Im letzten Jahr streikten in Spanien über 5 Millionen Menschen im Haushalt oder legten ihre Arbeit nieder. Die Bewegung richtete sich vor allem gegen sexistische Diskriminierung und sexualisierte Gewalt. Am 8. März wollen, davon inspiriert, auch in Deutschland bundesweit Menschen ein Zeichen gegen Sexismus setzen. In fast 30 Städten organisieren daher örtliche Gruppen die Aktionen an diesem Tag.
Wir schreiben das Jahr 2019. Von der futuristischen Anmutung unserer Zeit abgesehen, fühlt es sich manchmal so an, als würden wir, geht es um feministische Ideen, weit in eine vormoderne Zeit zurückgeworfen. Frauenwahlrecht, Gleichberechtigungsgesetze, Elterngeld, die Anerkennung ‚diverser‘ Geschlechts-beschreibungen bei der Geburt und Ehe für alle, das sind Schritte zu mehr Gleichberechtigung. Gerecht geht es zwischen den Menschen trotzdem noch nicht zu. Egal, ob es um angeblich typische Eigenschaften geht oder um Ehe-Privilegien, um die mies bezahlten Jobs in der Pflegebranche, um unbezahlte Arbeit oder um die mediale Darstellung von Frauen als verfügbare Objekte. Die geschlechtergerechte Verteilung der Aufgaben in der Familie, der Lohnarbeit, des Gehalts und der Anerkennung befinden sich noch immer in einer erheblichen Schieflage.
Auch Paare, die eine gleichberechtigte Beziehung führen wollen, schlagen mit dem ersten, spätestens dem zweiten Kind eine traditionelle Rollenverteilung ein. Ein gutes Jahr nach der Geburt des zweiten Kindes haben Mütter im Durchschnitt 22 Monate Elternzeit genommen und ihre Arbeit ruhen lassen, Väter hingegen ca. 6 Monate (Väterreport 2018). Die Karrierechancen der Frauen sind damit weitaus mehr beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass die Frauen in den meisten Fällen entscheiden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um den Familienalltag, Haushalt und die Kinderbetreuung zu regeln. Höheren Positionen im Job steht diese Entscheidung oft im Weg. Die ungleiche Rollenverteilung wirkt auch bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Partnerschaft. Verabredungen mit Familienangehhörigen und Freund*innen treffen, Essensversorgung für die Familie sicher stellen, Kleidergrößen der Kinder kennen und Klamotten ranschaffen, Weihnachtsfeste und Kindergeburtstage organisieren, in Kontakt mit der Kita sein, Arzttermine und so weiter übernehmen in der Regel die Frauen. Sich gedanklich mit all diesen Dingen - neben dem Beruf wohlgemerkt - zu beschäftigen, erfordert einen immensen Aufwand, der zur Überlastung führen kann. Dass es sich hierbei um Arbeit handelt und enorme kognitive Kapazitäten in Anspruch nimmt, wird wenn überhaupt als solche anerkannt, als völlig selbstverständlich bei den Frauen verortet, manchmal sogar als „natürlich“ im biologischen Sinne aufgefasst.
Die gemeinsame Vision einer geschlechtergerechten
Gesellschaft fällt nicht vom Himmel.
Ungleichheit und eine paternalistische Bevormundung per Gesetz gibt es auch immer noch bezüglich des weiblichen Körpers. Dies verdeutlicht §218, der die Abtreibung regelt und §219a, welcher die Werbung für Abtreibung verbietet. Nach §218 ist der Schwangerschaftsabbruch weiterhin verboten, wird durch das Einhalten einiger Maßnahmen (Beratungsgespräche, ärztliche Bescheinigung) legal. Dass Ärzt*innen keine Informationen zum Schwangerschaftsabbruch veröffentlichen dürfen, schlug 2017 mediale Wellen. Die betroffene Ärztin verklagt (ZEIT 2017). Keine Frau entscheidet sich leichtfertig zu einem Schwangerschaftsabbruch. Neben dem körperlichen Eingriff, ist die emotionale Belastung - das Hadern, Zweifeln, Schuldgefühle – extrem hoch. Was der Diskurs grundsätzlich vernachlässigt, ist, dass Männer zu 50% mit verantwortlich sind an einer Schwangerschaft. Trotzdem müssen sie nicht zu einer Beratung, weil sie unverantwortlich gehandelt haben.
Männer und Frauen gegeneinander auszuspielen oder Männern persönliche Schuld an allen gesellschaftlichen Verhältnissen zu geben,
kann nicht sinnvoll sein
Männer und Frauen an dieser Stelle gegeneinander auszuspielen oder Männern persönliche Schuld an allen gesellschaftlichen Verhältnissen zu geben, kann bei Überlegungen zur Gleichberechtigung nicht sinnvoll sein. Würden die Verhältnisse gleichberechtigter, wären auch sie von männlichen Rollenerwartungen befreit und könnten sich vielfältiger ausleben (z.B. ihren sensiblen Seiten nachgehen, Fürsorgeverantwortung übernehmen, auf Karriere verzichten). Das setzt aber voraus, dass akzeptiert wird, dass die Gesellschaft unter dem Einfluss des über Jahrhunderte währenden Patriarchats leidet unser Verhalten bestimmt und geschlechtsspezifische Rollenerwartungen an die Menschen hegt. Dieser Schieflage und auch dem Trend eines konservativen, anti-feministischen Backlash (Strategie des Gender-Marketing, Parolen von „Genderwahn“ rechter Strömungen) kann nur gemeinsam etwas entgegengesetzt werden. Die gemeinsame Vision einer geschlechtergerechten Gesellschaft fällt nicht vom Himmel. Dafür müssen sich Menschen engagieren, solidarisieren und ihre Interessen artikulieren. Ein feministischer Streik wäre eine Möglichkeit, aber ...
Das Streikrecht
Das Streikrecht in Deutschland ist das restriktivste in ganz Europa. Es koppelt das Recht auf Streik an die Gewerkschaften, die zunehmend nur noch eine Vermittlungsposition zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden ausfüllen. So darf beispielsweise nur gestreikt werden, wenn es um eine Tarifverhandlung geht. Ein politischer Streik, also das Niederlegen von Arbeit um politische Forderungen zu stellen, ist gesetzlich verboten.
Würde es dennoch zu einem politischen Streik kommen, wären die betroffenen Unternehmen dazu in der Lage erhebliche Schadensersatzansprüche gegen die Streikenden geltend zu machen und den Streikenden zu kündigen. Dies schützt nicht nur die Unternehmen, sondern auch den Staat vor unerwünschten Veränderungen und unterdrückt so eine soziale Kultur des Aufbegehrens gegen Ungerechtigkeiten. In anderen Ländern hingegen ist das Streikrecht ein individuelles Menschenrecht und legitimes Mittel, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken.
Rückblick: 1994 – Situation in Deutschland
Die Streikbewegung in Deutschland war schon einmal sehr populär, doch die Resultate sind leiser, als es der politische Wille war. Das war 1994 als 1 Million Frauen in Deutschland auf die Straßen gingen, um sichtbar zu werden. ‚Nicht arbeiten, nicht einkaufen, nicht höflich lächeln‘ – so hieß einer der Slogans der Bewegung. FrauenStreikTag hieß damals auch, dass Frauen da, wo sie sind, in den Zusammenhängen, in denen sie sich bewegen, ihre eigene Form der Verweigerung, des Protestes und des Einforderns ihrer Rechte finden. Dies kann sowohl der Konsumboykott, als auch die Verweigerung des Lächelns sein (Eine gängige Erwartung an Frauen ist, dass sie stets lächeln und freundlich sind.), das Aufgeben jeglicher Hausarbeit oder anderer Versorgungsaufgaben, die wir als Reproduktionsarbeit bezeichnen.
.. und heute ? ..
Heute braucht es daher wieder Mut und eine Sensibilisierung von Sprache, eine Diskussionskultur, die auf Empathie setzt und Deutungsrahmen, die alle diskriminierten Menschen mit einbeziehen. Und wir brauchen eine noch umfangreichere Solidarität untereinander, um ein Streikrecht zu etablieren, das die Zivilgesellschaft vor dem schieren Ausgeliefert-sein schützt. Es braucht eine Kultur der Vielfalt.
Um daran zu arbeiten trifft sich seit einigen Monaten in Halle regelmäßig die Aktionsgruppe Frauen*Streik. Mit kreativen, politischen Aktionen will die Gruppe zum Internationalen Frauentag am 8. März 2019 im Rahmen einer Demonstration auf bestehende Geschlechterungerechtigkeiten aufmerksam machen.
Die regelmäßigen Treffen finden im Februar jeden Montag in der Weiberwirtschaft des Dorn Rosa eV statt.
Jay Parker und Anne Pinnow sind Mitglieder der Aktionsgruppe Frauen*Streik