Töpfern erfreut sich wieder einmal großer Beliebtheit. Nach Jahrzehnten der Digitalisierung und Virtualisierung steht vielen Menschen offenbar der Sinn nach handhabbaren Erfahrungen im echten dreidimensionalen Raum. Dementsprechend groß ist die Auswahl an niedrigschwelligen Büchern und Erklärvideos, nicht selten von Amateuren und Hobbykeramikern, die ein breites Feld keramischer Techniken beschreiben. Joachim Jungs Buch ist ausschließlich dem Geschehen auf der Töpferscheibe gewidmet und richtet sich an werdende Profis sowie an alle ambitioniert Lernenden. Es bietet ebenso gut aber auch einen Tiefeneinstieg für interessierte Laien und Anfänger.
Auf nunmehr 350 Seiten widmet sich der aus Thüringen stammende Töpfermeister seiner Spezialdisziplin, die er in jahrzehntelanger Praxis technisch und sprachlich durchdrungen und für alle Übenden nachvollziehbar dargestellt hat.
In den Augen gänzlich Unerfahrener scheint der Drehprozess verführerisch einfach zu sein: Ein befeuchteter Tonklumpen wird in Rotation versetzt und in Minuten erwächst wie von Zauberhand ein plastisches Gefäß mit spannungsvoller Silhouette. Diesen wohl für jeden Betrachter faszinierenden Vorgang nimmt Jung zum Ausgangspunkt, in dem er betont, dass alle sichtbare Leichtigkeit auf dem Einhalten universeller Prinzipien beruht. Der Lernprozess bestehe darin, diese Prinzipien zu verinnerlichen und nach und nach die beteiligten physikalischen Kräfte beherrschend in die Balance zu bringen. Fehler zu machen sei dabei unerlässlich.
Eingebettet in kulturgeschichtliche und persönliche Betrachtungen liefert der Autor eine ausgefeilte Didaktik des Scheibendrehens, inklusive einer genauen Beschreibung und Bebilderung typischer Fehler. Auch vorbereitende sowie im Anschluss an das Drehen folgende Arbeitsschritte werden detailliert beschrieben. Fortgeschrittene erhalten zu dem wichtige Hinweise für die Herstellung besonders ausladender oder mehrteilig zusammengesetzter Formen. Die Darlegung dieses Wissens kann man auch deshalb nicht hoch genug einschätzen, weil es sich um Arbeitsabläufe handelt, die so komplex und organisch miteinander verbunden sind, dass sie sich sprachlicher Beschreibung eigentlich entziehen und nur durch unmittelbare Erfahrung erlernbar sind.
Neben konkreten Handlungsabläufen vermittelt der Autor zugleich immer auch eine ästhetische Haltung, die auf traditionell überliefertem Handwerk beruht und die sich ausnimmt wie das organische Urstück zum Bauhaus-Mantra form follows function. Hierbei spielen bestimmte Gestaltungstechniken eine Rolle, die sich aus der Logik des Drehprozesses ergeben und die sich fortlaufend bis hin zum Oberflächendesign auswirken.
Mit einer großzügigen und sinnlich anregenden Bebilderung jenseits von Kochbuch-Ästhetik setzt dieses Buch auch visuell Maßstäbe. Mehr als 1000 Abbildungen liefern nicht nur wichtige Ansichten aller Zwischenstadien der Gefäß-Herstellung, sondern auch überzeugende Beispiele für fertige Gefäße und plastische Objekte. Sichtbar wird eine spielerische Vielgestaltigkeit möglicher Formen und Anwendungen von gedrehten Objekten. Die Bandbreite der beschriebenen möglichen Produkte reicht dabei von Klassikern der Töpferscheibe bis hin zu Wohnaccessoirs, Vorratsgefäßen für die alternative und nachhaltige Küche, Gartenkeramik oder Musikinstrumenten.
Fazit: Ein wichtiges und schönes Fachbuch über ein wirklich schönes Handwerk – für alle die es nicht nur wissen sondern auch können möchten.
Jörg Wunderlich
„Drehen auf der Töpferscheibe“ von Joachim Jung
stark erweiterte 3. Auflage, 352 Seiten, 1.230 Abb.,
incl. ein Poster A0 mit allen Drehschritten, Preis: 74,- EUR
zu bestellen beim Autor: info@jungbrunnen.biz