Wer wie der Autor seine prägende Kindheit und Jugend in den 1980er Jahren erlebte, für den kann es als Fußballfan und -genießer keinen Besseren und Größeren geben als Argentiniens Fußballhelden und Filigran- und Edeltechniker mit dem linken Zauberfuß: Diego Maradona! Wer zudem das unverhoffte und unfassbare Glück hatte, ihn am Zenit seines Könnens und Erfolges wenigstens einmal live erleben zu dürfen - und das auch noch in der DDR - der wird all das im Spiel und drum herum erlebte für immer im Herzen bewahren.
Sie war wie die Ankunft von Außerirdischen und wie aus der Zeit gefallen: Die Landung der "Mars-Menschen" mit ihrem "Göttlichen" in Leipzig 1988: Der Weltmeister von 1986, Diego Maradona, und der italienische Meister des Jahres 1987, SSC Neapel, in seinen himmelblauen Trikots mit dem "Mars"-Schriftzug "versüßten" den trüben und tristen Spätherbst auch der DDR. Was damals noch nicht absehbar war: Nur genau ein Jahr nach dem 0:2 im Rückspiel im "San Paolo" von Neapel - das nach seinem Tod den Namen Maradonas bekommen soll ("San Diego"?) - fiel die Mauer am 9. November 1989. Es war zudem auch das letzte Europapokalspiel des 1. FC Lok Leipzig. Erst 29 Jahre später, im September 2017, sollte es wieder ein Europapokalspiel in Leipzig geben..
"Hauptsache rein!"
"Marado-Napoli ist da" lautete 1988 eine Überschrift zum Ereignis in der Liberaldemokratischen Zeitung (LDZ) aus Halle. Kurz vor seinem 28. Geburtstag besuchte also tatsächlich Maradona die Messestadt Leipzig, gab sich und uns die Ehre ... es war unglaublich! Das Fußballfieber stieg quasi stündlich. Die Vorfreude und Kartennachfrage waren natürlich riesengroß und das Spiel im größten Stadion der DDR selbstverständlich ausverkauft. Schon nach den ersten vier Tagen waren 40.000 Karten im Vorverkauf abgesetzt. In der LDZ stand: "Kein Kartenverkauf mehr - Der 1. FC Lokomotive Leipzig gibt bekannt, daß eine Anreise zum Fußball-UEFA-Cup-Spiel 1. FC Lok Leipzig gegen SSC Neapel ohne Eintrittskarten nicht möglich ist. Es erfolgt kein Kartenvorverkauf an den Tageskassen.". Solche Meldungen haben aber Unentwegte und Enthusiasten wie mich nie abgeschreckt ... Eine Eintrittskarte hatte ich natürlich nicht, egal. Erfahrungsgemäß und mit Gespür, Glück und Geschick bekam ich immer vor den Stadien oder Hallen eine Karte. (Ticket sagte damals niemand!) Das klappte irgendwie immer! Teurer, Verhandlungssache, aber bezahlbar. Hauptsache rein! Die Karte für das Neapel-Spiel bekam ich für 25 DDR-Mark. (Auf der Karte, eingeklebt auf mehreren Seiten zum Spiel in einem meiner vielen Fußball-Bücher, steht: 8,10 M einschl. Sportfonds. Einiges mehr als DDR-Oberliga, aber dafür ...Maradona! Wann immer möglich, fuhr ich - wenn "Westmannschaften" in den "Osten" kamen - sogleich dorthin. Rückfahrt usw., der Rest ergibt sich ... egal wie weit, wie lange, wie wenig Schlaf ... Jede Chance musste genutzt werden, so viele gab es nicht und or allem: Wann würde sie je wiederkommen? So machten es viele ... und sicher noch viel exzessiver, intensiver und fanatischer als ich. Auch als "Transitis".
Auf der Jagd nach Autogrammen
Manches und manche bekam ich dadurch mit - vor und in den Stadien und Hotels, in denen die Profi-Mannschaften abstiegen. Oft waren es die gleichen Fan-Gesichter und vor allem das gleiche Begehren, wie schwierig auch immer es war trotz Ordnern und anderen Sicherheitsleuten: möglichst unauffällig auf Tuchfühlung gehen mit den Stars, Autogramme sammeln, Autogrammkarten bekommen, Fanartikel, Eintrittskarten, Westkontakte, Geschenke, Informationen, Gespräch, Tratsch, Gerüchte …
Auch wenn man viel Geduld mitbringen und oft lange warten musste - als DDR-Bürger aber darin geübt ... -, bis die Spieler, Mannschaftsbetreuer usw. endlich kamen ... es lohnte sich meist. Schon der Anblick großer westlich-bunter Busse, Anzüge, Sport-Taschen, "Kulturbeutel" und andere (Parfüm-)Gerüche stellte manche wohl zufrieden ... 🙂 Der Hauch der großen freien Welt ... Mir ging es jedoch v.a. um Autogramme u.a. auf Stadienprogrammhefte, Eintrittskarten und Zeitungsfotos o.ä. in mitgebrachten selbst vollgeklebten Fußballbüchern ... immer gut vorbereitet, um schnell die richtigen Seiten und schreibfähige Stifte parat zu haben ... oft nicht leicht im Gedränge und unter Zeitdruck und je nach Spielergusto. Die Autogramme der meisten DDR-Fußballer hatte ich sowieso bereits. Interessanter waren daher die Autogramme von Spielern der Gästemannschaften, die nachzuahmen mir viel Spaß machte.
Riesenschüssel Zentralstadion überfüllt
So fuhr ich auch schon am Vortag des Spiels gleich nach der Schule 14:07 Uhr mit dem Zug von Halle nach Leipzig (orangene DR-Fahrkarte: 1 Kind 038KM 01.60 M) und dann zum Abschlusstraining des SSC Neapel ins Zentralstadion und zum Hotel Merkur, dem von Japanern gebauten größten Hotel Leipzigs, in dem sie einquartiert waren. Alles war spannend, überraschend und ergab sich oder erfuhr man irgendwie vor Ort. Nervenkitzel ohne Ende ...!
Das Abschlusstraining mit dem (fast nur) balljonglierenden und tricksenden Maradona sowie das ganze Drumherum waren fast interessanter als das Spiel selbst, das unspektakulär war, wenn auch mit zwei wunderschön herausgespielten Toren (der 1:1-Ausgleich u.a. von Maradona vorbereitet) und einer einzigartigen Atmoshäre in der überfüllten Riesenschüssel im einstigen "Stadion der Hunderttausend" ... So viele waren es bestimmt, offiziell 80.100. Wahrscheinlich ist es das Fussball-Spiel mit den "zuletzt" meisten Zuschauern bis heute in Deutschland (!). Womöglich waren es im Jahr zuvor im Europapokal-Halbfinale der Leipziger gegen Girondins Bordeaux 1987 noch mehr, da auch die Treppenaufgänge wohl voll waren ... aber das wird wohl nie mehr geklärt werden können ...
Jedenfalls wurden diese schon unter den lange vor der Corona-Pandemie herrschenden Sicherheitsbestimmungen usw. mögliche zahlen- und platzmäßige Stadionauslastung und Zuschauerzahl seitdem nicht annähernd erreicht, nicht einmal in Dortmund ...! Ein Rekord für die Ewigkeit, unter den jetzigen gegebenen Bedingungen erst recht ... Wer das damals miterlebt hat, diese Menschenmengen, das Riesengedränge und trotzdem doch weitgehende Disziplin, diese unglaubliche Stimmung und die mehrfach durchs weite Stadionrund schwappende La-Ola-Welle ... a`la Mexico ... Der wird sich heute sicher fragen, wie es damals alles so funktionieren und gut gehen konnte, nichts oder wenig passiert ist, trotz mancher Gerüchte und Erzählungen. Aber es waren andere Zeiten ohne Sicherheitswahn, ohne Luxuskomfort und ohne Überdachung! Heute ist so etwas völlig unvorstellbar und wird es solche Dimensionen und Stadionauslastungen (nicht nur wegen und seit Corona) nie wieder geben.
Mehr als nur 90 Minuten auf dem Platz
Am Spieltag selbst führ ich 16:05 Uhr nach Leipzig, dann sogleich zum Zentralstadion, um schnell eine Eintrittskarte zu ergattern und mich anzustellen. Die Stadionprogrammhefte des Spiels waren längst alle verkauft. Je eher im Stadion, desto besser der Platz und die Sicht. Meistens hatte ich auch ein Fernglas dabei, im Leipziger Stadion sehr praktisch ...
Bereits gegen 18:30 war ich im Stadion, um so viel wie möglich mitzubekommen, natürlich auch das Aufwärmen der Mannschaften und alle Zeremonien. Ich habe es nie verstanden, warum die meisten so spät wie möglich und pünktlich zum Spielbeginn kommen und so schnell wie nur denkbar nach Spielende (oder schon vorher) das Stadion verlassen (wegen des Autos ... und mit dem Auto zum Spiel fahren ...). Ein Spiel ist viel mehr als nur 90 Minuten auf dem Platz!
"Ich habe es nie verstanden, warum die meisten so spät wie möglich und pünktlich zum Spielbeginn kommen."
Nach dem Spiel verweilte ich also noch im Stadion und fand danach wie öfters trotz Ordnern den Weg ins Stadioninnere, vor allem dorthin, wo der Bus in der riesigen Durchfahrt auf die Spieler, Trainer, Betreuer und Offiziellen wartete ... Natürlich wollten auch an diesem Ort die meisten nur Maradona sehen. Aber er spielte nicht allein, sondern u.a. mit den brasilianischen Star- und natürlich Nationalspielern Careca und Alemao. "Alemao" ist sein Künstlername, ein Spitzname, den er aufgrund seiner hellen Hautfarbe und blonden Haaren erhielt. Der Werderaner Dieter Eilts, der ein Jahr später mit Werder Bremen den SSC Neapel überzeugend ausschaltete, bekam danach den verdienstvollen "Künstlernamen" ... "Friesen-Alemao" 🙂 Ja, die Südamerikaner zauberten, unterstützt z.B. vom italienischen Nationalspieler mit dem passenden Nachnamen Fernando di Napoli und dem jungen Ciro Ferrara. Von Careca und di Napoli bspw. bekam ich Autogramme ... und schließlich auch eines von Maradona. Wie immer schrieb er vom Busfahrer-Sitz aus. Alle Utensilien, Stifte, Blätter, Hefte usw. wurden durch das geöffnete Fenster durchgereicht. Ein schönes Foto davon war im "Deutschen Sportecho" zu sehen, Bildunterschrift:
"(Fünf Sterne) für DIEGO ARMANDO MARADONA. In allen Sätteln wird der "Goldjunge" seinem Ruf gerecht. Selbst auf dem des Busfahrers, um besser Autogramme zu geben."
Tatsächlich hatte ich irgendwie am Bus auf einem Zettel ein Autogramm von DIEGO erkämpft und bekommen - Wahnsinn! Nur wenige Minuten dauerte leider meine Freude darüber an, als mich vor der Ausfahrt ein junger Mann darauf ansprach und es sehen wollte. Nichtsahnend und vielleicht etwas naiv - obwohl man durchaus mal seine "Errungenschaften" vorzeigte oder jemanden danach fragte - zeigte ich es ihm. Er griff sogleich zu und lief davon ... Wie Ben Johnson und ich auch noch mit Tasche gehandicapt ... Ich hinterher, aber letztlich keine Chance ... Dumm gelaufen ... Unter der eingeklebten DR-Fahrkarte habe ich geschrieben: "23:57 Rückfahrt (demoralisiert)" Aber das ist längst verarbeitet und vergessen, denn viel mehr als der Krakel von Maradona (der schöner zur Fußball-WM im "Sportecho" gedruckt wurde) zählte doch (angelehnt an den neapolitanischen Sommerhit des Jahres 1984: "Oh Mama, Mama, Mama, ich habe Maradona gesehen."): Ich habe Maradona wirklich live gesehen, sogar aus der Nähe, mehrfach. Und - o.k., schade - ich hatte mal kurz ein Autogramm von ihm ... (Dafür aber viele andere.) Ja, es gab ihn wirklich, und mit nur 1,65 Meter Körpergröße. Noch 10 cm kleiner als ich ... (Im Fernsehen wirken sie immer größer.) Aber er war ein ganz Großer, der Millionen begeisterte und ansteckte mit seiner unbändigen Spielfreude und -technik. So bleibt er in Erinnerung!
"Maradollar" bei Barca gegen den SV Meppen
Maradona gab sein Profidebüt am 6. Geburtstag des Autors dieser Zeilen, der davon natürlich nichts mitbekam :-). Zuerst nahm ich ihn bei der Fussball-WM 1982 wahr, bei der er aber keine gute WM spielte, auch weil er viel getreten wurde. Negativer Schlusspunkt für ihn (und Argentinien) war die Rote Karte nach einem groben Foul im Spiel gegen Brasilien. Auch dessen Vorgeschichte hat Maradona in seiner Biographie erklärt. Den Ehrentreffer zum 1:3 ebenfalls kurz vor Schluss erzielte Ramon Diaz, der auch eine Saison in Neapel spielte, Torschützenkönig bei der U20-WM 1979 in Japan und gemeinsam mit Maradona Fussball-Weltmeister der Junioren. Diaz war es übrigens auch, der den letzten ausländischen Treffer vor dem Mauerfall in der DDR schoss (!)
Es geschah am 1. November 1989 in (Ost-)Berlin im Europapokal der Pokalsieger beim Spiel BFC Dynamo - AS Monaco, als Diaz mit einem herrlichen Freistoß kurz vor Ende der Verlängerung die BFC-Europapokalhistorie beendete ... Der Autor dieser Zeilen war dabei ebenso anwesend wie bei den letzten Europapokal(heim)spielen des Chemnitzer FC und 1. FC Magdeburg ... wohl für alle Zeit ... Aber welches Spiel war 1989 - 1991 nicht "historisch"?
Jenes 1:3 Argentiniens gegen Brasilien 1982 ging im "Sarria" von Barcelona über die Bühne. Ins größere Stadion der Stadt, ins "Camp Nou", wechselte Maradona nach jener WM, zum FC Barcelona. Sein Wechsel nach Europa vollzog sich jedoch sozusagen eine Spielzeit zu spät, sonst hätte er bereits wenige Monate zuvor im Pokalsieger-Wettbewerb in Leipzig beim 1. FC Lok spielen können, am 3. März 1982 im Zentralstadion. Barca mit Trainer Udo Lattek holte danach den Cup, zu Hause im "Camp Nou". Als danach Maradona dort eintraf und aufgrund seiner hohen Ablösesumme "Maradollar" genannt, führte ihn der Zufall zum ersten Spiel mit seinem neuen Verein nach Meppen ins Emsland! Gegen den SV Meppen gab er also Anfang August 1982 sein Barca- und Europa-Debüt! Auf diese inzwischen oft erwähnte kuriose Anekdote brauche ich hier nicht weiter eingehen.
"FC Maradona" in Magdeburg
"FCM zerbrach am Fußball total des "FC Maradona" 1:5 gegen Weltklassegegner / Barcelona klar überlegen
(So titelte die LDZ und Sportredakteur Axel Meier nach dem Europapokal-Hinspiel der Pokalsieger vom 14. September 1983)
Weniger bekannt ist vielleicht, dass Maradona etwa ein Jahr später seinen ersten Auftritt in der DDR hatte und dass die Magdeburger das unglaubliche Glück hatten, den noch halbwegs "unzerstörten" Maradona mit einer Tor-Gala (3 Tore) zu erleben, nur zehn Tage vor dessen vielleicht erster großer Verletzung nach einem brutalen Foul von Andoni Goikoetxea, dem "Schlächter von Bilbao", wie getitelt wurde. Im Rückspiel des 1. FCM fehlte der noch 22-jährige Maradona bereits und fiel über drei Monate verletzt aus, das restliche Jahr 1983.
Als einziger DDR-Spieler war Damian Halata 1983 für Magdeburg und 1988 für Leipzig gegen Maradonas Klubmannschaften dabei. 1988 ergatterte Halata Maradonas Trikot, das er nun (in) einer Zeitung zeigte. Kurz-Auszug aus einem Maradona-Interview in der LDZ vor dem Leipzig-Spiel (Er hatte zuvor von Video-Studien Leipziger Spiele gesprochen.): Frage (Wolf-Dietrich Balzereit): "Wer fiel Ihnen bei Lok besonders auf?" Antwort: "Vor allem Damian Halata, den ich noch vom Spiel in Magdeburg kenne. Nach seinen fünf Toren sind wir gewarnt." Frage: "Mit dem FC Barcelona gewannen Sie damals 5:1 in Magdeburg. Denken Sie in Leipzig an ein ähnliches Ergebnis?" Antwort: "Wir sind hierher gekommen, um zu gewinnen. Mit dem Spiel vor fünf Jahren läßt sich die Partie nicht vergleichen. Jedes Spiel läuft anders. Aber ich glaube, der SSC Neapel ist noch besser besetzt als Barcelona seinerzeit." Übrigens: Halata war erst kurz vor Saisonbeginn 1988/89 nach Leipzig gewechselt. Im Sommer 1988 sah ich ihn noch beim IFC-Spiel der Magdeburger gegen Bayer 05 Uerdingen (1:2) mit Trainer Rolf Schafstall, der unlängst starb.
Das Los führte 1983 die Pokalsieger Spaniens und der DDR in der 1. Runde zusammen. Das Hinspiel in Magdeburg fand vor 32.000 Zuschauern statt und war von Spielbeginn an eine klarer "Klassenunterschied". Es endete mit 1:5 (0:2) u.a. durch die drei Tore von Maradona (14., 76., 79. Foulstrafstoß). Auszug aus der LDZ: "Die erste "Falle" schnappte bereits zu, ehe einige Spieler des DDR-Pokalsiegers überhaupt richtig zur Sache gingen. Kapitän Pommerenke vertändelte das Leder im Mittelfeld gegen Schuster, blitzschnell trat Maradona an, flankte haargenau auf den Kopf des BRD-Auswahlspielers, und schon war es passiert: 0:1 nach 120 Sekunden. "Einen schlechteren Anfang hätte es nicht geben können", ärgerte sich FCM-Schlußmann Dirk Heyne." Der FC Barcelona "hatte im schwarzlockigen Wirbelwind Diego Armando Maradona, der über den regennassen Rasen fegte wie ein Orkan über die Pampa seiner argentinischen Heimat, den überragenden Mann auf dem Platz."
Barca-Trainer Luis Cesar Menotti, Argentiniens Weltmeistertrainer von 1978, wird zitiert: "Durch die frühen ToreDer Spielbericht endet mit diesen Sätzen: "Was folgte, war das Reagieren einer vollends demoralisierten Elf gegen das Agieren der spanischen Weltklassevertretung. Im Mittelfeld liefen Wittke (gegen Schuster), Pommerenke (gegen Alonso) und Steinbach (gegen Victor) ihren Gegenspielern fast nur hinterher. Cramer konnte Maradona nun nicht mehr stellen. Die Spanier erstickten durch ihr nun vorzügliches Forechecking zudem jede Angriffsentwicklung der Magdeburger im Keim. Viele Bälle wurden schon an der Mittellinie abgefangen, und dann brannte es bei den schnellen Steildurchbrüchen jedesmal lichterloh. Die beiden Tore zum 1:4 und 1:5, und weitere klare Gelegenheiten (u.a. Lattenschuß Schusters) dokumentierten die Überlegenheit des Fußball total bietenden "FC Maradona". "Wir standen wie das "Kaninchen vor der Schlange". Der Gegner, der zu den besten Klubmannschaften der Welt gehört, hat uns gezeigt, wie man Fußball spielen kann", anerkannte FCM-Trainer Claus Kreul.
Auf dem Schwarz-Weiß- bzw. Schwarz-Grau-Foto ist nicht viel zu erkennen, am schlechtesten Maradona, der vielleicht zu schnell für die Kamera oder den Fotografen war? Bilduntertitel: "AUSNAHMEKÖNNER. Diego Armando Maradona, der sich hier gegen seinen Bewacher Gerald Cramer (rechts) durchsetzt, unterstrich mit drei Toren in Magdeburg seine Extraklasse."
Aber auch ein Ausnahmekönner wie Maradona schoss nicht in jedem Spiel Tore und gleich drei auf einmal auch nicht allzu häufig. Insofern hatten die Magdeburger Zuschauer Glück. Doch Maradona konnte viel mehr als Tore schießen! (Sportlich gesehen - und dabei möchte ich es belassen. 🙂 Dass er lebte wie er spielte - immer am Limit - ist hier nicht das Thema.
Denn er hatte es auch schwer durch seine fußballerische Extraklasse und Genialität, mit seiner riesigen Popularität als Volksheld, dem Erfolg, dem vielen Geld und im vielzitierten "goldenen Käfig" klarzukommen, aus dem er immer mehr auszubrach, und mit all den Begehrlichkeiten, Möglichkeiten, Problemen und Gefahren: Seid umschlungen, Millionen! Seid verschlungen, Millionen ... Das Leben, der Lebensstil, die Drogen, die Volksnähe, der Ruhm - all das hatte seinen Preis.
Auszug aus einem "Sportecho"-Interview mit Maradona im Hotel "Merkur" in Leipzig vor dem Spiel am 26. Oktober 1988:
Frage (JENS MENDE): "Haben Sie wieder wie vor fünf Jahren in Magdeburg Ihre ganze Familie als Unterstützung mitgebracht?"
Antwort: "Nein. Mit dem SSC ist dies auch nicht mehr nötig. Ich bin jetzt wesentlich ruhiger als beim FC Barcelona, denn ich fühle mich in Neapel wie zu Hause."
Gefoult & attackiert
Und wie häufig wurde Maradona gefoult ... attackiert, umgetreten oft von rabiaten fußballerisch limitierten Spielern, die sich nicht anders zu helfen wussten gegen seine Spielkunst und ihn "mit allen Mitteln ausschalten" sollten. Wenige Videosequenzen reichen aus, um Maradona ständig gefoult am Boden liegend mit schmerzverzerrtem Gesicht und fluchend zu sehen ... Insbesondere in den 1980er Jahren herrschten rauhe "(Un-)Sitten" gegen alle, die besser spielen konnten. Von den Schiedsrichtern wurden sie oft nicht ausreichend geschützt ... Konsequentes Kartenzeigen wie heute und Videobeweise gab es noch nicht, brutale Fouls und schwere Verletzungen waren an der Tagesordnung. Bundesliga-Rekordhalter Klaus Gjasula, was die Anzahl an Gelben Karten in einer Spielzeit angeht (17 in der Bundesliga-Saison 2019/20 für den SC Paderborn, spielte zuvor beim HFC), ist mit seinen vielen taktischen und kleinen Fouls fast noch ein "Waisenknabe" im Gegensatz zu den vielen groben und rüden Fouls (mit oft bewusst in Kauf genommenen Verletzungsfolgen) der Abwehrspieler-Generationen vor ihm.
Zehn Tage nach dem Spiel in Magdeburg wurde Diego beim Spiel des 4. Spieltages 1983/84 gegen Athletic(o) Bilbao am 24. September 1983 von Andoni Goikoetxea (damalige und andere Schreibweise hier: Goicoechea) brutal von der Seite gefoult. Auch diese schlimme Szene hält youtube natürlich bereit ... Des weiteren findet man diverse Zeitungsartikel und Berichte schnell und Überschriften wie diese: "Der "Schlächter von Bilbao" haut Maradona mit der brutalsten Blutgrätsche aller Zeiten um" ... Jedenfalls wurde Goikoetxea 2007 in der "Times" auf einer Liste der 50 härtesten Spieler aller Zeiten auf Platz 1 eingestuft und ebenso 2013 in "11 Freunde" in der Rangliste zum härtesten Spieler aller Zeiten gekürt ... Das Foul an Maradona hatte unvermeidlich auch eine Vorgeschichte (z.B. schweres Foul an Bernd Schuster, der auch lange ausfiel) und "Nachspiel" im Pokalfinale 1984, sodass Maradona nach Neapel "floh" ... Auch diese Tumulte kann man sich anschauen.
Ganz unschuldig und unclever war Diego Maradona selbstredend auch nicht: Vier Jahre nach der "Hand Gottes" in Mexiko - es war die linke - sorgte Maradonas rechte Hand für Ärger. Nach dem überraschenden 0:1 im Eröffnungsspiel gegen Kamerun brauchte der Weltmeister am 13. Juni 1990 aus Maradonas Heimspiel in Neapel gegen die Sowjetunion unbedingt einen Sieg. Dem 2:0-Erfolg durch Tore von Troglio (27.) und Burruchaga (79.) - 1986 Siegtorschütze - half der erfahrene Schiedsrichter Erik Fredriksson aus Schweden auf die Beine, als er übersah, dass Maradona Oleg Kusnetzows Kopfball auf der Linie mit der Hand aufhielt. Luis Suarez (der allerdings "Rot" bekam) bei der WM 2010 lässt grüßen ... Auch gegen ein anderes (noch-)sozialistisches Land hatte Maradona 1990 "Glück im Unglück": Im Elfmeterschießen gegen Jugoslawien traf Diego Maradona nicht. Letztlich kam Argentinien glücklich weiter, da zuletzt ein Bosnier vergab ... Im Finale war irgendwann Argentiniens Glück aufgebraucht.
Du warst der Größte! MUCHOS GRACIAS!
Als wäre es abgesprochen gewesen oder "inszeniert" worden, diese Dramaturgie: Einen Tag, bevor Diego starb, machten große finanzielle Probleme des SSC Neapel internationale Schlagzeilen: Die Spieler hätten seit Monaten keine Gehälter bekommen, mächtige Unruhe etc. Dann der tiefe Schock mit der Todesnachricht ihres "unsterblichen Heiligen" DIEGO. Wiederum einen Abend später gewann SSC Neapel in der Europa League gegen den FC Rijeka 2:0. Die lange Fackel-Choreo in Neapel ging um die Welt. Was für eine (zu erwartende) weltumspannende tiefe Trauer und echte Anteilnahme, nicht nur in Argentinien und Neapel ... !
Viel wäre noch zu bemerken, in Erinnerungen zu schwelgen, von Toren und Tricks zu schwärmen uvm. So manches könnte der Autor, übrigens auch ein feiner Linksfuß (1983÷84 antrainiert :-), noch aus unendlichen Seiten und ausgeschnittenen und eingeklebten Artikeln über und von Maradona zitieren ... insbesondere von der Fußball-WM 1986 und eben von dessen legendären Auftritt in Leipzig 1988. Aber es sei damit belassen.
Ich erinnere (mich) an die vielen schönen Spielzüge, unvergessene Spiele; ich verweise auf die zahllosen Videos, die seinen fußballerischen Glanz für die Nachwelt weiter strahlen lassen!
DIEGO - Du warst der Größte! DANKE! MUCHOS GRACIAS!
R.I.P. (Mara)dona nobis pacem
Andreas Thulin, Halle (Saale)
30.11.2020