augenhöhe zu ermöglichen? Der Bürger wird klein gemacht, er wird abgewertet und verliert den Mut und die Kraft ,sich weiter einzusetzen. Das ist bequem, hat man doch so alle Freiheit, Planungen vom Reißbrett umzusetzen. Mitbestimmung ist sicher lästig für Politik und Verwaltung. Sie kostet Zeit und Mühe.
Wenn man sich über Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit beschwert im
Land, dann könnte das vielleicht
auch an der falschen Sprache liegen.
So werden Radwege geplant von Menschen, welche selbst nur Auto fahren. So werden Entscheidungen von Menschen getroffen, welche überhaupt nicht im entsprechenden Vierteln wohnen. So wird Politik gemacht, ohne zu bemerken, was Menschen sorgt und bewegt.
Wenn man sich über Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit beschwert im Land, dann könnte das vielleicht auch an der falschen Sprache liegen. Um Bürger wirklich zu ermutigen mitzugestalten, sollte man eine Sprache wählen, welche die Bürgerinnen und Bürger verstehen.
Steffen Neubert
Gruppenführer und Notfallsanitäter
Mitglied im NABU, Tierschutz Halle e.V , plan