Ob das Freihandelsabkommen CETA endgültig ratifiziert und in Kraft gesetzt werden wird, hängt entscheidend auch vom Verhalten der SPD-Basis ab. Deren Delegierte treffen sich in dieser Frage am 19. September in Wolfsburg zu einem Parteikonvent. Jörg Wunderlich und Frank-Uwe Neis von der 'Halleschen Störung' haben mit Dr. Andreas Schmidt, einem von vier stimmberechtigten Delegierten aus Sachsen-Anhalt über die SPD und die vielen kritischen Fragen zu CETA und TTIP gesprochen.
Herr Dr. Schmidt, was unterscheidet einen SPD-Konvent von einem SPD-Parteitag und inwiefern sind dessen Beschlüsse bindend für die Parteispitze?
Sie können sich einen Konvent wie einen kleinen Parteitag vorstellen, der jedes mal einem wichtigen Thema gewidmet ist, das aufgrund des Umfanges von Parteitagen nicht abschließend bearbeitet werden kann. Eine Satzungsregelung besagt, was der Parteitag beschließt, kann der Konvent nicht umstoßen. Umgekehrt kann ein Konvent Anträge, die auf einem Parteitag liegenblieben, bindend beschließen. Der Bundesparteitag hat 600 Delegierte, der Konvent nur 200, die zusammen mit dem Parteivorstand dann stimmberechtigt sind. Die Delegierten werden von den Landes- und Bezirksverbänden gewählt und dann für eine Zeitspanne von zwei Jahren zu allen Konventen entsendet.
Wie findet die Meinungsbildung zu CETA innerhalb der SPD im Vorfeld des Konventes statt?
Weil es ein Thema ist, das viele an der Basis unheimlich beschäftigt, haben wir im Landesverband vor der Sommerpause einen Prozess ausgelöst, wo wir folgendes gesagt haben: Der Vertragstext zu CETA liegt vor. Die Leute, die sich damit auskennen, positionieren sich. Bildet Euch eine Meinung in den Basis-Gliederungen. Diese Meinungsbildung läuft dann auf einen Landesparteirat am 17. September zu, der den Delegierten Empfehlungen mitgibt, wie sie am 19. September in Wolfsburg abstimmen sollen. Das läuft jetzt und es gibt bereits eine ganze Reihe von zum Teil ausführlichen Rückmeldungen.
Das hieße, wenn wir Sie als Einzelperson jetzt fragen, würden sich noch bedeckt geben und als Vertreter zunächst abwarten, wie die Empfehlung ausfällt?
Unabhängig davon wie ich jetzt denke, werde ich nicht gegen die Empfehlung meines Parteirates stimmen, wenn dort ein eindeutiges Votum herauskommt. Ich bin dort nicht für meine Vorlieben oder Antipathien, sondern als Delegierter des Landesverbandes. Insofern bin ich moralisch gehalten, das was der Landesverband will, dahin mitzunehmen. Im Landesverband gibt es große Ablehnung und Skepsis, die nicht so viel mit dem Vertragstext zu tun haben, sondern mit Misstrauen gegen das Zustandekommen des Vertragsentwurfes.
Das ist ja auch verständlich, weil das alles geheim verhandelt wurde. Die begrenzte Transparenz, die erst jetzt gegeben ist, musste ja als Zugeständnis erst erkämpft werden. Haben Sie selbst als Abgeordneter überhaupt Einblick in den Vertrag gehabt?
Ich selbst bin erst seit März Abgeordneter. Aber es hatte auch niemand sonst Einblick gehabt, bevor nicht der bei den Verhandlungen gewonnene Entwurf veröffentlicht wurde. Und das ist ein riesengroßer Fehler, auch bei TTIP. Es müsste eigentlich selbstverständlich sein, Verhandlungsprotokolle zu veröffentlichen.
Es ist doch wohl aber kein Versehen gewesen, sondern eher so, dass die Verantwortlichen das mit Absicht so und nicht anders gestaltet haben?
Der Umstand dass das nicht öffentlich gewesen ist war sicherlich falsch , aber das gilt auch für alle derartige Abkommen. Die EU hat neun ratifizierte Wirtschaftsabkommen und verhandelt derzeit zehn weitere. Die sind allesamt nicht öffentlich verhandelt worden.
Niemand aber kümmert sich beispielsweise um das ASEAN-Abkommen der EU, das gerade verhandelt wird. Es interessiert niemanden, weil dort in Südostasien kein „Feind“ sitzt. Wir vertrauen den USA nicht und misstrauen den Kanadiern, weil wir sie für Boten der US-Amerikaner halten, aber wir haben keine Angst vor Vietnam. In der Betrachtung gibt es also ein Ungleichgewicht. Dass die Öffentlichkeit im Vorfeld gerade bei TTIP und CETA außen vor gelassen wurde, macht nun einen großen Teil von deren Ablehnung aus. Es wird gesagt: So wie das zustande gekommen ist, liegt es nahe, dass da etwas zu verbergen gewesen ist.
Aus den geleakten Inhalten wurden Details öffentlich, die zeigten, dass sehr wohl einiges, was an Befürchtungen da war, tatsächlich im Text stand. Es geht also um mehr als nur um ein diffuses Unwohlsein. Unsere Gegnerschaft mit dem Abkommen hat mit Grundwerten zu tun, die wir in Gefahr sehen. Im Wort Rechtsstaatlichkeit ist ja bereits enthalten, dass der Staat dafür zuständig ist, für das Recht zu garantieren. Die Idee, private Schiedsgerichte einzuführen, widerspricht dem aber fundamental. Diese Tür überhaupt öffenen zu wollen, halten wir für bedenklich. Beim CETA Abkommen sind ein paar Punkte abgemildert worden - es gibt jetzt eine Berufungsinstanz. Trotzdem wird doch aber eine Paralleljustiz geschaffen, eine Sonderjustiz für Investoren, die auch Sonderrechte erhalten. Das Beispiel Kanada ist bekannt, wo die Regierung von einem Konzern verklagt wurde, weil sie ein Naturschutzgebiet nicht aufgeben wollte. Der Konzern hat 300 Millionen erstritten, was eine katastrophale Rechtslogik ist. Da kommt man doch an den Punkt, dass man sich Demokratie gar nicht mehr leisten kann..
Das genau ist die SPD Position, wie sie im Konventsbeschluss von 2014 niedergelegt ist. Bei CETA hat man sich nun auf öffentlich bestellte Schiedsgerichte geeinigt, also nicht im Sinne klassisch staatlicher Justiz, aber auch nicht im Sinne von rein privaten Instanzen. Das hat das Potenzial, diese Bedingung zu erfüllen, die sie hier setzen, vorausgesetzt, man kann das so verhandeln, dass sie wirklich unabhängig sind. Im Moment ist das aber so: Die Mehrheit der Freihandelsabkommen, mit denen wir leben, rekurriert auf private , also nichtöffentliche Schiedsgerichte.
Das ist bekannt. Die Geschichte dieser privaten Schiedsgerichte hatte aber ursprünglich einen ganz anderen Sinn, nämlich dass westliche Rechtsstaaten überhaupt in der Lage sind, Abkommen zu schließen mit Ländern, in denen es keine funktionierenden Rechtssysteme gibt. Das kann ich sogar nachvollziehen, dass man in solchen Fällen für ein Mindestmaß an Rechtssicherheit sorgen muss. Es hat mir aber bislang keiner erklären können, warum das auch dann angewendet werden soll, wenn zwei hochentwickelte Rechtsstaaten miteinander einen Handelsvertrag schließen.
Ich wäre da als nachdenklicher Bürger vorsichtig, diese Argumentation aus der Wirtschaft unkritisch zu wiederholen. Diese Abkommen sind alle nicht diskriminierungsfrei geschlossen worden, weil die gesamten WTO-Regeln nicht diskriminierungsfrei sind. Bei CETA ist es so: Die neue kanadische Regierung hat sich darauf eingelassen, das nachzuverhandeln. Ich würde eine Zustimmung, wenn ich das ratifizieren müsste, immer von der Frage abhängig machen, wie genau sieht diese Schiedsgerichtsvereinbarung im Einzelnen aus? Die große Erwähnung öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichte im Vertragstext reicht nicht. Besser ist, das so zu verhandeln, dass das wirklich unter Dach und Fach ist und alle sich auseinandersetzen und ja oder nein dazu sagen können.
Was ja offen ist, nach welchem Recht dort eigentlich verhandelt wird. Es ist ja ein riesenlanger Text, an manchen Stellen wahnsinnig konkret, zum Beispiel die ganze Liste der gegenseitigen Vorbehalte, an anderer Stelle wird aber wieder ganz allgemein formuliert.
Die Grundidee bei solchen Abkommen ist, dass dort, wo es stattfindet, nach dessen Recht auch verhandelt wird. Bevor das ratifiziert wird, muss das natürlich geklärt sein. Der zweite Punkt ist, dass man sagt, was wird marktzugangsfähig und was nicht, was wird also sozusagen reserviert für den öffentlichen Sektor und dadurch vom Markt ausgenommen Das muss die EU fix klären.
Da ist noch ein wichtiger Punkt: Ein möglicher Weg zurück heraus aus einer einmal getätigten Privatisierung. Ein deutscher Spezialvorbehalt zum Beispiel besagt, dass privatisierte Krankenhäuser dann wieder öffentlich werden können, wenn sie für die Bundeswehr genutzt werden. Das impliziert ja schon, dass die Verhandler selbst Angst haben, dass es keine Rückwege nach dem Abkommen gibt.
Ich habe den Text so verstanden, dass geklärt ist, dass jeder frei bleibt auf seinem Gebiet in diesen Fragen, die Erbringung von Leistungen aus dem Markt herauszunehmen, wann immer er das will, jedenfalls in den Grenzen, die sich die EU selber erlaubt. Aber schon das ist nicht immer einfach, denn die Wettbewerbsfreunde in Brüssel haben schon viele erschwerende Bedingungen gesetzt, die uns in der kommunalen Wirtschaft auf die Füße fallen. Wir müssen zum Beispiel künftig neben Buslinien auch die Straßenbahnlinien ausschreiben, weil die EU-Richtlinie das so will. Ähnliches haben wir im Bereich Kultur, wo man für öffentliche Förderung von Theatern und Orchestern bei der EU eine beihilferechtliche Ausnahmegenehmigung beantragen muss, weil sie den Markt angeblich verzerren. Aber da beißen wir ja schon innerhalb der EU auf Granit, ganz ohne transatlantische Abkommen.
An dem, was Sie erzählen, merkt man doch schon, dass es da falsche Entwicklungen gibt, nämlich auf Teufel komm raus zu privatisieren, wie es die Abkommen auch festschreiben möchten.
Der Parteikonvent wird nicht über die Abschaffung des Weltkapitalismus oder der EU abstimmen, sondern nur über CETA. Die EU-Regeln, zu denen haben wir alle bereits „Ja“ gesagt. 2014 hat Martin Schulz für mehr Freiheit innerhalb dieses Systems Wahlkampf gemacht und hat nicht gewonnen in Deutschland, weil offensichtlich eine große Mehrheit nicht genug Interesse daran hat, das zum Gegenstand europäischer Politik zu machen. Bei CETA gibt es aus unserer Sicht noch ein drittes entscheidendes Detail. Es muss gesichert sein, dass nicht über die Türen des Freihandelsabkommens die arbeitsrechtlichen Regeln der EU Mitgliedsstaaten ausgehebelt werden dürfen.
Womit wir bei einem SPD-Kernthema sein dürften…
Dort steht jetzt eine Formulierung drin, die besagt: Die ILO-Arbeitsnormen werden eingehalten und man versichert sich gegenseitig, dass man sich da nicht reingreift. Auch da ist aus meiner Sicht nicht klar, ob diese Formulierung juristisch ausreichend ist.
Wenn man bedenkt , dass die USA sich bis jetzt weigern, die in 138 ILO-Mitgliedsstaaten geltenden Arbeitsrechtsnormen anzuerkennen, bedeutet dieser Passus sehr wohl einen gewissen Schutz ...
Durch die neue kanadische Regierung ist dieser Punkt jetzt in den Vertragstext aufgenommen worden. Die haben offensichtlich kein Problem mit diesen Kernarbeitsnormen. Das muss aber so haltbar sein, dass es nicht aufzuhebeln ist. Deswegen wäre es schön gewesen, wenn die Vertragsverhandlungen öffentlich gewesen wären. Nun wird das in relativ kurzen Zeiträumen geklärt werden müssen.
Sie haben uns jetzt die demokratischen Prozesse um das Abkommen beschrieben. Die Befürchtung ist aber nun, dass wie von Herrn Juncker bzw. der EU-Kommission gewünscht das CETA Abkommen einfach vorläufig in Kraft gesetzt wird, ohne dass da überhaupt jemand abstimmt.
Der SPD-Parteivorsitzende hat gesagt: Ohne Befassung des deutschen Bundestages stimmt er in der Bundesregierung nicht zu, und damit ist diese Diskussion beendet.
Wenn Herr Gabriel nicht zustimmt, heißt das aber nicht, dass es nicht so kommen kann. Meine Vermutung ist folgende: Es gibt große Teile des Abkommens, von denen die EU- Kommission ja meint, und darüber gibt es ja auch einen Rechtsstreit, dass dort überhaupt niemand abstimmen muss, sondern weil es ein gemischtes Abkommen ist, die EU das auch vorläufig in Kraft setzen kann. Das heißt, man ginge dann so vor, dass die Teile, die nur die EU betreffen und nicht die einzelnen Mitgliedsstaaten, einfach schon mal in Kraft gesetzt würden. Dann kann aber hinterher keiner kontrollieren, welcher Teil ist nun schon geltend und welcher nicht.
Da muss ich ihnen ganz ehrlich sagen, das glaube ich im Leben nicht. Ich denke, dass dieses Abkommen vom EU-Parlament, vom Bundestag und auch vom Bundesrat zu ratifizieren sein wird wird. Und das gibt eine große Trefferfläche an Legitimation, denn bevor die zustimmen können, muss es Raum für Fragen und Diskussionen geben. Ich habe die Haltung der Kanadier so verstanden, dass die gesagt haben: Wir haben Zeit. Und das bedeutet, die Tür muss offen sein für Nachverhandlungen und die Tür muss offen sein für eine lange Ratifizierungsdiskussion. Ich fände es einen guten Ausgang des Konventes, wenn man sagen würde, im Prinzip halten wir das Verhandlungsergebnis nicht für schlecht. Wir halten das aber an einer Anzahl von Stellen für nachverhandlungsbedürftig. Der schlechteste Weg wäre, gar kein Abkommen abzuschließen. Denn wenn das jetzt scheitert, dann brauchen wir 10 Jahre um ein neues Freihandelsabkommen zu verhandeln und müssen mit uralten Verträgen auskommen die in der Summe bestimmt schlechter sind als ein neues Abkommen.
Das impliziert ja geradezu, dass man dringend ein Abkommen bräuchte, um überhaupt Handel führen zu können. Das stimmt doch aber nicht. Wir haben riesige Handelsvolumen miteinander und man könnte auch ohne Abkommen zum Beispiel sagen, wir halbieren die Zölle – was auch immer. Der ehemalige EU-Wirtschaftskommissar Karel de Gucht hatte ja mal eine Forschungsstudie in Auftrag gegeben mit der Frage – wieviel denn so ein Abkommen an Wachstum bringen würde? Die Studie hatte dann ein minimales Wachstum von 0,5 Prozent in zehn Jahren ergeben. Was also soll sich da noch verschieben, außer dass es einen Kampf um billigere Produkte gibt? Deswegen kann ich dem Argument, dass es ohne Abkommen ganz schlimm kommt, einfach keinen Glauben schenken.
Jetzt gehen wir mal einen halben Meter zurück. Sie haben gesagt dann halbieren wir einfach mal die Zölle. Jetzt halbieren wir also einfach mal die Zölle auf landwirtschaftliche Produkte. Und Kanada exportiert zu halbierten Zöllen in den europäischen Wirtschaftsraum, erhöht also den Preisdruck auf die europäische Landwirtschaft, hinter der wir aber mit gezogenem Degen sitzen und sagen: Werdet ökologisch, macht bessere Tierhaltung und nehmt kein Glyphosat.Das wäre schon ein Schaden. Wenn sie Zölle senken ohne Abkommen und ohne Standard, machen sie es schlechter als wenn sie das machen und gleichzeitig Standards vereinbaren. Und deswegen fände ich es gut, wir verhandeln so lange, bis es ein gutes Abkommen ist und sagen dann „Ja“ dazu.
Das für die EU ungünstigste Szenario wäre, CETA tritt in Kraft und TTIP kommt nie… Alle wichtigen US-Unternehmen haben in Kanada Zweigniederlassungen und könnten über CETA erleichtert auf den EU-Markt, EU-Unternehmen aber „nur“ nach Kanada.
Diese Gefahr sehe ich nicht. Es steht europäischen Unternehmen ja frei, in Kanada Zweigniederlassungen zu gründen, um über NAFTA auch erleichterten Zugang zum US-Markt zu erlangen.
Herr Dr. Schmidt, wir bedanken uns für das ausführliche Interview.