Zeit­zeu­gin des Unvor­stell­ba­ren - Bewe­gen­der Abend im Literaturhaus

Der 9. Mai 1945 brach­te für die Über­le­ben­den des KZ The­re­si­en­stadt die Befrei­ung. Aus die­sem his­to­ri­schen Anlass las der His­to­ri­ker und Publi­zist Wer­ner Imhof zu die­sem Datum im Lite­ra­tur­haus Hal­le aus sei­nem Buch­por­trait über Lisa Miko­vá – eine der ehe­ma­li­gen Inhaf­tier­ten des Lagers.

Der Titel des Buches bezieht sich auf eine Anek­do­te, die der Autor zu Beginn eines sei­ner vie­len Gesprä­che mit sei­ner Zeit­zeu­gin erleb­te. Auf sei­ne Fra­ge, ob er sei­ne Schu­he aus­zie­hen soll, ant­wor­te­te die fast Hun­dert­jäh­ri­ge: „Ich bit­te Sie, wir sind doch Europäer!“.

In sei­nem Buch wür­digt Imhof den Humor und die Kraft die­ser star­ken Frau gegen­über dem Grau­en, das sie und die ande­ren Ver­folg­ten und Depor­tier­ten durch­le­ben mussten.

Lisa Miko­vá über­leb­te gleich drei Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger: The­re­si­en­stadt, Ausch­witz und Maut­hau­sen, wo sie von den Alli­ier­ten schließ­lich befreit wurde.

Schreck­li­che Details - aus eige­ner Erfah­rung leben­dig geschil­dert - mach­ten das Aus­maß der Ent­mensch­li­chung erst begreif­lich. So erleb­ten die Zuhö­rer durch ihre Stim­me einen quä­lend unend­li­chen Tag- und Nacht-Appell von 30.000 Men­schen mit, den 350 von ihnen nicht über­leb­ten. Die Lesung erspar­te den Zuhö­ren­den nichts, weder die Ram­pe der Selek­ti­on in Ausch­witz noch die Schil­de­run­gen der wochen­lan­gen grau­sa­men Zug­trans­por­te, an deren Ende ein Über­le­ben wie­der­um nur als äußerst unwahr­schein­li­che Kon­stel­la­ti­on von Zufäl­len mög­lich war. Nur ein ein­zi­ges Mal, berich­tet die Zeit­zeu­gin in ihrer Erzäh­lung, sei sie ohn­mäch­tig gewor­den - in dem Moment, als sie ihren Mann, der ein Lei­dens­ge­nos­se im Lager war, nach der Befreiuung lebend wiederfand.

Auf die Jah­re des Ter­rors und der Ver­fol­gung folg­ten Jahr­zehn­te des Ver­schwei­gens und der Nicht­an­er­ken­nung unter der sta­li­nis­ti­schen Dik­ta­tur, in deren ein­sei­tig-ideo­lo­gi­schen Opfer­hier­chie jüdi­sche Men­schen nicht vor­ka­men. Nicht ein­mal die im KZ geschlos­se­ne Ehe, die für das Über­le­ben der Höl­le eine Vor­aus­set­zung gewe­sen sein durf­te, wur­de von den Behör­den anerkannt.

Imhof gelang es bei sei­ner Lesung, die Erzäh­lun­gen empha­tisch und authen­tisch zu über­mit­teln, so dass man als Zuhö­rer fast das Gefühl hat­te in die­sem Moment mit der Zeit­zeu­gin spre­chen zu kön­nen. Das Publi­kum zeig­te sich sehr ergrif­fen und war dank­bar, als der Musi­ker Kay Dub­ber­ke mit einer Eigen­kom­po­si­ti­on auf Gitar­re und Mund­har­mo­ni­ka half, das Gehör­te zu verarbeiten.

Der Abend mach­te den unwi­der­bring­li­chen Wert enga­gier­ter Zeit­zeu­gen­ar­beit mehr als deutlich.

Kommentar verfassen