Was ist so besonders an Halle? Vielleicht der Umgang mit der historisch gewachsenen Stadtstruktur. Als es galt, das älteste Haus der Stadt, einen Fachwerkbau in der Mittelstraße, zu retten, fehlte das Geld. Die Lösung war für den Stadtrat damals einfach: Abriss! Selten hat die provinzielle Realsatire ein so hohes Niveau erreicht. Und niemand hat gelacht, wo es doch schon so wenig zu lachen gibt. Immerhin, dieses Haus ist gerettet worden, durch die Initiative einzelner KünstlerInnen, die das Haus jahrelang gegen den Unsinn des Stadtrates verteidigt haben. Laut Wikipedia ist Halle die einzige Stadt, durch die sich ein tektonischer Bruch zieht, eine sogenannte „tektonische Störung“. Es gibt noch eine zweite Störung. Wohl keine andere deutsche (oder sogar europäische) Stadt hat es fertig gebracht, in Friedenszeiten mehr historische Substanz zu zerstören, als im Krieg zu Bruch ging.
Glücklich verschont
Halle hat ja bekanntlich als einzige deutsche Großstadt den Krieg fast unzerstört überstanden. Ob das nun an Graf Luckner oder den englischen Kriegsgefangenen lag, Halle „stand“ so ziemlich als einzige Stadt am 8. Mai 1945 noch unversehrt da. Ein bisschen war das auch verdient. Denn wenn eine deutsche Stadt sich gegen die Nazis gewehrt hat, dann das „rote Halle“ und seine KPD und SPD.
Schon einmal wurde Halle glücklich verschont. Im Januar 1636 rettete die „verrückte Katrin“ die Stadt vor Wallensteins katholischen Truppen. Die klettert nämlich vor den Mauern der Stadt auf eine Scheune und macht so lange Lärm, bis die verschlafenen HallenserInnen aufwachen, die Gefahr bemerken und die Stadtmauer bemannen. So ist es zumindest in Berthold Brechts „Mutter Courage“ nachzulesen.
Selbst ist die Stadt!
So hat sich Halle bis heute selbst so zerstört, wo anderswo Kriege nötig waren. Für das MDR-Haus „Spitze“ ist ein ganzes Viertel geplättet worden. Während der DDR-Zeit sind ganze Straßenzüge durch Plattenbauten verschönert worden. Dabei hat sich die SED noch ein wenig Mühe gegeben. Die Platten in der Wallstraße und um die Kleine Ulrichstraße fügen sich harmonisch ins Straßenbild ein. Selbst einige Schmuckgiebel aus Plattenelementen fehlen nicht. Von den Abrissen der letzten 20 Jahre lässt sich das nicht sagen. In anderen Städten sind in den Baulücken Kinderspielplätze und kleine Parks und Gärten entstanden. In Halle gibt es nur eine Nachnutzung: Parkplätze mit rotem Schotter.
Und es gibt kein Ende. Die Gebäude der Fakultät für Landwirtschaft sind schon abgerissen, ein Haus zwischen dem neuen Campus und dem Steintor soll folgen. Im Paulusviertel soll der Park hinter dem Regierungsgebäude in der Willy-Lohmann- Straße verschwinden. Immerhin formiert sich diesmal Widerstand. Die Initiative Pro-Paulus-Park sammelt Unterschriften für einen Park.Wie schön, würde das Schule machen!
Ran an die Unterschriften!
Hallenser und Hallenserinnen, verteidigt eure Alleen, eure Straßen, eure historischen Gebäude gegen den Planungsunsinn der Stadtverwaltung. Solange die Verwaltung nur kurzfristig an das Wohl der Immobilienwirtschaft denkt statt an das Wohl der ganzen Stadt, ist jeder Protest ein Gewinn. Alles muss man und frau selber machen.
Peter Wacholder
Foto: Streifinger/ Blick auf den Hallmarkt 12/2012
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