Als Johann Gottfried Seume im Frühjahr 1804 von einer Reise ins Riesengebirge zurückkam, bemerkte er mit Entsetzen, dass auf Anordnung des Magistrats im Rosenthal viele herrliche alte Bäume gefällt wurden, um Platz für Entwässerungsgräben zu schaffen. Im Zorn über diesen Frevel verfasste er am 12. Mai als Ausdruck seines Protestes eine Elegie mit dem Titel Die Dryade (Als man anfing, das Rosenthal bei Leipzig auszuhauen), die schmerzliche Klage einer Baumnymphe der griechischen Mythologie über die angerichteten Verwüstungen:
Jammert, ihr Schwestern und Kinder! ach! jammert, meine Verwandten,
Meine Lieblinge! weinet mit mir die Zähre der Wehmut!
Die Erhabensten unsers Geschlechts, die Zierden des Waldes,
Ach! sie stürzen mit ihren Wolkenkronen zu Boden.
Herzlose Männer zerstören den Hain mit wütender Mordaxt,
Und der Schlag hallt von der Entheiligung weit in der Flur fort.
Meine Geliebtesten fallen, die starken, die Helden des Tales,
Denen das rauschende Laub noch gestern um's männliche Haupt klang.
Ach! sie liegen entkleidet, die schönen Glieder zerschmettert,
Liegen mit Schande geschlagen umher in dem Gras und sterben ...
Als herzlose Männer, Mörder und Frevler werden die Holzfäller und ihre Auftraggeber, der Leipziger Magistrat, hart angeklagt, und empört wird die Frage gestellt:
"Haben die Männer des Lindenhains die Seelen von Eisen?"
Seume schickte das Gedicht an seinen Freund Garlieb Merkel nach Berlin, der es am 22. Mai in seiner Zeitschrift Der Freimüthige abdruckte. Seumes Kritik in gebundener Rede erregte die Gemüter der angesprochenen Leipziger Ratsherren wohl sehr und sollte offensichtlich zu einer Maßnahme gegen Seume führen, der daraufhin mit einer klärenden Stellungnahme zurückruderte: Einige Worte über unser Rosenthal wurden in der Leipziger Zeitung für die elegante Welt vom 3. Juli 1804 veröffentlicht. Darin entschuldigte er sich für seine scharfen Worte. Er bekannte, dass es ihm leid tue, "wenn ich vielleicht Veranlassung zu Übertreibung und Missdeutung gegeben habe", und dass er das Gedicht "schnell in dem ersten Anfall von Ärger" geschrieben habe, "den allerdings damals fast das ganze Publikum mit mir teilte". Seume behauptete zwar weiterhin, "es sind, meines Bedünkens, ungefähr ein Dutzend schöne große herrliche Eichen zu viel gefällt", versicherte aber vor allem den auswärtigen Besuchern der Stadt, dass "keine totale Zerstörung" geschehen sei. Er rückte von seiner überzogenen Kritik ab, betrachtete die Angelegenheit nun nüchterner, legte seinen Standpunkt über die Reinigung von Flüssen dar und schloss sogar mit einem Lob des Magistrats:
"Der hiesige Magistrat ist übrigens wohl dafür bekannt, dass er für die Verschönerung des Orts und für das Vergnügen der Einwohner etwas thut. So unbestechlich ich gegen alle Missbräuche bin, so bereit werde ich immer sein, jedem Guten auch laute Billigung zu geben." Damit hatte Seume die Ratsherren wohl versöhnlich gestimmt und das gute Einvernehmen wieder hergestellt.
Zänker, Eberhard: Johann Gottfried Seume - Eine Biographie, Leipzig 2005.