Die Feldlerche ist zum Vogel des Jahres 2019 erklärt worden. Und am 22. März jährt sich zum 131. Mal die Veröffentlichung des Reichs-Vogelschutzgesetzes vom 22.03.1888. Wichtige Vorgänger dessen waren die Preußischen Vogelschutz-Verordnungen von 1860 und 1867. An beiden arbeitete der Hallesche Zoologe Christian Gottfried Giebel (1820−1881) wissenschaftlich führend mit. Sein Wirken wurde in einer verschollenen Anthologie aus DDR-Zeiten erzählerisch gewürdigt:
Lerchenmägen für den König
Als Andreas die bestellten Lerchen im Haus des Dr. Giebel abgeben wollte, wischte die Hausmagd gerade den Fußboden. Er solle das Kästchen nur gleich zum Doktor ins Studierzimmer bringen, sagte sie, der warte schon darauf.
Andreas klopfte, hörte ein "Herein!" und betrat staunend das große Zimmer. Drei Wände waren mit Bücherregalen bedeckt, an den Fenstern standen große Tische und ein Stehpult. An diesem Pult lehnte ein dürrer Mann in einem grauen Kittel und schrieb mit einer kratzenden Stahlfeder.
"Guten Abend!", sagte Andreas. "Ich bringe die bestellten Lerchen". Der Doktor beantwortete den Gruß und öffnete das Kästchen, das Andreas vor ihm auf den Tisch gestellt hatte.
"Wie viele sind es denn?"
"Zwei Dutzend", antwortete Andreas. So viele habe er gar nicht erwartet, meinte Dr. Giebel und bat Andreas, ihm bei der Arbeit zu helfen, gegen ein geringes Entgelt. Andreas willigte ein und bald lagen die kleinen toten Vögel in einer langen Reihe auf dem Arbeitstisch. Alle wurden gewogen und ihre Länge sowie Flügelspannweite gemessen. Denn wurden sie mit einer Geflügelschere aufgeschnitten und Dr. Giebel präparierte mit einem Skalpell ihre Mägen heraus. Alles andere wurde weggeworfen. Andreas störte die Verschwendung.
"Das zahlt uns der König", meinte Dr. Giebel. Andreas wollte nicht glauben, dass der König das Zerschneiden und Wegwerfen von Feldlerchen bezahlte, die doch begehrte Delikatessen waren, gekocht oder gebraten.
"Ich bin", verkündete der Doktor, "Ornithologe - also Vogelkundler - und hier geht es darum festzustellen, ob Lerchen nützlich oder schädlich sind. Wie du siehst, sind sie sehr nützlich!" Giebel zeigte dem Jungen einen Mageninhalt: "Lauter Unkrautsamen und Ungezieferreste." Dann wurde der Mageninhalt gewogen, außerdem mussten alle Unkrautsamen gezählt werden.
"Und weil diese Vögel so nützlich sind, verbietet mein Entwurf einer preußischen Vogelschutzordnung ihren Fang und Verkauf völlig", erklärte der Doktor.
"Aber Hunderte von armen Familien ernähren sich vom Vogelfang!", sagte Andreas und dachte an die Mühe, die es gekostet hatte, die Lerchen mit Lerchenspiegel und Steckgarn zu fangen.
"Andere erleiden hunderte Taler Verlust dadurch, dass keine Lerchen da sind, die Ungeziefer und Unkrautsamen verzehren!", rief der Doktor aus. Andreas wollte das nicht glauben und zählte wortlos Unkrautsamen.
"Um die Nützlichkeit der Lerchen nachzuweisen, muss ich mindestens dreihundert ihrer Mägen untersuchen. Wenn du magst, kannst du mir dabei helfen." Andreas sagte, dass er es sich überlegen würde. Dann bekam er seinen Arbeitslohn ausgezahlt und verabschiedete sich. Nie wieder würde er dieses Haus betreten!
Seit frühesten Zeiten fingen vor allem arme Leute Singvögel, um sie zu verkaufen oder selbst zu verzehren. Gegessen wurden: Sperlinge, Wachteln, Feld- und Haubenlerchen, Amseln, Drosseln, Wacholderdrosseln (Krammetsvögel), Nachtigallen, Schwalben, Kuckucke, Stare, Widehopfe, Zaunkönige und Grünspechte. Für den Lerchenfang sind vier Fangmethoden bekannt:
- Vogelherd mit Locklerche
- Lerchenspiegel mit Steckgarn
- Tagnetz
- Nachtnetz
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stehen Singvögel in Deutschland unter Schutz. Vor allem in Italien waren sie bis vor kurzem noch begehrte Delikatessen. Als Folge des Insektensterbens sind vor allem Bewohner offener Ackerlandschaften (wie die Lerchenarten) um bis zu 80 % in ihren Beständen zurückgegangen.
BUND Südlicher Oberrhein über das Vogelsterben
Christian Gottfried Giebel im Professorenverzeichnis der Universität
Grafik: NABU-Aktion zur EU-Agrarreform