Hel­dIn­nen in Halle

Im Ver­lau­fe des letz­ten Jah­res ist in unse­rer Hei­mat­stadt Eini­ges in Bewe­gung gekom­men. „Stadt im Wan­del“, so heißt das viel ver­spre­chen­de Mot­to. Inspi­riert durch die Auf­bruchs­at­mo­sphä­re beim Post­wachs­tums­kon­gress in Ber­lin 2011 ent­wi­ckel­te die Orts­grup­pe von Attac den Plan für eine Post­wachs­tums­wo­che. Eine Viel­zahl von Ver­an­stal­tun­gen zum The­ma soll­te gebün­delt und gemein­sam mit mög­lichst vie­len ande­ren Initia­ti­ven und Initia­to­rIn­nen aus­ge­stal­tet und bewor­ben wer­den. Ziel war es, etwas Gro­ßes anzu­schie­ben. Etwas, wor­über man in der Stadt spricht. Etwas mit spür­ba­ren Folgen.

Die Auf­takt­ver­an­stal­tung im Sep­tem­ber 2011 mit ca. 30 Inter­es­sier­ten von queer bis katho­lisch ein­ge­stellt mach­te Mut. Im Open Space wur­den jede Men­ge Ideen erson­nen. Der Opti­mis­mus begann aller­dings bei der zwei­ten Ver­samm­lung lang­sam zu brö­ckeln. Annä­hernd zwei Stun­den nahm die Dis­kus­si­on um Namen und Mot­to ein. Schließ­lich der Kon­sens für: „Leben über Wachs­tum– Wachs­tum über­le­ben“ oder so ähn­lich. Das war Ende Okto­ber. Im Lau­fe des nächs­ten Monats kamen eini­ge Mit­strei­te­rIn­nen abhan­den. Sie fühl­ten sich mit ihren Inhal­ten nicht reprä­sen­tiert, obgleich sie nicht viel dazu getan hat­ten, die­se ein­zu­brin­gen. Wie­der wur­de übers Mot­to gestritten.

Da trat eine jun­ge Gra­fi­ke­rin auf den Plan. Poli­tisch nicht orga­ni­siert, aber aktiv bei den Toma­ten­pi­ra­ten, einer vega­nen Koch­grup­pe, und Sym­pa­thi­san­tin von Green­peace. Sie hat­te ihrer Krea­ti­vi­tät frei­en Lauf gelas­sen und die Hal­len­ser Hel­den gebo­ren: Held, Hel­din, Hel­dier und Held­chen. Dazu den Namen für das Pro­jekt: „Hel­den­ta­ge“. Und jetzt ging es so rich­tig los, das ver­ba­le Hand­ge­men­ge um den Titel und sei­ne Außen­wir­kung. „Bei Hel­den muss ich an Sieg­fried den­ken“, sagt die alt­ge­dien­te Femi­nis­tin. Der Anti­fa-Ver­tre­ter sieht Faschis­mus und Krieg her­auf­be­schwo­ren. Die selbst­lo­se Attac-Akti­vis­tin will um kei­nen Preis als Hel­din gese­hen wer­den. Sie tut doch nichts Beson­de­res. Sie will sich doch nicht her­aus­he­ben aus der brei­ten Mas­se. Nein.

Wol­len wir das wirk­lich nicht? Viel­leicht. Aber wir tun es. Täg­lich. Und geben damit ande­ren Men­schen, die in die­ser chao­ti­schen glo­ba­li­sier­ten Welt nach Ori­en­tie­rung suchen, ein Bei­spiel. Auf die Fra­ge, ob oder war­um sich Men­schen als Hel­dIn­nen sehen, fie­len Sät­ze wie: „Ich bin Hel­din, weil wir aus frei­en Stü­cken Hal­le begrü­nen.“ (Anja, Ess­ba­rer Wald­gar­ten). „Ich bin Held, weil ich mich mit mei­ner see­li­schen Behin­de­rung durch die­se Welt schla­ge.“ (Jan, Attac). „Ich bin Hel­din, weil ich als Selb­stän­di­ge in mei­nem Kin­der­gar­ten nahr­haf­tes, regio­na­les, sai­so­na­les Essen zube­rei­te und neben der inten­si­ven Beschäf­ti­gung mit mei­ner Toch­ter Zeit fin­de, mich für die Umwelt zu enga­gie­ren.“ (Kat­rin, Him­mel & Erde). Es gab auch sol­che Äuße­run­gen: „Ich fin­de Held-Sein doof. Es soll­te grund­sätz­lich jeder geben, was er/sie kann.“ (Ste­phan, Wirt und Tel­ler­wä­scher der Gol­de­nen Rose). Manch­mal braucht es dazu einen Anstoß von außen. Und den woll­te die Ver­an­stal­tungs­wo­che lie­fern. Die Hel­den­fa­mi­lie wur­de Mit­tel zum Zweck.

Zwar war die Zahl der direkt an der Orga­ni­sa­ti­on betei­lig­ten Grup­pen geschrumpft, dafür enga­gier­ten sich die ver­blie­be­nen umso stär­ker. Das waren der SDS, Soli­da­ridad e.V., BUND, Attac Hal­le, Eine Welt e.V. Hal­le, Post­kult e.V., Stadt­gar­ten, Haus­hal­ten e.V., Ess­ba­rer Wald­gar­ten Hal­le e.V. , mohio e.V., die Toma­ten­pi­ra­ten, PAPKA, Peiß­nitz­haus­ver­ein, Freun­des­kreis der AttacVil­la Kön­nern e.V. – alles Grup­pen, die sich für alter­na­ti­ves Wirt­schaf­ten und nach­hal­ti­ges Leben stark machen. Auch je eine Ver­an­stal­tung der Luxem­burg- und der Böll-Stif­tung fand im Rah­men der „Hel­den­ta­ge“ statt. Die­se finan­zier­ten ihre eige­nen Ange­bo­te, konn­ten oder woll­ten dar­über hin­aus jedoch nicht mit Gel­dern unter­stüt­zen. Finanz­hil­fe gab es aus dem Regio­nal­topf von Attac Deutsch­land und durch Zuwen­dun­gen der Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, des Evan­ge­li­schen Ent­wick­lungs­diens­tes, des Katho­li­schen Fonds und von Nord-Süd-Brücken.

Das Kon­zept sah von Beginn an vor, nicht nur das Hirn, son­dern auch alle Sin­ne anzu­spre­chen. Ob bei Kaba­rett, Thea­ter, Lesun­gen, Mit­mach- Fahr­rad­werk­statt, Mär­chen­stun­de, Spie­le­tref­fen oder per Fahr­rad ins Umland. Zudem luden Stu­den­tIn­nen der Burg Gie­bichen­stein zu der illus­tren Aus­stel­lung „Recir­cling Mat­ters“ ein. Treff­punkt für Men­schen, die sich infor­mie­ren und ins Gespräch kom­men woll­ten, wur­de das vom BUND aus­ge­lie­he­ne Zelt. Es befand sich am Alten Markt und war rund um die Uhr besetzt. Umweit davon lag der zen­tra­le Ver­an­stal­tungs­ort: Die Gol­de­ne Rose, das his­to­ri­sche Gast­haus, wel­ches durch den Nicht­hel­den Ste­phan und eini­ge Unter­stüt­ze­rIn­nen zu neu­em Leben erweckt wurde.

Über 1000 Men­schen aller Alters­grup­pen besuch­ten die ca. 40 Ver­an­stal­tun­gen. Über­füllt war der Raum bei dem Vor­trag von Frie­de­ri­ke Haber­mann „Ecom­mo­ny – Wir­schaf­ten jen­seits von Arbeit, Aske­se und Aus­beu­tung“ und dem Work­shop mit den Tran­si­ti­on-Town-Leu­ten aus Leip­zig. Zu den Höhe­punk­ten gehör­ten der Auf­tritt von Chris­ti­an Fel­ber zur Gemein­wohl­öko­no­mie im Audi­max der Mar­tin-Luther- Uni­ver­si­tät sowie der Latein­ame­ri­ka-Abend mit dem emo­tio­na­len Appell des ecua­do­ria­ni­schen Bot­schaf­ters Jor­ge Jura­do gegen den Bau des Stau­dam­mes Yasuni-ITT und einem Vor­trag von Dr. Muru­chi Poma über „Buen Vivir – das gute Leben“ als Ver­fas­sungs­ziel Boliviens.

Die jun­gen Mode­ra­to­rIn­nen aus dem Vor­be­rei­tungs­kreis brach­ten das Publi­kum mit ver­schie­de­nen Metho­den zum Gedan­ken­aus­tausch. Mehr noch – sie ent­wi­ckel­ten damit Lust auf nach­fol­gen­de Akti­vi­tä­ten. Unge­fähr 50 Men­schen haben sich im Anschluss an die „Hel­den­ta­ge“ unter dem Logo Tran­si­ti­on Town Hal­le zusam­men­ge­fun­den. Sie wol­len gemein­sam ihre Stadt ver­än­dern. Noch ist das Gan­ze ein zar­tes Pflänz­chen, das behut­sam behan­delt sein will. Einig­keit besteht dar­über, in der Zusam­men­ar­beit den Metho­den der Gewalt­frei­en Kom­mu­ni­ka­ti­on zu fol­gen. Eine frisch gebil­de­te K-Grup­pe wird dies anlei­ten und ent­spre­chen­de Fer­tig­kei­ten auch in ande­re Zusam­men­hän­ge ein­brin­gen. Ande­re Mit­glie­der tref­fen sich regel­mä­ßig zum „Mund­raub“ und träu­men von offe­nen Räu­men für neue Stadtgärten.

Dann gibt es noch das Pro­jekt Zukunfts­werk­statt, wel­ches mög­lichst vie­le Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ein­be­zie­hen möch­te bei der Ideen­su­che für den Wan­del in ihren Stadt­tei­len. Aktu­ell geht es dabei um die Umge­stal­tung des Alten Mark­tes. Außer­dem grün­de­te sich eine Hal­len­ser Unter­stüt­zungs­grup­pe für die Idee der Gemein­wohl­öko­no­mie und der Demo­kra­ti­schen Bank.

Ein wei­te­res Pro­dukt liegt gera­de vor Ihnen bzw. dir. Die Hal­le­sche Stö­rung ist auch Ergeb­nis der Hel­den­ta­ge. Das neue Medi­um stellt auf ver­schie­de­ne Wei­se jour­na­lis­tisch dar, dass sich Hal­le und sein Umland bereits im Wan­del befin­den. Es soll Suchen­den Wis­sen ver­mit­teln, Ideen bekannt machen und Vor­bil­der vor­stel­len– egal ob Hel­din, Held, Held­chen, Hel­dier oder AntiheldIn.

www.helden-in-halle.de
Richard Schmid

 

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