In den letzten Wochen und Monaten gab und gibt es in den Medien immer wiederkehrende Diskussionen über den Umgang mit den städtischen Waldflächen, wobei ein besonderer Fokus auf der Dölauer Heide liegt.
Der NABU stellt dabei eine deutliche Unausgewogenheit der Darstellung fest. Grundsätzlich besitzt Wald drei waldgesetzlich (§1BWaldG) verbriefte Funktionen: eine Schutz-, Nutz-und Erholungsfunktion. In der öffentlichen Diskussion wird jedoch dieser Dreiklang nicht adäquat wiedergegeben, sondern vor allem auf die Nutzung -resp. Bewirtschaftung -des Stadtwaldes und dessen Bedeutung als Erholungsgebiet abgehoben.
Der NABU weist darauf hin, dass gerade bei den städtischen Waldflächen eine Mehrfachüberlagerung unterschiedlicher Schutzgebietskategorien gegeben ist. So ist beispielsweise die Dölauer Heide vollflächig als gleichnamiges Landschaftsschutzgebiet (LSG) gesichert, Teile davon darüber hinaus als Naturschutzgebiete (NSG) „Bischofswiese“ und „Lindbusch“ sowie als Flächennaturdenkmäler (FND) und Geschützte Landschaftsbestandteile (GLB). Die Dölauer Heide ist zudem Teil des
Naturparkes „Unteres Saaletal“ und vor allem als Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Gebiet „Dölauer Heide und Lindbusch bei Halle“ Bestandteil des kohärenten europäischen Schutzgebietssystems NATURA 2000. Dies bedeutet, dass sich das Land Sachsen-Anhalt klar zum Schutz der hier vorkommenden, europaweit gefährdeten und geschützten Arten und Lebensräume verpflichtet hat. Aus dieser bereits gegebenen, multiplen und kaum noch steigerbaren Überlagerung unterschiedlicher Schutzgebietskategorien leitet der NABU ab, dass bezüglich der künftigen Bewirtschaftung der Dölauer Heide mindestens eine gleichrangige Beachtung der Naturschutzbelange angezeigt ist. Dies bedeutet, dass sich weitere Nutzungen wie Holzwirtschaft und Naherholung zwingend an den Naturschutzbelangen ausrichten müssen. Dies muss sich sowohl im planerisch-konzeptionellen als auch im praktischen Handeln in und mit diesen Waldflächen widerspiegeln. Vergleichbare Situationen finden wir auchin anderen Teilen des Halleschen Stadtwaldes vor, vor allem in der Saale-Elster-Aue mit den großen Auewaldrelikten auf der Abtei, dem Pfingstanger, der Rabeninsel, der Peißnitz und dem Forstwerder. Auch hier handelt es sich klar um Vorranggebiete für Natur und Landschaft.
Sowohl vor dem Hintergrund des immens hohen Stellenwertes des Naturschutzes als auch einer deutlich gewachsenen, vom Klimawandel bedingten Schädigung (vor allem Trockenheit) vertritt der NABU für die künftige Pflege und Bewirtschaftung des Halleschen Stadtwaldes folgende Positionen:
Kein Käseglocken-Naturschutz: Die Stadtwaldflächen in Halle – sowohl die Dölauer Heide als auch die Auwälder betreffend – sind Bestandteil einer jahrhundertealten Kulturlandschaft und seit jeher durch die menschliche Nutzung geprägt. Aus Sicht des NABU besteht das Ziel also nicht in der Entwicklung des „Urwaldes von morgen“, sondern in einer naturschutzorientierten und nachhaltigen, an waldökologischen Grundsätzen ausgerichteten forstlichen Pflege und Bewirtschaftung.
Stabilität und Naturnähe bzgl. der Baumartenzusammensetzung der Bestände erhöhen: Geobotanisch befindet sind die Dölauer Heide im sachsen-anhaltischen lößgeprägten Flach-und Hügelland, das typischerweise von Eichenmischwäldern geprägt ist. D.h. die Wälder sollten von Stiel-und Traubeneiche aufgebautund hauptsächlich mit Hainbuche und Winterlinde durchmischt sein. DieserWaldtypist generell auch weniger empfindlich gegenüber Trockenheit. Nachpflanzungen erfolgen deshalb ausschließlich mit Baumarten dieser potenziell-natürlichen Vegetation; zeitgleich muss eine konsequente Entnahme von nicht-heimischen Gehölzarten (z.B. Rot-Eiche, Robinie, Späte Traubenkirsche) im Rahmen von Durchforstungen und Erntenutzungen erfolgen –möglichst bereits vor der Hiebsreife (kurz- bis mittelfristige Umsetzung);
Keine „Kriminalisierung“ der Kiefer: auf bestimmten Standorten der Dölauer Heide gehört die heimische Waldkiefer durchaus zu den standortgerechten Baumarten, so dass sie hier auch weiterhin zu akzeptieren ist. Abzulehnen sind allerdings Monokulturen, welche schnellstmöglich umzubauen sind, letztlich auch aus Gründen zunehmender Instabilität und Anfälligkeit der Bestände;
Vorrang von Naturverjüngung: Grundsätzlich ist die Naturverjüngung aller Baumarten anzustreben und einer Pflanzung vorzuziehen;
Ausnahme Kunstverjüngung der Eiche: Durch geeignete forstliche Verjüngungsverfahren ist ein ausreichender Eichen-Anteil in der Nachfolgegeneration zu sichern, in den Auwäldern vorzugsweise durch Lochhiebe (Femelung) von 0,3 bis max. 0,5 ha (Hinweis: in allen Waldgebieten Halles besteht diesbezüglich ein akuter Handlungsrückstand: die Eichenbestände sind nahezu durchgängig hochgradig vergreist und weisen bereits jetzt eine erhebliche demographische Lücke auf (prioritäre Einleitung der Eichenverjüngung);
Waldbild/Bestandesstrukturen: Die Nutzung/Verjüngung soll trupp- bis horstweiseerfolgen und damit den Erhalt bzw. die Wiederherstellung eines Mosaiks mehrerer Waldentwicklungsphasen sicherstellen; Wahrung oder Erhöhung des Anteils der Reifephase in den Beständen durch Festlegung von ambitionierten Zieldurchmessern (z.B. bei der Eicheein Durchmesser>60 cm, besser noch höher);
Biotopbäume sichern: Erfassen, Einmessen und Markieren von Biotopbäumen mit dem Ziel des anschließenden Nutzungsverzichts und Belassens im Bestand; dazu zählen Horst-und Höhlenbäume (Specht-und Etagenhöhlen sowie Höhlen mit Mulmkörpern und Mulmtaschen) wegen ihrer herausragenden Bedeutung als Fortpflanzungs-und Ruhestätten wildlebender, besonders geschützter Tierarten sowie (in der Regel stärker dimensionierte) Bäume mit Faulstellen, abfallender Rinde, Pilzkonsolen (Zunderschwamm-und Baumschwammbäume), Krebsbildungen und Schürfstellen, abgebrochenen Kronen, Blitzrinnen, Rissen und Spalten, gesplitterten Stämmen und Zwieselabbrüchen;
Altholz belassen: Altholz ist stets eine Mangelstruktur im Wirtschaftswald, andererseits eine essentielle Requisite eines naturbelassenen Waldes. Altholz ist in den Beständen des Halleschen Stadtwaldes gezielt anzureichern und zu erhalten. Dazu sind sowohl Altholzinseln als auch Einzelbäume auszuweisen, einzumessen und zu markieren und dauerhaft aus der forstlichen Bewirtschaftung zu entlassen, so dass sie ihr natürliches Alter und die waldökologisch so bedeutsame Zerfallsphase erreichen können (Umsetzung des „Methusalem“-Konzeptes). Altbaumreiche Waldstrukturen stellen ein Refugium seltener Insektenarten dar. So handelt es sich bei den sogenannten „Urwaldreliktarten“ um Altbaumarten und Arten der Baumzersetzungsphase (einschließlich Holzpilzen). So beschriebder bedeutende hallesche Entomologe Johann Gottlieb SCHALLER (1734 – 1814) während seiner entomologischen Tätigkeit eine Reihe von Arten neufür die Wissenschaft -explizitmit dem Fundort „Halle“! Dazu zählen u.a. die Buntkäferarten Allonyx quadrimaculatus (dieser als ein Zeiger autochthoner Kiefernstandorte)und Clerus (Pseudoclerops) mutillarius. Beide Arten sind jedoch inzwischen in Halle ausgestorben.
Historische Waldnutzungsformen: Teile des Stadtwaldes sind durch historische Waldnutzungsformen entstanden und geprägt worden, wie z.B. Plenter-und Mittelwaldbewirtschaftung, aber auch Waldweide-/Hutewald-Nutzung (letztere z.B. in den NSG „Nordspitze Peißnitz“ und „Bischofwiese“ in der Dölauer Heide). Es soll geprüft werden, an welchen Stellen derartige Sondernutzungen wieder eingeführt werden können;
Erschließung/Wegebau: Die für die Holzernte und Bestandesverjüngung als auch die Erholungsnutzung erforderliche Erschließung ist bezüglich Dichte und Ausbaugrad der Wege und Rückegassenauf das notwendige Minimum zu beschränken; dabei sind in allen Waldgebieten explizit störungsarme bis komplett störungsfreie Teilflächen vorzusehen, welche besonders sensiblen Tierarten vorbehalten sind;
Arbeitszeiträume: Immer wieder wird die Durchführung forstlicher Arbeiten, wie Holzeinschlag und -rückung, während der Brut-und Setzzeiten beobachtet, wie zuletzt im Mai 2019 in der westlichen Dölauer Heide bei Lieskau-Siedlung „Waldheil“ (Bucheneinschlag). Diese Praxis ist umgehend einzustellen, da diese der Schutzfunktion des Waldes widerspricht. Holzeinschläge sind ausschließlich im Herbst und Frühwinter zu führen.
Technikeinsatz: Bei der Befahrung der Flächen mit Maschinen ist jegliche Bodenverdichtung und -erosion durch Einsatz von bodenschonender Technik und unter Berücksichtigung des Bodensubstrates und der Feuchtestufe auszuschließen (z.B. Reduzierung der Radlast durch geringeres Maschinengewicht und geringen Reifendruck, Verwendung von Bändern oder Ketten). In den teilweise recht steilen Hanglagen der Dölauer Heide sollteder Einsatz von Rückepferden geprüft werden;
Jagd: Die Jagd ist so zu organisieren, dass die Schalenwilddichte trotz Besucherfrequentierung wirksam reduziert werden kann und die Etablierung und Entwicklung des standortgerechten Laubholzinventars ohne Zaun möglich ist (Ausnahme: frisch begründete Eichenkulturen).
FFH-Managementplanung abschließen: umgehende Erstellung der noch ausstehenden Managementpläne für die beiden waldbestockten FFH-Gebiete „Dölauer Heide und Lindbusch beiHalle“ sowie „Nordspitze der Peißnitz und Forstwerder in Halle“;
Neuverordnung und Rechtsangleichung von Schutzgebieten: das LSG „Dölauer Heide“ sowie das NSG „Bischofswiese“ sind Alt-Schutzgebiete, also noch mit Verordnungen aus DDR-Zeiten … beide Verordnungen müssen an geltendes Naturschutzrecht angepasst werden (dabei sollten auch die lange geplanten Erweiterungen umgesetzt werden);
Berücksichtigung der Naturschutzaspekte in der Forsteinrichtung: Die Erstellung einer Forsteinrichtungsplanung (forstliches Betriebswerk) für den Stadtforst Halle muss eine vollumfängliche Implementierung der FFH-Inhalte sowie der sonstigen, o.g. Naturschutzaspekte und -grundsätze sicherstellen à daher sollte die Planung künftig unter Beteiligung aller Interessensvertreter erfolgen. Dies ist auch ein zentraler Punkt im Rahmen der FSC Zertifizierung (siehe nachfolgend).
FSC-Zertifizierung: Die Dölauer Heide wurde 2013 vom Forest Stewardship Council® (FSC) Deutschland zertifiziert. Inwieferndieses Siegel regelmäßig aktualisiert wird, ist allerdings nicht klar. Eine Waldzertifizierung sollte letztlich jährlich erneuert werden, um insbesondere die genannten Aspekte (z.B. gruppenweise Ernte, Belassen von Totholz, Beteiligung aller Interessenvertreter sowie angepasste Wildbestände) zu gewährleisten.
Personal / Struktur / Finanzen: Äußerst kritisch zu hinterfragen ist die Fortführung der derzeitigen durch die Stadt ausgelagerten Beförsterung durch das Betreuungsforstamt des Landes, vor allem vor dem Hintergrund immenser Pflegerückstände und beständig steigender Anforderungen; alternativ Prüfen der Einrichtung eines kommunalen Forstamtes einschließlich der personellen, strukturellen und finanziellen Absicherung desselben mit dem Ziel einer ökologisch ausgerichteten und nachhaltigen Waldbewirtschaftung und -pflege;
Öffentlichkeitsarbeit: Eine fundierte waldbezogene Öffentlichkeitsarbeit findet derzeit faktisch nicht statt und ist zumindest teilweise der Grund dafür, dass in der Öffentlichkeit und inden Medien viele Missverständnisse und falsche Erwartungen hinsichtlich einer angemessenen und schutzverträglichen Waldbewirtschaftung existieren. Gerade in einem urbanen Ballungsraum wie Halle ist diesbezüglich ein erheblicher Qualitätssprung erforderlich.
Diesbezüglich bietet der NABU explizit seine Mitarbeit an.