Das Material von Autoreifen ist ein Hightech-Material, das unterschiedlichsten Belastungen standhalten und vielen Bedingungen genügen muss: diversen Fahrbahnbelägen, Witterungsbedingungen und Temperaturverhältnissen. Die Reifen dürfen nicht zu viel Geräusch produzieren und sie sollen einen möglichst geringen Rollwiderstand aufweisen, um Treibstoff zu sparen und Emissionen (Abgase) zu vermindern. Solchen Anforderungen können nur hochkomplexe Materialien genügen. Autoreifen werden aus verschiedenen Materialien gefertigt: aus Gummi, Textilien und Stahldraht. Beim Gummi wiederum handelt es sich um ein Gemisch aus Industrieruß (eine Kohlenstoffmodifikation, die als Füllstoff und Schwarzpigment verwendet wird; siehe Wikipedia) sowie Natur- und Synthesekautschuk, das mit weiteren Substanzen versetzt wurde. Bis zu 200 Inhaltsstoffe finden sich in dem Stoffgemisch, aus dem Autoreifen hergestellt werden.
Hauptbestandteile sind Kohlenstoff und Eisen, in geringen Mengen auch toxische Substanzen wie das Schwermetall Quecksilber, Chlor und Antimon, das in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit von der Umwelttoxikologie erfahren hat und als sehr gefährlich eingestuft wird. Größtenteils werden die Reifenzusammensetzungen nicht genau deklariert, weil die Reifenhersteller die Bestandteile ihrer Reifen geheim halten, denn der Konkurrenzdruck im Sektor ist hoch. Der Spiegel berichtete in einem Artikel zum Thema aus dem Jahre 2003, dass die Reifen-Rezepturen streng geschützt würden und Chemiker und Techniker, die sich mit der Reifenherstellung auskennten, hochgefragte und umworbene Spezialisten seien.
Auf einer Seite des Umweltbundesamtes wird der Abrieb von Autoreifen als bedeutende Feinstaubquelle klassifiziert und eingeschätzt, dass er „gesundheits- und umweltgefährdende Stoffe wie zum Beispiel krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe“ enthalte.
Die Entsorgung der hochkomplexen Materialien gestaltet sich schwierig. Da eine Verwertung aufwändig ist, wurden sie lange nur deponiert, was zu gigantischen Autoreifendeponien geführt hat. Diese sind unter anderem deswegen so gefährlich, weil sie bei Bränden kaum zu löschen sind und dabei große Menge hochgiftiger Gase freigesetzt werden.
Bundesweit fallen im Jahr ca. 600.000 Tonnen Altreifen an, die seit 2003 nicht mehr deponiert werden dürfen (Umsetzung der EU-Richtlinie 99/31/EG). Das hat Verwertungsunternehmungen Rückenwind gegeben. Bei der Verwertung werden die Reifen in ihre Grobbestandteile zerlegt, Metalle können einfach wieder genutzt werden. Die Gummibestandteile mit ihren verschiedenen Inhaltsstoffen werden granuliert und dann meist verbrannt, z.B. in Zementwerken. Mit dieser sog. thermischen Verwertung gehen aber die wertvollen Stoffe wie die Industrieruße (auch black carbon genannt) verloren. Andere Verfahren wie die sog. Pyroloyse können einen Teil diese Stoffe zurückgewinnen.
Ein solches Verfahren will die Firma Pyrolytech (anfangs Pyrolyx), deren Anlage im Gelände des Trothaer Hafens gebaut werden soll, einsetzen. Es handelt sich um die sog. Depolyse, eine Variante der Pyrolyse, die hier zum ersten Mal in einer Industrieanlage angewendet wird. Die Pläne werden seit 2009 verfolgt. 2010 wurde die die Pilotanlage vom Landesverwaltungsamt genehmigt. Mit dem Bekanntwerden der Pläne formierte sich eine Bürgerinitiative, die die Anlage verhindern will. Die „Bürger für Kröllwitz“ klagten gegen die Genehmigung des Landesverwaltungsamtes und führten immissionsschutzrechtliche Gründe ins Feld. Die Initiative, die auch eine (leider nicht aktuelle) Website betreibt, auf der man die wichtigsten Dokumente zum Fall findet, hatte ihrerseits ein Gutachten bei einem Gefahrstoffbüro in Auftrag gegeben, das 2010 zu der Einschätzung kam: „Hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Menschen durch Luftverunreinigungen stehen eindeutig die krebserzeugenden und die reizenden Wirkungen im Vordergrund. PAK (polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe) können nach inhalativer Aufnahme zu Lungenkrebs führen, nach Aufnahme über die Haut kann es zu Hauttumoren kommen und nach oraler Aufnahme kann es möglicherweise zu Krebserkrankungen kommen. Für krebserregende Stoffe, zu denen die Pyrolysegase (summarisch) als auch spezifisch die PAK zählen, gibt es, wenn sie am genetischen Material angreifen, keine Grenzwerte, da Schwellenwerte der Schadwirkung nicht ermittelbar sind“.
Die Klage der Initiative wurde Ende 2012 vom Verwaltungsgericht Halle abgewiesen. Im April 2014 berichtete die Lokalzeitung Mitteldeutsche Zeitung, dass das LVA nach einer weiteren Prüfung festgestellt habe, das keine Umweltgefährdung vorliege. Die Bürgerinnen und Bürger wollen das aber nicht hinnehmen und haben eine Online-Petition mit dem Titel „Keine krebsauslösenden Abgase! Verhindert die Altreifenverwertungsanlage am Hafen Halle-Trotha“ an den Hallenser Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand initiiert. 20.000 Unterschriften werden benötigt. Sie können bis zum 8. September gesammelt werden. Die Petition ist hier zu finden.
Weitere Informationen:
http://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/umweltbewusstleben/autoreifen
http://www.fuer-halle.de/de/buergerinitiative/
http://www.trotha.netcomplett.de/aktuell/pyrolyx%202010/090318-TSC-Pyrolyx-Fragen%20und%20Antworten.pdf
http://www.spiegel.de/auto/werkstatt/reifengummi-das-geheimnis-der-matrix-a-273523.html
http://www.mz-web.de/halle-saalekreis/buergerinitiative-gescheitert-altreifen-verwertung-genehmigt,20640778,26955364.html
Foto: Weg über die Franzigmark nach Halle-Trotha/ 14.06.2014/ Streifinger
Der Norden von Halle, das Saaletal und die angrenzenden Gemeinden sind direkt betroffen.