„Denn der Stein, ohne Hände vom Berg gerissen, ist groß worden“...
Einen besseren Theaterstoff hätte man hierzulande im Reformationsjahr kaum aufgreifen können als die dialektische Konstellation zwischen dem Schriftprediger Martin Luther und seinem wortgewaltigen Jünger und Konkurrenten Thomas Müntzer. Das dachten sich wohl auch die Theatermacher von Schaustelle Halle und Theaterschafft Leipzig und schlossen mit ihrem neuen Stück eine Lücke.
Die Idee dazu entstand ihnen am historischen Schauplatz im thüringischen Kannawurf, wo sich ein versprengter Haufen aufständischer Bauern 1525 auf der Flucht vor den mansfeldischen Söldnern verschanzt hatte. „Wider den aufrührerischen Geist“, textete Luther damals und ermunterte zum Gemetzel an allen, die mit Forke und Brandfackel in der Hand zum ersten mal auf deutschem Boden die soziale Frage verkörperten. Fünfhundert Jahre später stellen sich die gleichen Fragen global.
Die Inszenierung „Hals über Kopf“ ist eine Melange aus historischem Exkurs und einer Abfolge von szenischen Miniaturen. Das funktioniert, weil es sich um minutiös ausgelotetes Regietheater handelt. Ein locker polemischer Einstieg im Agit-Prop-Stil eröffnet den Dialog mit dem Publikum, der sich als Faden durch den Abend zieht. Erstaunlich, wie wenig bekannt ist über das Phänomen Müntzer, trotz „Elefantenklo“ und Fünf-Mark-Schein-Konterfei. Fast lehrbuchmäßig im Sinne von Brecht und Piscator treten die Akteure immer wieder heraus aus ihren Rollen und verhindern ein Abgleiten in einen Historienschinken.
Das Ergebnis ist erfrischend für den Kopf und die Sinne und wird von einem hervorragend besetzten Ensemble serviert. Auch das zünftige Element, musikalische Akzente und spielerische Fiktion kommen nicht zu kurz. So liefern sich Jan Uppleger als Müntzer und Simon van Parys als Luther ein fulminantes Predigerduell. Maria Steurich glänzt als Verkörperung der Katharina von Bora. Astrid Kohlhoff weiß in souveränem Wechselspiel zwischen ihren Rollen als Ottilie von Gersen und als Erzählerin durch den Abend zu führen. Ergreifend eindringlich gelingen auch die Darstellungen der Fürstenpredigt und der finalen Frankenhausener Schlacht.
Das Genre des sommerlichen Freilichttheaters mit Professionalität, Innovation und Tiefgang auszustatten ist das erklärte und auch namensgebende Ziel des 'Konsortium Luft und Tiefe“. Dass dabei um große monumentale Stoffe kein Bogen gemacht werden braucht, beweisen deren Akteure seit nunmehr sieben Jahren. Mit der aktuellen Inszenierung ist dem sich jährlich neu zusammenfindenden Projektensemble wieder ein kleines Glanzlicht gelungen – dem Stoff und Anlass angemessen, und in vollem Bewusstsein um den Charme und die Möglichkeiten des so genannten „Off-Theaters“.
Jörg wunderlich
Nächste Vorstellungen:
26.7. - 30.7. Oberburg Giebichenstein Halle
2.8.- 6.8. Innenhof der Moritzbastei Leipzig
Foto: René Schäffer
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