Dona Qui­cho­tes letz­ter Akt

Bevor ich in mei­nen letz­ten Kampf gegen die Müh­len der Büro­kra­tie im Land Sach­sen-Anhalt zie­he, hier ein wun­der­ba­res Zitat aus der Pres­se­stel­le des Innen­mi­nis­te­ri­ums, das in sei­nem Web­auf­tritt groß auf­macht mit unse­rer selbst­lo­sen Hil­fe für die ukrai­ni­schen Geflüchteten.

„Die Lan­des­re­gie­rung hat zum 1. Jah­res­tag des Krie­ges in der Ukrai­ne am 24. Febru­ar die Hilfs­be­reit­schaft in Sach­sen-Anhalt gewür­digt. 365 Tage unvor­stell­ba­res Leid in der Ukrai­ne bedeu­te auch 365 Tage enor­me Unter­stüt­zung auf allen Ebe­nen in Sach­sen-Anhalt. „Sach­sen-Anhalt hat von der ers­ten Minu­te an eine enor­me Hilfs­be­reit­schaft und Soli­da­ri­tät mit der Ukrai­ne gezeigt“, erklär­te Innen­mi­nis­te­rin Dr. Tama­ra Zieschang in einer Pres­se­mit­tei­lung. In den Kom­mu­nen wer­de seit Mona­ten ein beein­dru­cken­der Bei­trag zur Bewäl­ti­gung aller Auf­ga­ben rund um die Unter­brin­gung, Ver­sor­gung und Inte­gra­ti­on von Kriegs­flücht­lin­gen aus der Ukrai­ne geleis­tet. Dafür sei allen in den kom­mu­na­len Ver­wal­tun­gen sehr herz­lich zu dan­ken. „Dar­über hin­aus hat mich das bemer­kens­wer­te pri­va­te Enga­ge­ment in vie­len Tei­len unse­rer Gesell­schaft, ob bei der Suche nach einer Woh­nung oder Arbeits­stät­te oder der Unter­stüt­zung bei Fra­gen rund um Behör­den­gän­ge und so vie­lem mehr, zutiefst beein­druckt“, sag­te Zieschang weiter.

Maria ist 47 Jah­re alt. Sie kam in äußers­ter Not nach Deutschland.
Ihr Haus wur­de im Krieg zer­stört. Dann die Krebsdiagnose.
Als sie sich zur Ope­ra­ti­on ent­schie­den hatte,
gab es kei­nen Strom mehr im Krankenhaus.
Letz­ter Aus­weg Deutschland.

Ich bin kurz vor Weih­nach­ten durch Zufall in solch ein pri­va­tes Enga­ge­ment hin­ein­ge­rutscht. Mein Mann hat mich gefragt, ob ich mir nicht die Haa­re blond fär­ben las­sen wol­le, dann kön­ne ich glatt als Weih­nachts­en­gel durch­ge­hen. Seit­dem habe ich mei­nem Schütz­ling Maria bei­gestan­den. Ich habe hal­be Tage mit ihr unter FFP2 in der Uni­kli­nik zuge­bracht und ihre Tap­fer­keit bei all den vie­len Unter­su­chun­gen und Behand­lun­gen bewun­dert. Ich habe mein Netz­werk und die Netz­wer­ke mei­ner Freun­de in Bewe­gung gesetzt, um Sprach­mitt­ler zu fin­den, die sich lie­be­voll küm­mer­ten. Einer von ihnen hat über Weih­nach­ten Befund­be­rich­te aus dem Ukrai­ni­schen über­setzt. Ich habe Maria bei Behör­den­gän­gen und Arzt­be­su­chen, die in Behör­de­gän­ge aus­ar­te­ten, beglei­tet. Für eine neue Kran­ken­haus­be­hand­lung und zum Quar­tals­be­ginn braucht es jedes Mal einen extra Über­wei­sungs­schein. Für die Fahrt zur Che­mo­the­ra­pie muss­te ein Kran­ken­trans­port orga­ni­siert wer­den. Auch dafür ist ein Trans­port­schein vom Arzt nötig. Die­ser muss durch die Kran­ken­kas­se abge­seg­net wer­den. Als Maria end­lich ihre elek­tro­ni­sche Gesund­heits­kar­te hat­te, stand da ein fal­sches Geburts­da­tum drauf. Also wie­der zur Kran­ken­kas­se, neu­er Antrag. Die Job­cen­ter- und Bür­ger­geld­ge­schich­ten über­nah­men dann tat­säch­lich die über­las­te­ten Sozi­al­ar­bei­ter aus dem, ich nenn es mal Lager, also der abge­ranz­ten Erst­auf­nah­me­stel­le für ukrai­ni­sche Geflüch­te­te im Harz. 169 Men­schen und andert­halb Sozi­al­ar­bei­ter. Da kann man sich gut vor­stel­len, dass die mit mei­nem "Fall Maria" über­for­dert waren. Ach­ja, und ein neu­er Kran­ken­schein fürs Job­cen­ter ist auch monat­lich fäl­lig, obgleich im Arzt­brief steht, dass die Behand­lung sich min­des­tens über ein hal­bes Jahr hin­weg zie­hen wird.

Im Arzt­brief steht zudem, dass ein Umzug nach Hal­le drin­gend ange­ra­ten wird, da die wöchent­li­che Fahrt zur Che­mo­the­ra­pie dem The­ra­pie­er­folg nicht zuträg­lich sei. Es ist der Aus­län­der­be­hör­de Harz zu Gute zu hal­ten, dass die Mit­ar­bei­te­rin­nen dort sofort ver­such­ten, einen Umzug zu bean­tra­gen. Es hieß, wenn die Geflüch­te­te eine Woh­nung in Hal­le vor­wei­sen kön­ne, stün­de dem nichts ent­ge­gen. Also setz­te ich mein Netz­werk in Bewe­gung. Wir hat­ten gro­ßes Glück und einen wun­der­ba­ren ver­ständ­nis­vol­len Woh­nungs­ver­mitt­ler. Es dau­er­te sei­ne Zeit, eini­ge Emails und Tele­fon­ge­sprä­che, alles sehr freund­lich, bis wir die Bestä­ti­gung der Über­nah­me der Woh­nungs­kos­ten durch das Job­cen­ter erhiel­ten. Ende März konn­ten wir uns beim Ein­woh­ner­mel­de­amt und beim Job­cen­ter anmel­den. Im Hin­blick auf Mari­as Här­te­fall, der sich auch in ihrem Äuße­ren aus­drückt, tra­fen wir auf ver­ständ­nis­vol­le Behör­den­mit­ar­bei­ter. Wahr­schein­lich haben sie gegen Vor­schrif­ten ver­sto­ßen, denn wir hät­ten die Ein­wil­li­gung des Aus­län­der­am­tes Hal­le vor­le­gen müs­sen, wie ich heu­te weiß. In mei­ner Nai­vi­tät glaub­te ich die­se ein­zu­ho­len, wäre nur ein wei­te­rer Behördenakt.

Weit gefehlt, das Amt zeigt sich hart­her­zig. Der zustän­di­ge Bear­bei­ter ver­kün­de­te am Tele­fon, eine wöchent­li­che Fahrt von je einer Stun­de hin und zurück zur Che­mo­the­ra­pie sei zumut­bar, sein Vater habe das auch durch­ma­chen müs­sen. Auf mei­ne Bemer­kung hin, dass sein Vater wohl eine Fami­lie gehabt habe, die ihn unter­stütz­te, kam er mir mit dem Gesetz. Sei­ne Vor­ge­setz­te mein­te sinn­ge­mäß, wenn das Amt jedem Här­te­fall nach­ge­be, hät­te es viel tun und kam auch mit dem Gesetz. Maria hat bei ihrer Ankunft im Saa­le­kreis den ange­bo­te­nen Platz im Aus­län­der­wohn­heim, das über­wie­gend von Män­nern ver­schie­de­ner Natio­nen bewohnt war, aus­ge­schla­gen und sich in den Harz schi­cken las­sen. Dort beka­men alle Geflüch­te­ten ein Papier unter­ge­scho­ben, mit des­sen Unter­schrift sie sich zum dau­ern­den Ver­bleib im Harz ver­pflich­te­ten. Mitt­ler­wei­le hat sich die Situa­ti­on geän­dert. Das „Lager“ Gün­ters­ber­ge wird im Juni geschlos­sen. Neu­an­kömm­lin­ge direkt wei­ter nach Bay­ern geschickt.

Der Land­kreis ver­fügt nicht mehr über geeig­ne­te kom­mu­na­le Woh­nun­gen für Geflüch­te­te. Aber Maria soll nach dem Wil­len der Aus­län­der­be­hör­de Hal­le zurück in den Harz. Im Amt geht man anschei­nend auch davon aus, dass sie nach der Che­mo­the­ra­pie sofort als geheilt ent­las­sen wird und kei­ne wei­te­re Behand­lung mit auf­wen­di­gen Fahr­ten nötig sei.

Maria ist 47 Jah­re alt. Sie kam in äußers­ter Not nach Deutsch­land. Ihr Haus wur­de im Krieg zer­stört. Dann die Krebs­dia­gno­se. Als sie sich zur Ope­ra­ti­on ent­schie­den hat­te, gab es kei­nen Strom mehr im Kran­ken­haus. Letz­ter Aus­weg Deutsch­land. Die Uni­kli­nik Hal­le wirbt bis heu­te mit ukrai­ni­schen Ärz­ten. (Wir haben kei­ne angetroffen.)
Am meis­ten aber schmerzt sie, dass sie ihre Kin­der zurück­ge­las­sen hat. Drei Söh­ne sind schon erwach­sen. Der 20jährige kämpft im Don­bass. Den 15jährigen und ihre 12jährige Toch­ter möch­te sie gern nach Deutsch­land holen. Sie woll­te Ihnen das Lager nicht zumu­ten und hat­te so sehr auf eine eige­ne Woh­nung gehofft, um dann den Zuzug orga­ni­sie­ren zu können.

Die vor­bild­lich Enga­gier­te hat dafür kei­ne Kraft mehr. 
Ich bin unend­lich trau­rig und füh­le mich ausgebrannt.

Und jetzt?! Ohne die Zustim­mung vom Aus­län­der­amt Hal­le bekommt Maria kein Bür­ger­geld, die Woh­nung wird nicht bezahlt und vor allem auch kei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung. Also zurück in den Harz. Wie­der Woh­nung suchen, wie­der Behör­den­gän­ge, wie­der Anträ­ge aus­fül­len. Die vor­bild­lich Enga­gier­te hat dafür kei­ne Kraft mehr. Ich bin unend­lich trau­rig und füh­le mich aus­ge­brannt. Ich bin ent­täuscht von der Dop­pel­mo­ral der Poli­tik (Aber wie sag­te neu­lich ein jun­ges auf­stre­ben­des Poli­tik­ta­lent: „Bes­ser eine Dop­pel­mo­ral als gar kei­ne!“) Im Grun­de habe ich auf­ge­ge­ben gegen die Müh­le zu kämp­fen, die das Aus­län­der­amt Hal­le hin­ge­stellt hat. Trotz­dem nimmt Dona Qui­chot­te mit die­sem Arti­kel den aus­sichts­lo­sen Kampf auf.

Maria heißt anders und Dona Qui­chot­te auch.
Wenn jemand irgend­wie hel­fen kann, bit­te bei der Redak­ti­on melden.

 

Foto oben: © get­ty Images / Vic­to­ria Kotlyarchuk

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