Seit April 2013 existiert die Idee, auf dem Gelände des „Alten Schlachthofs“ an der Freimfelder Straße eine nachhaltige und für alle offene Nachbarschaft zu errichten.
Für dieses Vorhaben wäre das 5,5 Hektar große und seit 1991 ungenutzte Gelände ideal, denn es liegt mitten in der Stadt und bietet genug Raum für die verschiedensten Nutzungen. Das Vorbild für diese Umwandlung eines großräumigen Denkmals der industriellen Revolution in modernen urbanen Lebensraum ist die Initiative „Neustart Schweiz“. Ausgangspunkt für diese Bewegung und auch für „Halle im Wandel“ ist das Problem des enormen Ressourcenverbrauchs, das durch unsere Art zu wohnen, den Verkehr und die Nahrungsmittelproduktion entsteht.
Aktiv im Hier und Jetzt
Dies sind keine auf Halle beschränkten Probleme und eine Nachbarschaft mit 500 bis 1000 Bewohnern in Halles Osten würde die Welt allein nicht retten können. Aber es ist wichtig, im eigenen Lebens- und Arbeitsumfeld aktiv zu werden anstatt den ökologischen und gesellschaftlichen Problemen ohnmächtig zuzusehen. Denn für jede der Hauptquellen des zu hohen Ressourcenverbrauchs gibt es praktikable Alternativen Der Verein „Neustart Schweiz“ (www. neustartschweiz.ch) will Nachbarschaften errichten, in denen das Leben lokaler, synergetischer und gemeinschaftlicher wird.
Inspiriert durch das Commons - Modell
Es geht darum, den Herausforderungen der Zukunft – Peak Oil, Klimawandel, ökonomische Krisen, verschwindende Lohnarbeit, Verknappung von Kulturland, Wasser und anderen Ressourcen – mit einer Ressourcen schonenden Lebensweise ohne Verlust an Lebensqualität zu begegnen. Diese multifunktionalen Nachbarschaften haben den Vorteil, sich aus der näheren Umgebung versorgen zu können. Dadurch fallen lange und energieintensive Transporte weg. Alle nötigen Dienstleistungen und Einrichtungen sollen durch den Einsatz aller BewohnerInnen (wenige Stunden im Monat pro Person) zur Verfügung stehen und so auch für Menschen mit kleinem Einkommen erschwinglich sein.
Das Beispiel Zürich
Investitionen in eine nachhaltige Infrastruktur sind ein Beitrag zur Überwindung der wiederkehrenden Finanzkrisen. Sie schaffen ein System, das unabhängig von Marktschwankungen funktioniert und ein sozial abgestütztes Auffangsystem gegen äußere Schocks darstellt. Solche Ideen können im kommunalen Rahmen auf große Unterstützung treffen – das zeigt das Beispiel der Stadt Zürich: in einer Abstimmung haben 76% der Bevölkerung dem Ziel, eine 2000-Watt-Gesellschaft zu werden, zugestimmt (www.2000watt.ch). Und seit 2008 ist die Umsetzung dieses Vorhabens bis 2050 in der Gemeindeordnung verankert.
Es geht dabei um eine Energienutzung, die die Ressourcen der Erde nicht wie heute übermäßig belastet. Es soll ein Niveau erreicht werden, das eine global gerechte Energienutzung aller Menschen auch in Zukunft ermöglicht. Das bedeutet neben der nachhaltigen und gerechten Ressourcennutzung auch den CO2-Ausstoß auf unter eine Tonne pro Kopf und Jahr zu reduzieren (wozu rein rechnerisch sogar eine 1000-Watt-Gesellschaft nötig wäre), um den Klimawandel zu stoppen. Allerdings sind diese Ziele bei unserer gegenwärtigen Lebensweise, ohne Komfortverlust und nur mithilfe nachhaltiger Energiequellen nicht zu erreichen. Es bedarf also anderer Formen des Zusammenlebens!
Areal mit Visionen
Die Genossenschaft „Halle im Wandel“ greift diese Überlegungen auf. Schon bei der Errichtung der Nachbarschaft soll Wert auf nachhaltiges Bauen gelegt weren. Der Nutzung bestehender Gebäude wird Vorrang vor Neubauten gegeben und mit erneuerbaren und recycelten Materialien sollen PlusEnergie- Häuser entstehen. Das sind Häuser, die – z. B. mithilfe von Fotovoltaik – mehr Energie produzieren als sie verbrauchen.
Das Gelände liegt mitten in der Stadt und ist somit sehr gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Für Situationen, in denen die Straßenbahn oder das Fahrrad nicht ausreicht, kann man Carsharing betreiben und somit lässt sich das Gelände nebenbei auch noch autofrei gestalten. Alle Einrichtungen und Dienstleistungen, die für das tägliche Leben wichtig sind, sollen innerhalb der Nachbarschaft zur Verfügung stehen. Sie werden gemeinschaftlich betrieben und genutzt. Und auch die Versorgung der Bewohner mit Nahrungsmitteln will die Genossenschaft in die eigenen Hände nehmen. Durch die Nutzung von ca. einem Hektar des Geländes als Anbaufläche in Kombination mit Ökolandbau in der Region auf weiteren 80 Hektar soll die Versorgung der Bewohner ohne lange Transportwege gewährleistet werden und gleichzeitig eine Rückkopplung an die Natur entstehen.
Ökologisch ist auch Sozial
Aber diese Nachbarschaft will nicht nur ökologische Ziele verfolgen, sondern auch gesellschaftliche Probleme, wie soziale Ungerechtigkeit und Ausgrenzung, aktiv bekämpfen. Ziel ist es, Lebensbereiche nicht zu entkoppeln, sondern Menschen zu vernetzen und zusammenzubringen. Jeder Mensch soll sich eingeladen fühlen und jede/r MitstreiterIn soll Raum für die Verwirklichung eigener Ideen haben, sich selbstbestimmt ausprobieren und entwickeln können. Das Projekt „Alter Schlachthof“ möchte einen Ort schaffen, an dem integratives Leben möglich ist, ein gemeinschaftliches, heterogenes Zusammenleben von Jung und Alt, von Menschen unterschiedlicher Herkunft und aus unterschiedlichen sozialen Lagen. Und gleichzeitig soll diese Nachbarschaft fest im Leben des Stadtteils Halle Ost verankert sein. Sie ist der Versuch, der Zersiedelung der Stadt entgegenzuwirken und möchte dem Viertel und der ganzen Stadt neue Perspektiven bieten.
Zu dieser Art des Zusammenlebens gehört es auch, kooperative Beziehungen statt Konkurrenz untereinander herzustellen. Das gemeinsame Wirtschaften in dieser Nachbarschaft soll nicht gewinnorientiert sein, sondern auf Gemeinwohlökonomie basieren. Tauschen und Reparieren sollen übermäßigen Konsum ablösen (z. B. durch Umsonstladen, Reparaturcafé, Tauschmarkt). Außerdem soll das lokale Gewerbe (Handwerk, Landwirtschaft) gefördert werden, damit ein Regionalmarkt entsteht, der der Zersiedlung unserer Stadt entgegenwirkt.
Erste konkrete Schritte
Die derzeitige Hauptaufgabe ist, eine Anschubfinanzierung für das Projekt auf die Beine zu stellen. Dazu befindet sich die Genossenschaft bereits in Gesprächen mit dem Verwalter des Geländes und der Stadt Halle, die dankenswerter Weise Interesse an einem Nutzungskonzept für das Schlachthofgelände gezeigt hat. Da der Weg bis zur fertigen Nachbarschaft lang ist und einige Zeit in Anspruch nehmen wird, sind verschiedene Zwischennutzungen in Planung: es soll bereits mit der urbanen Landwirtschaft begonnen und ein Stadtgarten eingerichtet werden. Außerdem will die Genossenschaft Bau- und Bastelworkshops organisieren und eine Recyclingwerkstatt ins Leben rufen. Das Projekt Alter Schlachthof beginnt bereits jetzt, die Stadt zu verändern. Das zeigt sich durch bereits bestehende Kooperationen mit anderen Einrichtungen in der Gegend, wie z. B. der Freiraumgalerie.
Um diese konkrete Vision zu verwirklichen, braucht die Genossenschaft „Halle im Wandel“ viele Mitstreiter. Jeder der sich beteiligen möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Eine Möglichkeit ist, der Genossenschaft beizutreten (www.genossenschaft.hallesche-stoerung.de). Der Genossenschaftsanteil soll während der 1. Generalversammlung am 4. November auf 50 Euro gesenkt werden. Aber natürlich sind auch alle anderen Arten des Engagements, jede Art von Unterstützung und alle Ideen, die der Verwirklichung dieses Projektes helfen können, willkommen!
Nils Wagner
Foto: Diana Neumerkel/ Blick vom Kühlhausdach/ Herbst 2013