Unterberg 11. Von hier aus wird rund um die Uhr auf der UKW Frequenz 95,9 gesendet. Das besondere an der Radiostation, deren Ursprünge in das Jahr 1993 zurückgehen: Hier kann jede und jeder mitmachen! Das beginnt bei einer Mitgliedschaft im Trägerverein, reicht über Programmplanung, redaktionelle Arbeit und technische Absicherung des Sendebetriebs bis hin zur persönlichen Präsenz vor dem Mikrofon.
„Du kannst einfach deine Musik mitbringen und spielen!“, sagt Linh Pham begeistert. Sie ist die jüngste meiner GesprächspartnerInnen. Die drei eint, dass alle über ein Praktikum in Berührung mit dem freien Radio gekommen sind, eine starke Verbundenheit dazu entwickelt haben und ihm die Treue halten wollen.
Lizenz zum Senden
Mark Westhusen suchte 1999 während seines Studiums der Erziehungswissenschaften in einer Phase der Neuorientierung nach einem „einfachen Praktikum“. Zunächst hatte er in dem kleinen Büro in der Ulestraße tatsächlich nicht viel zu tun. Das änderte sich schlagartig, als aus Magdeburg die Lizenz zum Senden einging. Plötzlich fand er sich mittendrin im „Prozess CORAX“: Vollversammlungen der Vereinsmitglieder organisieren, Termine mit der Riesenanzahl von Leuten abstimmen, die Radio machen wollten, Korrespondenz mit Förderern, UnterstützerInnen, Geldgebern, Studio einrichten, Sendebetrieb organisieren...
Und der Entschluss: „Wenn andere ihre Mugge ins Radio bringen wollen, mach ich eben och `ne Sendung. Punk, natürlich.“ Die Sendung heißt SUBjektiv und es gibt sie heute noch. Mark blieb im Verein. Irgendwann war er Vorsitzender. Der Verein wurde größer, immer mehr Leute, immer vielschichtiger. Die Verantwortung wuchs. Als sich der wesentliche Wegbereiter von Radio CORAX, Thomas Kupfer, 2005 wieder mehr der inhaltlichen Arbeit zuwenden wollte, stieg Mark in seine Fußstapfen und wurde hauptamtlicher Geschäftsführer. Als solcher kümmert er sich um die Betriebsorganisation. Fünf Halbtagskräfte sind derzeit fest angestellt, um das anspruchsvolle Tagesaktuelle zu gestalten, das Gesamtprogramm zu koordinieren, Veranstaltungen zu planen und zu organisieren, Projekte zu entwickeln, kurzum den ganzen Betrieb abzusichern. Unterstützt werden sie durch PraktikantInnen und Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten.
Die Herausforderung: Ganz allein im Live-Studio
Linh kam durch einen „Unfall“ zu CORAX. Sie will Medien- und Kommunikationswissenschaften studieren und brauchte dafür ein Vorpraktikum. Daraus wurde ein Freiwilliges Soziales Jahr Politik. Vom ersten Tag an hatte sie die Möglichkeit zur redaktionellen Arbeit. Nach einigen Wochen schon kam das, was immer kommt. Jemand war ausgefallen, und sie musste das erste Mal den „Widerhall“, das einstündige Abendmagazin, moderieren. Bald schon folgte die nächste Herausforderung: Das Morgenmagazin von 7.00 – 10.00 Uhr, ganz allein im Studio. Allerdings hat sie von außen jede erdenkliche Hilfe erhalten, z.B. Tipps via Skype und Feedback per Mail. Mittlerweile ist sie regelmäßig auf Sendung. Während sie am Anfang noch jedes Wort aufgeschrieben und den Ablauf minutengenau geplant hat, stellt sich jetzt eine gewisse Routine ein und damit auch die Freude am Moderieren. „Bei CORAX kannst du das machen, was dich interessiert. Du musst keine Vorgaben abarbeiten. Es gibt keine Hierarchie, jeder hat Mitspracherecht.“ Zunehmend recherchiert und produziert Linh eigene Beiträge. So erfährt sie Selbstwirksamkeit. Sie ist selbstbewusster und sicherer geworden. Und sie hat ihren Freundeskreis mit CORAX vertraut gemacht. „Die Jugendlichen schwenken um. Sie wollen diese Dudelsender nicht mehr hören, die immer nur das gleiche abspielen und einfallslose Unterhaltung bieten. Formate wie ‘Lobpudelfleischwolf’, wo über Neuerscheinungen diskutiert werden kann, sprechen sie stark an.“
Interessante und schwierige Vielfalt
Auch Philine Lewek schwärmt: „Du kannst CORAX benutzen, um das zu tun, was du machen willst!“ Anders als Linh hat sie sich 2010 ganz bewusst für das FSJ Politik bei CORAX beworben. Die Bernburgerin arbeitete schon während ihrer Schulzeit aktiv in Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Das „phänomenale Erstgespräch“ bestätigte sie in ihrer Wahl. Sie wusste sofort: „Hier bin ich richtig, CORAX ist so cool, das fetzt mir!“ Sie fühlt sich wohl im Studio mit Zeit und Raum für ihre Musik, ihre Themen, ihre Projekte. Deshalb wollte sie auch da studieren, wo ihr Radio ist. Und sie wollte noch mehr Verantwortung dafür übernehmen. Bei den letzten Vorstandswahlen hat sie kandidiert und wurde gewählt. Als Mitgliederbeauftragte muss sie auf dem Schirm haben, wer alles beim Sender ist. Sie lernt unglaublich viele Leute mit den verschiedensten Einstellungen und Anliegen kennen. Sie führt interessante, manchmal auch schwierige Gespräche. CORAX versteht sich als diskriminierungsfreier Raum. Was das bedeutet, ist mitunter ein Aushandlungsprozess. Dabei kann die angehende Theologin ihr Kommunikationstalent einbringen. „Theologie studierst du?“, frage ich überrascht. „Ja, muss ich jetzt über Gott reden?!“ „Auch das ist möglich“, antwortet Mark mit sonorer Stimme. Wir lachen. In absehbarer Zeit wird Philine im Libanon ihre Studien im „Interreligiösem Dialog“ vertiefen. Ihrem Radio will sie dennoch verbunden bleiben. So wie etliche andere, die weit weg von Halle gezogen sind, „CORAX-Satelliten“ heißen sie.
Kein 'personal Dienstleister'
Linh möchte im Herbst gern ihr Studium in Halle aufnehmen. Aber im Augenblick heißt es für den Erhalt des Studienganges kämpfen. Halle muss ein Medienausbildungszentrum bleiben! Mark wünscht sich viele neue Mitglieder im Förderverein, so dass eine stärkere finanzielle Unabhängigkeit erreicht wird. Er träumt von einer größeren Sendeanstalt in einem eigenen Haus mit Club und Kneipe. Und von acht vollen Stellen. Dann hätte er vielleicht mal mehr Freizeit. Im Augenblick allerdings muss verstärkt Lobbyarbeit in der Stadt betrieben werden. Während CORAX ein bundesweit relevantes Projekt ist, dessen Leistung auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene gewürdigt wird, findet das freie Radio durch Teile der gewählten Autoritäten in Halle zu wenig Anerkennung. Zwar wird der Sender zum großen Teil aus Rundfunkgebühren finanziert, doch auch aus der Stadt kommen Zuschüsse. Einige Stadtverordnete wollen diese kürzen. Im Mai sind Wahlen. CORAX-Freunde sollten genau überlegen, wem sie ihre Stimme geben. Und sie sollten auch genau überlegen, wie sie in der Öffentlichkeit über ihr Radio reden. Einige Gruppierungen oder Initiativen in der Stadt erwarten, dass der Sender für sie Dienstleistungen erbringt, indem er unter anderem ihre Veranstaltungen bewirbt. Sie äußern sich enttäuscht, wenn nicht über sie berichtet wird und sinnieren über das fehlende Interesse. „CORAX ist kein Service-Unternehmen. Wir befähigen Leute, selbst aktiv zu werden, eigene Interessen laut zu machen. Wir schicken niemanden da oder dort hin“, macht Mark Westhusen unmissverständlich deutlich.
Solveig Feldmeier
Auf dem Foto: Die RadiomacherInnen: Linh Pham, Philine Lewek, Mark Westhusen, Stephanie Scholz (v.l.n.r.)/ T.Streifinger