Anstän­dig Schimpfen

Kürz­lich las ich einen Arti­kel dar­über, wie man poli­tisch kor­rekt belei­di­gen kann, ohne sexis­tisch, ableis­tisch, ras­sis­tisch und loo­kis­tisch zu wer­den. Dum­me Kuh, fet­ter Sack, Idi­ot, Pen­ner, Schlam­pe und pott­häß­li­cher Fot­zen­schwanz­lurch sind näm­lich kei­ne wirk­lich kor­rek­ten Belei­di­gun­gen und könn­ten Men­schen unter Umstän­den ver­letz­ten. Es gibt inzwi­schen sogar Work­shops, um zu ler­nen, wie man rich­tig beleidigt.

Als mei­ne Oma zu Weih­nach­ten ein­mal „Scheiß die Wand an“ zu mei­nem Vater sag­te, dürf­te das, nach mei­nem lai­en­haf­ten Ver­ständ­nis von poli­ti­scher Kor­rekt­heit, eini­ger­ma­ßen dis­kri­mi­nie­rungs­frei gewe­sen sein. Wenn sie anschlie­ßend im Flur unse­res Eigen­hei­mes saß und an ihrer Cabi­net Wür­zig zog und mei­nen Vater als jeman­den bezeich­ne­te, der einen gewal­ti­gen Dach­scha­den habe, bin ich mir schon nicht mehr ganz so sicher. Men­schen, die heut­zu­ta­ge auf­grund von kli­ma­be­ding­ten Unwet­tern Schä­den an ihren Häu­sern zu bekla­gen haben, könn­ten sich von die­sem Schimpf­aus­druck mit­ge­meint und auf die­se Wei­se abge­wer­tet füh­len. In mei­ner Gegen­wart sag­te mei­ne Oma über mei­nen Vater auch gern, daß er ein „blö­der Hei­ni“ sei. „Hei­ni“ dürf­te – unter den Gesichts­punk­ten des kor­rek­ten Belei­di­gens – gera­de noch durch­ge­hen. Das Attri­but „blöd“ aber wer­tet lei­der Men­schen ab, die auf­grund von Anders­be­gabt­heit nicht der Intel­li­genz­norm ent­spre­chen. Wer so schimpft, ver­hält sich nicht kor­rekt, son­dern san­eis­tisch, sprich sowas wie doo­fen- und min­der­be­mit­tel­ten­feind­lich. Hät­te ich aller­dings mei­ner Oma gesagt:

„Lie­be Oma, wenn du – wie es hin und wie­der vor­kommt – zu jeman­dem ‚däm­li­cher Idi­ot‘ sagst, ist das einer­seits sehr pleo­nas­tisch (dop­pelt­ge­mop­pelt) und ande­rer­seits sehr schlimm sanes­tisch (sie­he oben), dann wäre ich wie­der­um ihr gegen­über äußerst uni­ver­si­tä­risch gewe­sen; eine Dis­kri­mi­nie­rungs­form, der sich dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­ble jun­ge Men­schen mit Uni­ver­si­täts­hin­ter­grund oft gar nicht so sehr bewußt sind. Mir waren die Beschimp­fun­gen von Oma damals eher Teil einer ange­nehm ver­trau­ten Situa­ti­on aus fami­liä­rer Nähe und abgrund­tie­fem Haß. Schließ­lich kam auch noch der blö­de Hei­ni, also mein Vater, in den Flur und rauch­te eben­falls eine Ziga­ret­te, die ihm von sei­ner – wie Vater Oma immer wie­der ger­ne nann­te – beklopp­ten Schwie­ger­mut­ter ange­bo­ten wor­den war. Ein kur­zer Frie­dens­mo­ment zwi­schen den Schlach­ten, wie einst Weih­nach­ten 1914 an der West­front. Eine Fami­li­en­fei­er ohne Krach, gegen­sei­ti­ge Beschimp­fun­gen und schwers­te Belei­di­gun­gen wäre eben kei­ne Fami­li­en­fei­er bei Krei­sens. Mikro­ag­gres­si­on ist etwas für Weich­ei­er. Bei uns gibt es noch die gute alte unver­blüm­te Makro­ag­gres­si­on. Mein Vater und ich brau­chen dafür mitt­ler­wei­le zwei gute Fla­schen Rot­wein, damit wir in Belei­di­gungs­stim­mung kom­men. Alko­hol, um sich in einen Kon­troll­ver­lust hin­ein­zu­trin­ken, damit man sei­nem gegen­über Belei­di­gun­gen an den Kopf knal­len kann, hat­te Oma jedoch nie nötig. Da läge sie bei den jun­gen Leu­ten ganz im Trend, die nun Alko­hol öfter ver­mei­den, um jeder­zeit sen­si­bel und rück­sichts­voll zu blei­ben. Das ist ein Kon­zept, daß mei­ne Oma aller­dings über­haupt nicht ver­stan­den hät­te. Sen­si­bel, rück­sichts­voll? War­um? Wozu? Für Oma war das Belei­di­gen ein ganz natür­li­cher Vor­gang, weil die Mit­men­schen es ver­dient hat­ten, die Wahr­heit über sich gesagt zu bekom­men. Und zwar nüch­tern und prä­zi­se bis ins Mark. Was mei­ne Oma jedoch nie ver­stan­den hat, daß sich vie­le Freu­din­nen und Bekann­te eines Tages von ihr abge­wen­det haben, anstatt dank­bar und froh über Omas Ehr­lich­keit zu sein.

Wirk­lich anstän­dig wur­de bei uns in den Acht­zi­gern logi­scher­wei­se nie geschimpft. Wenn mein Vater sich von mir oder mei­ner Mut­ter genervt fühl­te, wegen irgend­wel­cher Extra­würs­te, die er für uns zu bra­ten hät­te – und eine Extra­wurst war immer das, was im Plan mei­nes Vaters nicht vor­ge­se­hen war – dann rief er: „Ich mach mich für euch doch nicht zum N-Wort“. Gut, so hat er es natür­lich nicht gesagt. Hät­te er es so gesagt, ohne das böse Wort aus­zu­spre­chen, wäre er also mehr oder weni­ger – wie ich jetzt in die­sem Text – kor­rekt geblie­ben, dann hät­te er ver­mut­lich auch sei­ner Wut auf uns nicht den nöti­gen sprach­li­chen Nach­druck ver­lei­hen kön­nen. Und wir hät­ten ihn auch nicht wirk­lich für voll genommen.

Da liegt wahr­schein­lich auch ein biß­chen das Pro­blem bei dem kor­rek­ten Beschimp­fen. Das ist natür­lich auch der Autorin des Plä­doy­ers für das dis­kri­mi­nie­rungs­freie Belei­di­gen nicht ent­gan­gen. Sie schlug zwar noch vor, lie­ber mit Wort­neu­schöp­fun­gen zu schimp­fen, die unter ande­rem dem wei­ten Sprach­feld der Obst- und Gemü­se­be­zeich­nun­gen ent­nom­men sind. Zum Bei­spiel: „Du Schim­mel­brok­ko­li!“. Ich weiß nicht. Ich wür­de zum Beschimp­fen wenigs­tes Rosen­kohl neh­men. Du Rosen­kohl­furz oder abge­half­ter­ter After­ro­sen­kohl­hei­ni. Also falls man wie Lori­ot schimp­fen will, dann sicher­lich so. Was mich etwas ver­wun­dert hat, ist, daß die Autorin das gute alte „Arsch­loch“ für beden­ken­los hält. Begrün­dung: Das Arsch­loch sei etwas, was alle Men­schen gemein­sam haben und kei­ne mar­gi­na­li­sier­te Grup­pe herabsetzt.

Ist das wirk­lich so? Haben alle tat­säch­lich ein Arsch­loch. Was ist mit Elfen oder Feen? Woan­ders habe ich dann gele­sen, daß „Arsch­loch“ durch­aus als schwu­len­feind­lich gel­ten könn­te. Ja was denn nun? Arsch­loch ja oder nein? Am Ende steht als Erkennt­nis fest, daß genau die Wor­te, die ande­re dis­kri­mi­nie­ren, auch genau jene Wor­te sind, die rich­tig gut belei­di­gen.  Na wer hät­te das gedacht?

 

Chris­ti­an Kreis

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