„Mit unseren täglichen Kaufentscheidungen, die wir treffen, nehmen wir Einfluss auf das Leben von Menschen am anderen Ende der Welt.“ Mit diesen Worten eröffnete Halles gut gekleideter OB Bernd Wiegand am 23. April die zweite 'Fashion Revolution Week' in Halle auf dem Unicampus.
Neben Information konnten Besucher der Eröffnungsfeier einer Fairen Modenschau beiwohnen, T-Shirts oder Beutel mit selbstgemachtem Lavendeldruck verschönern oder bei der grünen Hochschulgruppe Klamotten tauschen. Am Stand der Unicef konnte man per Oculus Rift einen 360°-Film zu problematischen Betrieben in Bangladesch und Kambodscha anschauen.

Infostand uf dem Capus (Foto: A.Sebald)
Ulrike Eichstädt vom Friedenskreis und Anke Scholz vom Eine-Welt- Netzwerk Sachsen-Anhalt sowie der SPD-Politiker Lars Juister klärten an ihren Ständen darüber auf, worauf man bei der Kaufentscheidung achten sollte. Verschiedene Siegel wie das GOTS (Global Organic Textile Standard), das der Fair Wear Foundation und eben Fairtrade bieten Orientierung. Im 'Fairen Einkaufsführer' lässt sich nachlesen, wo in Halle solche Textilien verkauft werden. Das Siegel des 'Bündnis für nachhaltige Textilien' , das von größeren Unternehmen selbst geführt wird, kritisiert Ulrike Eichstädt als 'zu lasch'.
Lars Juister betonte, dass durch die Fair-Trade-Kampagnen eine Öffentlichkeit erschaffen werde, die wiederum, ähnlich wie etwa bei veganen oder vegetarischen Angeboten in junger Vergangenheit, eine entsprechende Nachfrage erschaffe. So könne auch ein Trend zur Nachhaltigkeit erwirkt werden. Trotzdem müsse auch der Druck durch die Handelspolitik erweitert und beispielsweise durch entsprechende Zollgebühren bei Nichterfüllung der Bedingungen durchgesetzt werden.
Katastrophe von Bangladesh gab Anstoß
Die Aktionswoche für Faire Kleidung findet weltweit jährlich um den 24. April statt. An diesem Tag stürzte 2013 in Bangladesch ein Gebäude mit mehreren Textilfirmen ein. 1135 Menschen kamen zu Tode. Die Fashion Revolution Week klärt seitdem über Ungerechtigkeiten auf, welche für billig produzierte Kleidung in Kauf genommen werden.
"Die Auftraggeber sind jedoch keine Regimes, sondern westliche Unternehmen"
Bis zu 70 Stunden arbeiten Näherinnen in Bangladesch und Kambodscha für einen Lohn, der kaum die Existenz sichern kann. Auch ihre Kinder werden dadurch in die Arbeit hineingezwungen, anstatt zur Schule zu gehen. Arbeitssicherheit ist lückenhaft bis nicht vorhanden und Gewerkschaften werden unterdrückt. Die Auftraggeber sind jedoch keine Regimes, sondern westliche Unternehmen.
Politisches Ziel von Kampagnen wie der 'Fashion Revolution Week' ist es keineswegs, durch Boykotte die Arbeitsplätze in den betroffenen Ländern zu gefährden. Vielmehr soll Druck ausgeübt werden, um die Bedingungen der Herstellung zu verbessern.Das sieht auch der diesjährige Schirmherr Arne Lietz als seine Aufgabe an. Derzeit versucht der SPD-Europaabgeordnete das Thema im Europaparlament voranzubringen. Textilbündnisse, welche Standards setzen und worin Deutschland bereits mit den Niederlanden zusammenarbeitet, sollen gestärkt und Fair Trade zu einer gesamteuropäischen Bemühung angehoben werden. In seiner Rede betonte auch Arne Lietz die Wichtigkeit des Zusammenspiels von bewusster Kaufentscheidung und Politik
Private Moralblase nicht ausreichend
Franzi und Alica gehören zu den Halleschen Aktivist*innen der Woche. Schon bei der ersten Aktionswoche 2018 nahmen sie an einer Mahnwache für die toten Arbeiterinnen von Bangladesh teil. „Ich möchte so wenig Leid wie möglich mit meinem Verhalten erzeugen.“, sagt Alica, die durch die TV-Bilder nachhaltig erschüttert wurde und seit dem einen strikt fairen Konsumstil lebt. Franzi berichtet, dass sie durch den Film „The true Cost“ motiviert wurde, ihren Konsumstil zu ändern. Auch durch ihr Engagement für den Weltladen bekam sie Einblick in die globalen Zusammenhänge von Textilproduktion, Handel und Ausbeutung. "Geld für Kleidung auszugeben ist im prinzip kaum noch nötig. es gibt überall Kleidertauschbörsen in Halle", beschreibt Franzi ihre Haltung.
Andere Menschen zu überzeugen es ihnen nachzutun ist ein wichtiger Punkt. „In meinem Freundeskreis ist das gar nicht mehr nötig“, sagt Franzi, „aber es ist auch wichtig aus der eigenen Blase herauszutreten, in der man sich eingerichtet hat.“ Das darf auch mal offensiv und provokativ geschehen wie bei Mahnwachen oder Flash Mobs. Der moralisierende Zeigefinger soll trotzdem nicht der Weg sein. „Wenn ich jemandem ein schlechtes Gewissen mache, ernte ich Abwehrreflexe und Blockaden.“ sagt Alica aus Erfahrung. „Besser ist es, sachlich und friedlich zu argumentieren – durch Frieden zur Veränderung.“
Unternehmen sollen haftbar gemacht werden
Das schließt konsequente politische Forderungen ein. "Freiwillige Verpflichtungen sind aus unserer Sicht nicht ausreichend.", sagt Alica. "Wir unterstützen Forderungen nach verbindlichen gesetzlichen Regelungen. Weder die Unternehmen noch wir selbst dürfen die Menschenrechte durch Produktion und Konsum verletzten." "
Die Fairtrade-Aktivistinnen sammeln Unterschriften für eine Petition an die Bundesregierung. Darin wird gefordert, Unternehmen haftbar zu machen für Schäden an Mitarbeitenden, die durch schlechte Arbeitsbedingungen und Billigstlöhne angerichtet werden.
Text: Andre Sebald / Jörg Wunderlich
Ich finde es zwar gut, dass sich immer mehr Menschen über die Arbeitsbedingungen bei der Herstellung ihrer Kleidung Gedanken machen, allerdings empfinde ich den im Artikel vorgeschlagenen Ansatz über fairen Handel nicht richtig. Vielmehr sollte man sich m.E. Gedanken darüber machen, wie man langlebige Kleidung regional und lokal vor Ort herstellen kann und über Substitute zum Rohstoff Baumwolle nachdenken – einer, der auch in unseren Regionen wächst.
Wenn jemand seine kaputte Kleidung flickt – was er/sie dann wirklich individuell und kreativ machen kann, anstatt sich angeblich individuell für seinen eigenen Lifestyle gefertigte Kleidung neu zu kaufen – sollte nicht mehr argwöhnisch naserümpfend, sondern bewundernd betrachtet werden.
Und ja, das vernichtet dann auch Arbeitsplätze in der Textilbranche in Bangladesch und Pakistan und wahrscheinlich auch in den Ländern, in denen Baumwolle angebaut wird. Es werden sicher auch viele Arbeitsplätze in der Transportbranche verloren gehen, die bisher Baumwolle, gewebte Stoffe und fertige Kleidung transportieren.
Aber was ist denn so schlimm daran, wenn wir alle weniger arbeiten müssen und mehr Freizeit haben, um uns selbst zu bilden oder einfach nur die glücklich machenden Momente in unserem Leben zusammen mit anderen zu genießen?
Ich gebe zu, es gibt da schon einen Knackpunkt: Im Kapitalismus, der ständiges materielles Wachstum fordert, und in dem die meisten Menschen Geld in einer extrinsisch erzwungenen Arbeit verdienen müssen, um leben zu können, da funktioniert das nicht 🙂