„Abfall­pro­duk­te der Gesell­schaft" – Schleim­keim im Film

Bücher und TV-Dokus über die Geschich­te des Punk in der DDR gibt es nicht gera­de weni­ge. Aus­er­zählt ist die­se offen­bar noch lan­ge nicht. Das beweist ein Film über die Band Schleim­keim, der eine beju­bel­te Hal­le-Pre­mie­re erlebte.

Nach dem Abspann wur­de es noch lau­ter. Ehr­li­che Begeis­te­rung, Dank­bar­keit und Inter­es­se für den jüngs­ten Men­schen im Saal. Der ist gera­de mal Mit­te zwan­zig, heißt Jan Heck, kommt aus Baden-Würt­tem­berg und arbei­te­te fast fünf Jah­re an einem Film über eine Band, die als legen­dä­re aller­ers­te Ost-Punks Musik­ge­schich­te schrie­ben. Ein paar Jungs aus einem Nest bei Erfurt gelang es damals, mit selbst gebas­tel­ten Boxen und Ver­zer­rern einen kom­pro­miss­lo­sen und ultra­schnel­len Gara­gen-Hard­core zu kre­ieren, der es bis auf eine Vinyl-Pres­sung im Wes­ten schaff­te und sogar in der bri­ti­schen BBC gesen­det wur­de. Das hat­ten vor 1989 sonst wahr­schein­lich nur City geschafft.

Für ihre indi­vi­du­ell aus­ge­leb­te anar­chi­sche und krea­ti­ve Frei­heit zahl­te die Band und ihre Sze­ne einen hohen Preis: Tag­täg­li­che Schi­ka­ne, Äch­tung und Ver­fol­gung durch Behör­den und Nor­mal­be­völ­ke­rung – bis hin zu psy­chi­scher Fol­ter und mehr­mo­na­ti­gen Knast­auf­ent­hal­ten. Schließ­lich hat­te Sta­si-Chef Erich Miel­ke 1983 per­sön­lich ange­ord­net, die Punks beson­ders hart anzu­fas­sen. Davon berich­tet der Film ange­mes­sen und aus­führ­lich, ohne dass die Lust an der genia­lisch-rebel­li­schen Musik im Film zu kurz kommt, die bis heu­te ihre jun­gen Fans fin­det und begeistert.

Bemer­kens­wer­ten Tief­gang bekommt der Film durch eine por­trait­haf­te Annä­he­rung an den cha­ris­ma­ti­schen Sän­ger und Text­dich­ter Die­ter „Otze“ Erlich. Des­sen kom­pri­mier­te Rei­me brach­ten Lebens­wirk­lich­kei­ten der DDR auf den Punkt, wie sie zuvor unschreib­bar und erst recht unsing­bar waren: „Alle sehn rot, alle sehn tot“. Dass „Otze“ nicht nur ein Genie und ein Anfüh­rer war, son­dern auch Dämo­nen in sich hat­te, ergrün­det der Film auf dra­ma­tur­gisch sen­si­ble und sub­ti­le Wei­se. Nach­dem man als Zuschau­er die Grau­sam­kei­ten von Otzes Vater gegen sei­nen abge­lehn­ten Sohn kennt, erscheint des­sen grau­sa­mes Ende fast fol­ge­rich­tig und kathartisch.

Dass die­ser Film neben Inter­views und Clip-Kol­la­gen und auch sel­te­ne Ori­gi­nal-Aus­schnit­te von Kir­chen­kon­zer­ten vor 1989 ent­hält, ist der Hart­nä­ckig­keit des Fil­me­ma­chers zu ver­dan­ken. Gan­ze vier mal muss­te eine Mit­ar­bei­te­rin des Robert-Have­mann-Archivs nach einer bestimm­ten VHS-Kas­set­te suchen, bis sie in einer Ecke des Archivs doch noch fün­dig wur­de. Und um an die letz­te exis­tie­ren­de Tube Kiti­fix-Kle­ber für eine Film­sze­ne her­an­zu­kom­men, muss­te Heck sämt­li­che DDR-All­tags­mu­se­en durchkämmen. ´

Die Hal­le-Pre­mie­re im Pusch­ki­no war rest­los aus­ver­kauft. Fes­ti­vals, TV-Sta­tio­nen und ein Kino-Ver­leih haben den Film ins Pro­gramm genom­men. Es wird wohl Prei­se reg­nen – zu Recht.

Foto: Mat­thi­as Golinski

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