Wo bei Röpzig die Weiße Elster in die Saale fließt, liegt jede Menge fruchtbares Schwemmland – ideale Bedingungen für Gemüsebau, Weidehaltung oder Bienenzucht. Andrej Karst hat eine Menge vor mit seinen Flächen, die hier in den Saaleauen vor Halles südlichem Stadtrand liegen. Ein kleiner Bagger steht im Gelände und hinter Haus und Hof leuchtet das Foliendach eines neu errichteten Gewächshauses. Es gibt erst mal Kaffee.
Biogemüse und "micro greens"
„Ich sehe mich selbst als Stadtbürger.", sagt Andrej Karst. "Der Name Ackerbürgerei ist ein bewusster Rückgriff auf eine soziale Rolle, die früher Gang und gebe war – die Stadt versorgt sich selbst.“
Noch vor Kurzem unterrichtete der studierte Kulturpädagoge an der nahegelegen Waldorfschule. Nach einem Krankheitsbedingten Aus wagt der Mittvierziger nun einen Neustart mit einem kleinen Gartenbetrieb. Der Grundstock der Produktpalette steht bereits: Eier und Honig. Hinzu kommen nun biologisch und regional erzeugtes Gemüse: Tomaten, Knoblauch, Kohlgewächse.
Das Gewächshaus soll auch im Winter hochwertige „Micro Greens“ liefern – Hochwertige Keimpflanzen von Erbsen, Radieschen oder Sonnenblumen für die ganzjährige regionale Versorgung.
Nähe und Kontakt erwünscht
Auch wenn er kein Biozertifikat anstrebt, möchte Andrej Karst strikt biologisch und nachhaltig anbauen. Elemente dafür sind natürliches Saatgut ohne Genveränderung, Dünger aus Brennnessel und die aus der Demeter-Landwirtschaft bekannten Präparate. Der studierte Pädagoge ist nicht verlegen um zitierfähige Sätze: „Die Zukunft der Landwirtschaft liegt nicht in den Zertifikaten sondern in Beziehungen.“
Denn Nähe und Kontakt zu den Konsument*innen ist erwünscht und Teil des Hofkonzepts. Ein Carport mit Kühlstation als erster Schritt für einen Hofladen ist bereits geplant. Und bei Selbstpflückertagen und besuchsoffenen Sonntagen können die Hühner und Bienenstöcke persönlich in Augenschein genommen werden. Die Vision reicht sogar noch weiter – im Gespräch fällt schnell das Stichwort CSA – Community shared Agriculture - eine Form der solidarischen Landwirtschaft. „das ist im Augenblick noch Zukunftsmusik, weil wir mit dem Aufbau beschäftigt sind“.
Ohne Mut kein Gut
Schon in der Schwetschkestraße, wo die Familie früher wohnte, hielten Raila und Andrej Karst in einem Hinterhofgarten ihre ersten Bienen. Nun sind Hühner, Schweine und Ziegen hinzugekommen – alte Thüringer Haustierrassen, wie Raila Karst erklärt, die findet, dass ihr alter Mädchenname 'Gärtner' sehr gut zu ihr passt und auch bäuerliche Familienwurzeln hat. „Es ist schon einiges an Mut nötig, die alten gewohnten Wege aufzugeben.“, sagt die Neu-Ackerbürgerin, die an staalichen und privaten Schulen lehrte und jetzt als Doktorandin in der Pädagogikforschung wirkt.
Der Traum am Stadtrand ein dafür geeignetes und bezahlbares Anwesen zu finden, schien fast unmöglich. Mehr als fünf Jahre suchte die Familie in der Region – mit und ohne Makler – im Harz bei Thale oder an der Unstrut in Freyburg. Fündig geworden sind sie schließlich bei ebay: Haus, Hof und 1,5 Hektar Auenland direkt vor den Toren der Stadt. „Es war uns gleich klar – das ist unser Haus“ berichtet Andre über den Glücksmoment, der den Start in das neue Leben bedeutete.
Trotzdem waren die Anfänge alles andere als einfach. Weil der Lehmboden zum Teil kontaminiert war, mussten zunächst 24 Tonnen Kompost aufgebracht werden. Noch immer ist Andrej Karst mit der Urbarmachung des Geländes beschäftigt. Wenn es nach ihm ginge, könnten bald schon weitere stadtnahe Gärtnereihöfe entstehen. Als Pionier wünscht er sich einen richtigen „Regio-Gürtel“ ähnlicher Projekte rund um die Stadt. Denn die Veränderung in seinem eigenen Leben sieht er durchaus im Zusammenhang mit den anstehenden größeren Umbrüchen in der gesamten Gesellschaft. „Anders als regional und nachhaltig ist Zukunft für mich gar nicht mehr vorstellbar“.
-> Website: Ackerbürgerei percultura