Wie viel Demos brauchen wir noch?
Am 17.1.2015 trafen sich 12 Hallenser am Hauptbahnhof, um nach Berlin zu fahren. Niemanden kannte ich und am Abend musste ich noch zum Nachtdienst. Warum also entschied ich mich, mit einem Pappschild in der Hand in die Hauptstadt zu ziehen? Während der Zugfahrt lernte ich 11 sehr nette Hallenser kennen. Am Potsdamer Platz angekommen, konnten wir kaum den Bahnhof verlassen vor lauter Menschen. Wir waren plötzlich Teil der 25000 Protestierenden. Anlässlich der Grünen Woche treffen sich dort jedes Jahr wichtige Politiker, um über unsere landwirtschaftliche Zukunft zu beraten. Doch wer fragt uns? Wen interessiert in unserem Land die Erzeugung unserer Lebensmittel? Eine Minderheit, welche in Bioläden einkauft. Ein paar Sonderlinge, die sich ohne Fleisch ernähren? Ein paar Selbstvernichter, welche sich in der veganen Lebensweise versuchen? Nun sind 25000 Demonstranten kein Maßstab mehr für Unmut in der Bevölkerung. Demos sind an der Tagesordnung. Deswegen werden gewählte Politiker nicht mehr unruhig. Interessant ist, dass sich beide Nichtregierungsparteien unter den Demonstranten befanden. Interessant auch, dass sich alle bekannten Naturschutzvereine, Tierschutzvereine und Verbraucherschutzvereine bemühten, die Reihen zu füllen. Interessant auch, dass einige Landwirte mit ihren Maschinen kamen. Was nur macht uns so unzufrieden?
Wie finden Sie eigentlich TTIP? Wie bitte, noch nie etwas davon gehört? Wie finden Sie eigentlich unsere Tierhaltung? Sagen Sie bloß, Sie haben noch nie einen dieser grausamen Berichte gesehen. Ich frage mich ernsthaft, warum ich es gut finden soll, wenn in der „modernen Tierhaltung“ mehr Antibiotika verbraucht werden als in der Humanmedizin und warum unsere Nutztiere nie die Sonne sehen dürfen. Was haben die verbrochen? Ich komme aus einer Region, in der die höchst möglichen Bodenwerte existieren. Da stört es mich eben sehr gewaltig, dass hier nur noch Raps und Mais die Landschaft bestimmen anstatt Gemüse oder Getreide. Ich selbst besitze kein Auto, doch meine Umwelt wird zur Energiegewinnung umfunktioniert. Bodenorganismen, Ackerrandstreifen, Artenreichtum, alles dahin. Warum ich als NABU-Mitglied beispielsweise für die Rettung der Porphyrkuppenlandschaft im Saalekreis bin, ist doch klar. Dort finde ich noch zusammenhängende Gebiete mit schönen Pflanzen, Schmetterlingen und herrlich singenden Vögeln. Dort finde ich den Rest der Natur, welcher noch nicht verdrängt ist. Wo fahren denn all diese Wochenendautofahrer hin, die immer mehr Autobahnen fordern? Womöglich in die Reste der Natur, um die sich ja solche Ökos kümmern. Wo fliegen denn die vielen Urlauber hin, die gegen Fluglärm klagen, kein Verständnis für die Pilotenstreiks haben, womöglich in die schöne Natur in der Welt, weil unsere vor der Haustür nicht mehr gut genug ist.
Was soll ich also machen, wenn ich als Wähler zur Minderheit im Land zähle und die Grünen oder Linken nicht in der Regierung sind? Was soll ich machen, wenn ich als bewusster Verbraucher zur Minderheit im Land zähle und Bio-Läden von nur wenigen Menschen besucht werden? Was soll ich denn machen, wenn ich als Radfahrer ständig Abgase atmen muss? Mir bleibt nur, mich in Vereinen zu organisieren oder auf Demos zu fahren. Wer weiß. Vielleicht sind Sie ja eines Tages mit mir dabei.
TTIP findet hinter verschlossenen Türen statt. Verwundert Sie das nicht? Wieso erklären uns die gewählten Volksvertreter nicht die Vor- und Nachteile öffentlich? Steht unsere Demokratie auf dem Spiel während der Verhandlungen mit den USA? Wenn ich doch nur nicht immer so schwarz sehen würde.
Ich fühle mich verraten und verkauft von unserer Regierung. Und genau deshalb gehe ich weiter zu derartigen Demos in meiner kostbaren Freizeit. Ich bin gegen TTIP und Sie?
Steffen Neubert
NABU Halle