Wer in Halle und anderswo seinen Lebensunterhalt in prekären Jobs verdienen muss,tut gut daran, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Denn Betriebsräte sind in Call-Centern oder in der Gastro immer noch eine Ausnahme. Als eine Pizzakette in Halle zwei junge Mitarbeiter um ihren restlichen Lohn prellen wollte, organisisierte die Basisgewerkschaft FAU schnell, wirksam und auch erfolgreich solidarischen Widerstand. Wir sprechen mit der FAU über ihr gelebtes kämpferisches Gewerkschaftsmodell jenseits von „Tarifgesprächen“ und „Sozialpartnerschaft“.
Gewerkschaften, Tarifverträge, Urlaubsgeld oder Rentenansprüche - das sind doch für Menschen, die prekär im Niedriglohnbereich arbeiten wohl eher Vokabeln aus einem unbekannten Paralleluniversum. Was kann ein betroffener Mensch sich von einer Mitgliedschaft in der FAU erhoffen?
Die FAU setzt sich für die Verbesserung der konkreten Arbeitsbedingungen ein. Kollegen und Kolleginnen erhalten bei uns eine Beratung über ihre Ansprüche und Rechte. Wir helfen dabei, diese Ansprüche auch durchzusetzen, ob direkt oder auf juristischen Weg. Es ist eine empowernde Erfahrung sich gemeinsam zu wehren und macht Appetit darauf weitere Verbesserung anzugehen.
Wir geben den Kolleg*innen die Möglichkeit ihr eigenes Wissen und und Selbstvertrauen im Umgang mit diesen Dingen zu verbessern. Außerdem bieten wir Ideen und Perspektiven, langfristig nachhaltige Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen. Das geht natürlich nur über einen längerfristigen Austausch mit seinen eigenen Kolleg*innen im Betrieb. Auch hierfür bilden wir uns in Organizingkonzepten weiter.
Kaum ein Boss zahlt freiwillig Urlaubsgeld. Das kann man sich aber über Tarifverträge sichern
Außerdem ist natürlich auch wichtig, dass wir generell ein offenes Ohr haben für Probleme rund um die Lohnabhängigkeit, sei es mit dem Amt oder auf Arbeit. Dass man jemand zum zuhören hat und merkt, dass man nicht allein ist, ist für sich oftmals schon viel wert.
Übrigens: Dass diese vier Begriffe so fremd klingen hängt natürlich zusammen. Kaum ein Boss zahlt freiwillig Urlaubsgeld. Das kann man sich aber über Tarifverträge sichern, genau so wie bessere Löhne, die zu höheren Rentenansprüchen führen. Tarifverträge gibt es aber nur mit einer Gewerkschaft. Bei prekärer Beschäftigung geht es aber nicht nur um niedrige Löhne: Befristungen, Teilzeitarbeit, Scheinselbstständigkeit und Leiharbeit macht es schwer die Kolleg*innen im Niedriglohnsektor zusammenzubringen um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Darum tut sich da auch so wenig bei den Löhnen.
Welche Art von Unterstützung habt Ihr als Gewerkschaft im Fall UNO-Pizza konkret leisten können - und auf welche Weise führte dies zum Erfolg?
In dem Konflikt mit UNO-Pizza ging es um zwei Minijobber, die noch einige offene Lohnforderungen hatten. UNO-Pizza ignorierte zunächst das Forderungsschreiben eines der Betroffenen und wies die schriftlichen Forderungen unserer Sekretärin ohne Begründung zum größten Teil zurück. Daraufhin haben wir im Betrieb die Kolleg*innen über die Situation informiert und uns mit ca. 20 Personen vor ihre Hauptfiliale im Mühlweg gestellt. Direkt unter das Büro des Chefs.
Als wir so unsere Forderungen und Kritik an UNO-Pizza öffentlich gemacht haben, hat es knapp 30 Minuten gedauert bis der Geschäftsführer uns ein Gesprächsangebot machte. Parallel dazu hatten wir auch schon Klage eingereicht. Nach dem ersten persönlichen Gespräch und ein paar Telefonaten, haben wir uns auf eine Zahlung von jeweils 800€ geeinigt. So hatten Kollegen ihr Geld schnell in der Tasche und mussten keinen Monatelangen Gerichtsprozess führen.
Von den etablierten traditionellen Gewerkschaften hat Ottonormal-Arbeitnehmer das Bild, dass sie legitimiert und als "Sozialpartner" von den "Arbeitgebern" anerkannt werden müssen. Inwieweit sind freie Gewerkschaften wie die FAU den bekannteren Platzhirschen wie ver.di, IG Metall usw. gleichgestellt und akzeptiert?
Gewerkschaft ist das, was die Kolleg*innen, die Arbeiter*innen aus ihr machen. Wenn wir genügend Macht im Betrieb aufbauen können, dann ist es im Zweifel auch egal ob die Chef*innen uns akzeptieren wollen oder nicht. Dann müssen sie. Übrigens wollen wir auch gar keine „Sozialpartner“ sein. Wir wollen ein Wirtschaftssystem, dass sich an Bedürfnissen orientiert, nicht am Profit. Die Sozialpartnerschaft erhält letztlich den Kapitalismus, der die Menschen ausbeutet, Armut produziert und den Planet zerstört.
Gewerkschaft ist das, was die Kolleg*innen, die Arbeiter*innen aus ihr machen.
Freilich gibt es gewisse Rechtsprechungen, was als Gewerkschaft anerkannt wird und was nicht. Das ist ein Problem. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und Tarifvertragsgesetz (TVG) verstehen unter einer Gewerkschaft eine Arbeitnehmerkoalition, die tarifmächtig ist. Wie weist man nach, dass man tarifmächtig ist? Man muss Tarifverträge vorweisen. Tarifverträge darf man aber nur abschließen, wenn man als Gewerkschaft nach TVG anerkannt ist. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Letztlich hängt immer alles davon ab, was wir in der Praxis in der Lage sind durchzusetzen.
Historisch gesehen ist Halle ein bedeutender Ort der Arbeiterbewegung. Inwieweit orientiert Ihr Euch am hiesigen Erbe des 19. und 20. Jahrhunderts?
Nun streng genommen gar nicht. Dass wir uns FAU nennen hat natürlich mit unserer Vorgängerorganisation zu tun (FAUD, 1919-1933), die vor genau 100 Jahren gegründet wurde. In Halle waren aber eher andere revolutionäre Teile der Arbeiterbewegung mehrheitlich aktiv.
Einer Eurer Slogans als FAU lautet 'Mehr als eine Gewerkschaft'. Was genau sind weitere Felder Eurer Arbeit?
Der Slogan formuliert den Anspruch nicht nur eine Organisation zu sein, die innerhalb dieses kapitalistischen Systems wirkt, sondern auch darüber hinaus. Wir wollen eine solidarische, bedürfnisorientierte Gesellschaft in der Schale der alten aufbauen und die FAU soll dafür ein Gerüst sein. Darum sehen wir es zum Beispiel auch als unsere Aufgabe, die Gründung und Vernetzung von demokratischen Kollektivbetrieben zu unterstützen.
Wir wollen eine solidarische, bedürfnisorientierte Gesellschaft in der Schale der alten aufbauen
Es gibt viele Themen, die von den sehr verschiedenen Syndikaten (so nennen wir unsere lokalen und unabhängigen Ortsgruppen) bundesweit bearbeitet werden. Diese können reichen von klassischer Betriebsarbeit und dem Aufbau von Betriebsgruppen über Erwerbslosenarbeit, die Diskussion über die Zusammenhängen zwischen Feminismus und Gewerkschaft, bis hin zu Stadtteilarbeit und Mietkämpfen. Die FAU pflegt auch Kontakt zu anderen basisdemokratischen Gewerkschaften wie der Gefangenengewerkschaft GG/BO oder der Frankfurter Hochschulgewerkschaft Unter_Bau. Außerdem sind wir international vernetzt: zum Beispiel mit der IWW in Nordamerika oder der CNT in Spanien.
Wir in Halle beschäftigen uns neben den Lohnkämpfen noch intensiv mit Hartz-IV. Dabei beraten und begleiten wir die Kolleg*innen nicht nur, sondern suchen auch weitergehende Perspektiven in der Auseinandersetzung mit diesem repressiven System. Außerdem arbeitet eine AG an Möglichkeiten explizit feministischer gewerkschaftlicher Organisierung.