Im Sommer letzten Jahres bin ich an die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten gezogen: Frisch sanierte Altbauwohnung mit Bambusparkett, Balkon und Badewanne. Solche Wohnungen hatte ich bislang nur im Fernsehen gesehen, da mussten mein Mitbewohner und ich nicht lange überlegen.
Bei der Unterzeichnung des Mietvertrages erfuhren wir, dass die Besitzerin in Wien wohnt und sich die Hausverwaltung um alle Angelegenheiten kümmert. Da kamen erstmals Bedenken auf: Wohnen wir jetzt bei Immobilienhaien, die leerstehende Häuser bloß als Anlage kaufen und die Mietpreise in die Höhe treiben wollen? Doch die Bedenken waren schnell vergessen, zu groß war die Freude über die schöne, neue Wohnung.
"Für mich, die ich Hamburger Mietpreise gewöhnt bin, ein fairer Deal"
Jetzt werde ich Leipzig bald für ein paar Monate verlassen, um ein Auslandssemester in Polen zu verbringen. Mein Zimmer in unserer Zweier-WG vermiete ich in der Zeit unter, 15 Quadratmeter mit gemeinsamem Wohnzimmer für 340 Euro all-inklusive. Für mich, die ich an Hamburger Mietpreise gewöhnt bin, ein äußerst fairer Deal. Für viele Leipzigerinnen zu teuer und nicht das, was sie sich unter Wohnen im Leipziger Osten vorstellen. Dann lieber günstig unterkommen in einem lebendigen Hausprojekt oder in einer unsanierten Altbauwohnung mit Retro-Charme und vielen Mitbewohnerinnen. Dementsprechend gering fielen die Reaktionen auf meine Anzeige aus und mir stellte sich die Frage, ob ich und mein Wohnen überhaupt hierher passen. Oder schlimmer noch: Wie sehr trage ich selbst sogar mit zur Gentrifizierung bei?
"Ich habe Gentrifizierung als etwas Schreckliches, aber irgendwie auch Selbstverständliches begriffen."
Denn dass Gentrifizierung etwas Schlechtes ist, habe ich schon vor Jahren in der Schule gelernt. Am Beispiel des Hamburger Schanzenviertels wurde uns erläutert, wie seit Anfang der 2000er Wohnraum in zur 'Szene' gemachten Vierteln knapp wird und das langfristig zu Lasten der örtlichen Bevölkerung geht. Ich habe in den letzten Jahren in vielen Städten gelebt. Geschichten von steigenden Mieten und Vertreibung von Alteingesessenen sind mir an jedem Wohnort begegnet. Der Späti-Besitzer in Berlin-Neukölln sollte plötzlich das Doppelte an Ladenmiete bezahlen, Kneipen mussten Szene-Bars Platz machen, Einzelhandel wurde durch Discounter ersetzt. Damit einher gingen natürlich grundlegende und täglich zu beobachtende Veränderungen der unterschiedlichen Kieze, vom Anstieg der Mietspiegel ganz zu schweigen...
"In den hippen Cafés und schönen Bars, die in den letzten Monaten entstanden sind, tummeln sich überwiegend Studierende und junge Menschen."
Ich habe Gentrifizierung als etwas Schreckliches, aber irgendwie auch Selbstverständliches begriffen. Als einen fast natürlichen Prozess von Aufwertung und Mietsteigerung, auf den vielleicht die Politik Einfluss nehmen müsste, dem ich aber machtlos gegenüber stehe. Gleichzeitig geht mit dem Thema der Gentrifizierung häufig die Forderung nach Recht auf Stadt einher. Ganz konkret bedeutet das für mich, zu fairen Mietpreisen wohnen wo und wie ich will. Deshalb bin ich ohne groß nachzudenken an die Eisenbahnstraße gezogen, denn im Leipziger Osten habe ich immer schon gerne Zeit verbracht. Zwischen internationalen Lebensmittelgeschäften und kreativen Projekten der „Hipster-Zugezogenen“ herrscht steter Trubel auf den Straßen. Ein spannender Mix der viel dazu beiträgt, dass ich mich hier wohl und angekommen fühle. Doch letztendlich hat das wenig mit den Lebensrealitäten der Alteingesessenen zu tun. In den hippen Cafés und schönen Bars, die in den letzten Monaten entstanden sind, tummeln sich überwiegend Studierende und junge Menschen. Viele von ihnen sind erst vor kurzem hergezogen, genau wie ich.
"Einerseits über Gentrifizierung lästern - andererseits um (fast) jeden Preis dort wohnen, wo alle grade hinziehen wollen"
Genau genommen habe ich in jeder Stadt versucht, möglichst hip und zentral zu wohnen. Natürlich bin ich als Studentin, die von Bafög und Minijob lebt, nicht die eigentliche Ursache der Gentrifizierung. Trotzdem habe ich teure Mieten für eine gute Lage billigend in Kauf genommen. Erst jetzt, wo die Nachfrage bei meinem Zimmer ausblieb, habe ich begonnen diese Schieflage im Kleinen zu reflektieren: Einerseits über Gentrifizierung lästern und sich mit Betroffenen solidarisieren. Andererseits um (fast) jeden Preis dort zu wohnen, wo alle grade hinziehen wollen und damit natürlich einen Teil zur Vertreibung beizutragen. Da ich erst einmal in Leipzig bleiben will, muss ich dieses Dilemma in naher Zukunft hoffentlich nicht erneut für mich entscheiden. Nur die Sache mit der Zwischenmiete bereitet mir noch Bauchweh. Denn tatsächlich wollten oder konnten die wenigstens so viel Geld für Wohnraum bezahlen. Deshalb zieht jetzt eine Dänin bei uns ein, denn für dänische Verhältnisse muss unsere Wohnung ein wahres Schnäppchen sein.
Luisa Klatte