Julia und Micha, zwei Bewohnerinnen der attacVilla Könnern, entschlossen sich nach ihrem Studium auf dem Landweg in Richtung Nordafrika zu reisen. Aus Julias Reisebericht:
26. Dezember 2017 - 09. Januar 2018 – Spanien
Erst zwei Wochen unterwegs, aber gefühlt schon so viel erlebt! Kurz vor der Abfahrt in Deutschland noch mal Raureif gesehen, bei strahlendem Sonnenschein – traumhaftes Wetter für einen freiwilligen Abschied! Am 26.12. bestiegen wir den Bus nach Barcelona – 20,5 Stunden waren wir unterwegs. Die erste Hälfte davon war spannend und verging wie im Flug, wir lernten nette Leute kennen, schauten in die Landschaft. Aber die vielen Stunden in Dunkelheit, in denen ich hatte schlafen wollen, reihten sich zäh aneinander. Doch um 7:30 erreichten wir unser erstes Etappenziel: Barcelona. Ab hier sollte es ohne vorherige Planung weiter in Richtung Süden gehen.
Wir nutzten den 27.12., um die Stadt zu erkunden. Gerne wären wir in einem der besetzten Häuser dort untergekommen, aber wenn man in der Szene niemand kennt, ist das schwierig. Also suchten wir uns ein Hostel. Am nächsten Tag wollten wir Barcelona in Richtung Süden verlassen. Die Stadt gefiel uns zwar sehr gut: bunt, viel Straßenkunst und -kultur, schönes Flair, Gaudís und andere schöne vielfältige Architektur, sehr liebe positive offene Menschen, aber auch viel Lärm und Autoabgase wie in jeder Stadt. Meist zieht es uns mehr aufs Land raus. Wir wollten per Anhalter fahren, aber es war echt kompliziert, aus Barcelona herauszukommen. Wir versuchten es an verschiedenen Plätzen und Tankstellen, mit Schild und Ansprechen. Aber nach 3-4 Stunden setzen wir uns ein eine Bar mit WiFi, um uns eine Mitfahrgelegenheit zu suchen, um auf eine Autobahn-Raststätte zu kommen. Das klappte! Um 17Uhr ging die Reise los, gerade noch rechtzeitig, um endlich was von der Landschaft zu sehen – ins warme Licht der untergehenden Sonne getaucht!
Da es also dunkel wurde, gedachten wir an der Raststätte zu zelten – aber dann kam uns der erste große Zufall unserer Reise dazwischen. Auf dem Parkplatz stand ein schön bemalter kleiner LKW und die Insassen sprachen uns an. Wir fanden uns sehr sympathisch, sie luden uns zu vor dem Wegwerfen geretteten veganen Burgern ein, die sie im zum Wohnwagen umgebauten LKW brieten. Außerdem waren sie auf dem Weg zu einem Musikfestival rund um Silvester und Neujahr.
Wir hatten noch keine Pläne für den Jahreswechsel, also fuhren wir kurzerhand mit. Der Ort lag sehr abgelegen in den kargen trockenen steinigen Bergen von Teruel, Aragón, fast 100km im Inland. Dort wachsen alte Nadelbäume und stachelige Kräuter und Büsche, eine öde Steppe, aber auf ihre Weise interessant. Und wenn es mal nach genügend Regen grün ist und der Lavendel blüht, muss es hier wunderschön sein! (Lila Lavendel- Berge!) Beeindruckende Szenerie, aber wohnen möchte ich hier nicht. So geht es wohl den meisten, denn hier oben sieht man keine Siedlungen und kaum Häuser – und wenn, dann sind sie meist verlassen. Wir gingen viel spazieren und ließen uns vom schneidenden Wind herumpusten.
Die erste der vier Nächte hier war gut, aber die zwei danach unter 0°C! Das verdarb uns ein bisschen den Spaß, weil man sich nicht wirklich aufwärmen konnte – außer mit Tanzen, aber die Techno- Musik dort war auf Dauer nicht so meins... Da freute ich mich, wenn der Strom-Generator mal ausfiel : Beeindruckend war auch, dass viele Gäste mit Wohnmobil oder ausgebauten LKWs da waren. Etliche von ihnen wohnen fast das ganze Jahr in den Fahrzeugen, sind mal hier und mal da, und arbeiten ein paar Monate in der französischen Landwirtschaft (Ernte von Trauben, Oliven).
Neujahr wollten wir los, wieder an die Küste und weiter nach Süden, aber wir fanden noch keine Leute, die dorthin fuhren. Erst ärgerte ich mich darüber, weiter in der Kälte fest zu hängen (ohne eigenes Gefährt war es viel zu weit zu gehen). Aber dann war ich auch ganz glücklich, einen „häuslichen“ Tag einlegen zu können. Das Zelt wurde zum Büro, denn ich hatte große Lust, Reisebericht zu schreiben. Eigentlich ist es sehr schön, viel oder fast permanent draußen zu sein – wenn man für die entsprechenden Temperaturen ausgerüstet ist... Im Nachhinein fühlt sich die kalte Nacht gar nicht mehr so schlimm an, da überwiegt die Abenteuer-Freude.
Am 2.1. fuhren dann etliche Festival-Besucher los. Ein Paar im Wohnwagen hätte uns nach Murcia mitgenommen, relativ weit südlich, aber erst nachts im Dunkeln. Wir wollten lieber tagsüber reisen, um die Landschaft zu sehen: Eine Stunde ging es durch karge Berge, sehr tief runter, denn wir waren auf über 1000m gewesen!! Wir landeten nahe Valencia in einer viel wärmeren Zone: Palmen, Mandarinen, Wollmispel, 3m-hohes Caña-Gras, Kaki (wie bunte Eier als Osterschmuck hängen die großen orange-roten Früchte an den blattlosen Bäumen!). Endlich erlebten wir unseren ersten richtig sommerlichen Tag und eine laue Nacht.
Der nächste Tag begann mit viel Glück beim Trampen, wir wurden recht schnell fast 200km weit mitgenommen bis nach Elda-Petrer, nahe Alicante. Hier endete die Glückssträhne und wir blieben hängen bis zum nächsten Morgen. Und es war wieder bergiger, inlandiger, windiger, kühler. Aber beeindruckende Bergformationen (z. B. der ‚Cid‘), viele Sport- Fahrradfahrer, trockene Gärten mit Olivenbäumen, Kakteen und Artischocken. So viel Leerstand hier im Hinterland! Und ein Slum-ähnliches Gebiet. Das verdeutlicht mal wieder die großen (und größer werdenden?) sozialen und ökonomischen Unterschiede auch innerhalb der europäischen Länder! Und auch zwischen ihnen... Im Gegensatz zu den Philippinen, wo ich im Freiwilligendienst war, noch mehr abgegrenzt und von einander entfernt: Armut im Hinterland oder in den Vororten, Reichtum in den Zentren und an den Küsten. Und noch weniger Begegnungsmöglichkeit zwischen den verschiedenen ‚Schichten‘.
Am 4.1. kamen wir dann ans Meer in Cartagena und von dort aus fanden wir eine Mitfahrgelegenheit direkt nach Almuñécar. Dem Wink des Schicksals folgten wir, um Michas Tante und Onkel zu besuchen, die hier ‚überwintern‘ an der Costa Tropical (Tropischen Küste), die so heißt, weil in diesem etwas feuchteren und sehr milden Mikroklima (sub)tropische Pflanzen gedeihen, wie Bananen, Avocados, Papaya!! Ein Paradies! 🙂 Schöne, bergige Küste, blaues Meer – und die Mischung von tropischer und trockener Vegetation (Kakteen neben Papaya, Agaven neben Cherimoya...).
Es tut gut, mal wieder ein bisschen am gleichen Ort zu sein und die Sachen hier lassen zu können. Außerdem hatten wir zwei Regentage und sind sehr dankbar für das Dach über dem Kopf!
Und am 10.1. geht’s wieder los: die Küstenstraße entlang, auf schnellstem Wege ab nach Algeciras oder Tarifa, von wo aus die Fähren nach Marokko ablegen.
Zweieinhalb Monate nach dem katalanischen Unabhängigkeits-Referendum (1.10.17) hängen weiterhin viele ‚Si‘-Plakate und Cataluña-Flaggen an den Balkonen. Und auch viele gelbe Schleifen sind zu sehen als Symbol, dass die spanische Zentralregierung ihren harschen Umgang mit Katalonien beenden soll (z. B. Politische Gefangene freilassen und die De-Legitimierung der katalanischen Regierung rückgängig machen).
Für mich ein sehr interessanter Fall: Einerseits empfinde ich Abspaltungswünsche aus nationalistischen Gründen als einen tragischen Rückschritt (statt hin zu mehr Zusammenarbeit und gemeinsamen Lösungen für alle). Andererseits gefällt mir das Argument der beteiligten linken Parteien, dass die Unabhängigkeit die Möglichkeit gäbe, eine neue Verfassung aufzusetzen und die gesetzliche Grundlage zu verbessern, was sich dann in der Praxis auswirken soll (weniger Bürokratie, mehr Schutz für Menschen(rechte)...).
Außerhalb Spaniens habe ich noch keine Zustimmung zur Unabhängigkeit erlebt, nur Unverständnis. Sehr vereinzelt, aber auch außerhalb Cataluñas sind Spanien-Flaggen zu sehen. Wie uns erzählt wurde, wird die Spanien-Flagge von Privatpersonen selten gezeigt, denn das gilt als faschistisch. Ähnlich wie in Deutschland nach der Nazi-Zeit sind spanische Nationalsymbole durch die Franco-Diktatur belastet, die bis in die 1970er dauerte.