Alle Macht den digi­ta­len Märkten?

Hat sich die Digi­ta­li­sie­rung längst ver­selbst­stän­digt und dik­tiert unse­rer Wirt­schaft, Poli­tik und Gesell­schaft ihre Bedin­gun­gen anstatt umge­kehrt? Wie demo­kra­tisch und sozi­al gerecht kann digi­ta­le Wirt­schaft sein und was wäre für die­ses immer uto­pi­scher schei­nen­de Ziel zu tun? Um die­se Fra­gen und mög­li­che Ant­wor­ten zu dis­ku­tie­ren, lud die Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung am 19. Febru­ar zu einer netz­po­li­ti­schen Dis­kus­si­on „zwi­schen Kri­tik und Utopie“.

Zu Gast auf dem Podi­um in den Hal­len­ser „SaltLabs“ waren die Netz­ak­ti­vis­tin und ehe­ma­li­ge poli­ti­sche Geschäfts­füh­re­rin der Pira­ten­par­tei Katha­ri­na Nocun und der Glo­ba­li­sie­rungs­ex­per­te Dr. Flo­ri­an Butol­lo als Mit­glied der Enquete-Kom­mis­si­on KI im Bundestag.

Flash­back Dotcom-Blase

Flo­ri­an Butol­lo begann mit einem Rück­blick auf die Ent­wick­lung nach dem Plat­zen der Dot­com-Bla­se zu Beginn des Jahr­tau­sends – der ers­ten Ernüch­te­rung auf die ver­hei­ßungs­vol­len uto­pi­schen Jah­re des Inter­net in den Neun­zi­gern. Aus die­ser ers­ten Markt­be­rei­ni­gung gin­gen die heu­ti­gen Glo­bal Play­er wie Goog­le und Ama­zon als über­le­ben­de Sie­ger her­vor, indem sie ein bis dato unge­ahn­tes Level von Daten­öko­no­mie eta­blier­ten. Die neu­en Markt­rie­sen tra­ten immer stär­ker auch als „Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­ten“ her­vor, von deren Prak­ti­ken sich die meis­ten Men­schen immer noch nur die „Spit­zen des Eis­bergs“ bewusst machen wür­den. Katha­ri­na Nocun konn­te die­sen kri­ti­schen Aspekt mit einer per­sön­li­chen Epi­so­de als Ama­zon-Kun­din unter­mau­ern. Das Unter­neh­men hat­te ihr auf Nach­fra­ge eine Excel-Datei mit einem kom­plet­ten „Click­stream“ ihrer Akti­vi­tä­ten in einem Zeit­raum von 14 Mona­ten gelie­fert. Die­se Datei ent­hielt 15365 Daten­zei­len mit jeweils bis zu 50 Anga­ben je Zei­le. Ent­hal­ten waren nicht nur genaue Pro­to­kol­le zu ihren Käu­fen, son­dern eben­so Anga­ben zu Ihrem Surf­ver­hal­ten und Such­an­fra­gen sowie zu den Auf­ent­halts­stand­or­ten, von denen sie aus auf Ama­zon zuge­grif­fen hatte.

War­um sind Platt­for­men so erfolgreich?

Flo­ri­an Butol­lo ana­ly­sier­te im Anschluss das digi­ta­le Busi­ness­mo­dell „Platt­form“. Die­se Unter­neh­mens­ty­pen sei­en des­halb beson­ders erfolg­reich, führ­te Butol­lo fort, weil sie in der Lage sind, digi­ta­le Güter durch Tech­ni­ken der Kun­den­bin­dung kapi­ta­lis­tisch „ein­zu­he­gen“. Aus kapi­ta­lis­ti­scher Sicht sei­en die Platt­for­men der „per­fek­te Markt“ weil sie ein allei­ni­ges Durch­set­zen der Preis­lo­gik ermög­lich­ten. Alle ande­ren Fak­to­ren könn­ten dage­gen für die Kun­den aus­ge­blen­det wer­den. Aus­ge­stat­tet mit der Markt­macht als Gate­kee­per könn­ten sol­che Platt­for­men gan­ze Zwei­ge der eta­blier­ten Öko­no­mie zu ihren Bedin­gun­gen neu ord­nen. Die mit der Digi­ta­li­sie­rung ein­her­ge­hen­de Effi­zi­enz­lo­gik füh­re zu einem immer stär­ke­ren Zwang zur Selb­st­op­ti­mie­rung und ver­än­de­re die gesam­te Arbeitswelt.

Wirk­sa­me Regu­la­ri­en durchsetzen

Katha­ri­na Nocun ließ die­sen letz­ten Punkt nicht so ste­hen und erwi­der­te, dass die Selb­st­op­ti­mie­rung und der Sie­ges­zug der rei­nen Effi­zi­enz­lo­gik nicht allein auf die Digi­ta­li­sie­rung gekop­pelt sei. Sie ver­wies dar­auf, dass der Man­gel an geeig­ne­ten Regu­la­ri­en es den Unter­neh­men ermög­licht hät­te, sozia­le Stan­dards im Sin­ne der Effi­zi­enz zuneh­mend zu umge­hen. In Kom­bi­na­ti­on mit den neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten hät­te sich dar­aus eine gif­ti­ge Mischung erge­ben. Anstatt immer nur zu sagen, wie schlimm Ama­zon sei, wäre es drin­gend ange­zeigt, die­se Lücken end­lich zu schlie­ßen und damit die Unter­neh­men zu ande­rem Han­deln zu zwingen.
Die Crux sei näm­lich, dass man kar­tell­recht­lich oft gar nicht wirk­sam vor­ge­hen kön­ne gegen digi­ta­le Mono­po­li­sie­run­gen. Denn die Kar­tell­re­geln stamm­ten noch aus der Ära vor der Digi­ta­li­sie­rung und sei­en noch nicht wirk­sam ange­passt worden.

Wel­che Hebel füh­ren zur Transformation?

Mode­ra­to­rin Anja Höf­ner vom Kon­zept­werk neue Öko­no­mie woll­te von den Podi­ums­gäs­ten wis­sen, an wel­cher Stel­le nun genau ein Hebel für Ver­än­de­run­gen und eine mög­li­che Trans­for­ma­ti­on anset­zen könnte.

Katha­ri­na Nocun merk­te dazu an, dass Daten nach wie vor ein bil­li­ges Gut sei­en und der Markt für per­so­nen­be­zo­ge­ne Infor­ma­ti­on wei­ter wach­sen wird. Als Netz­ak­ti­vis­tin ste­he sie des­halb kon­se­quent auf der Sei­te der Uto­pie statt Dys­to­pie. Ein Weg dahin füh­re über Par­ti­zi­pa­ti­on. Auf der heu­ti­gen rea­len Hand­lungs­ebe­nen kön­ne die Ent­wick­lung und Ver­brei­tung frei­er Soft­ware vie­les ver­än­dern. Die netz­po­li­ti­sche Sze­ne und Hacker-Com­mu­ni­ty müs­se dafür viel stär­ker als bis­her her­aus aus dem digi­ta­len Habi­tat hin­ein in gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Pro­zes­se bege­ben, so Nocun. Aber auch der Staat kön­ne mit Hil­fe sei­nes stra­te­gi­schen Hand­lungs­vo­lu­mens ent­schei­dend dafür sor­gen, dass Open Source und ande­re digi­ta­le Gemein­gü­ter durch För­de­rung und gesetz­li­che Bestim­mun­gen eines Tages zum selbst­ver­ständ­li­chen Stan­dard werden.

Ein wirk­lich ent­schei­den­der Punkt sei nach wie vor die pro­prie­tä­re Ver­wen­dung von Daten und Infor­ma­tio­nen, die einem frei­en Aus­tausch ent­ge­gen­ste­he, so Flo­ri­an Butol­lo. Hier lau­fe die Digi­ta­li­sie­rung grund­sätz­lich falsch, und der Erfolg der Platt­for­men sei im Grun­de als gesell­schaft­li­che Nie­der­la­ge zu bewer­ten. Als eine mög­li­che gesetz­li­che Ant­wort dar­auf nann­te eine gesetz­li­che Ein­schrän­kung oder sogar Ver­bot von Zweit- oder Dritt­ver­wer­tun­gen von Daten.

Als Ant­wort aus der krea­ti­ven und gesell­schaft­lich bewuss­ten Inter­net­com­mu­ni­ty müss­te wei­ter­hin dar­an gear­bei­tet wer­den, digi­ta­le Alter­na­ti­ven inner­halb der Netz­öko­no­mie zu ent­wi­ckeln und durch­zu­set­zen. Um dem zwang der Selb­st­op­ti­mie­rung auf den Arbeits­märk­ten ent­ge­hen zu kön­nen, sei es unum­gäng­lich, zu einer Öko­no­mie zu fin­den, in wel­cher der Ver­dienst des Lebens­un­ter­halts nicht mehr allein im Mit­tel­punkt steht. Damit war das Stich­wort Grund­ein­kom­men in den Köp­fen angetriggert.

Sili­zi­um­streif am Horizont

An die­ser Stel­le der Dis­kus­si­on wur­de der Bogen auch unter Betei­li­gung des Publi­kums noch wei­ter auf­ge­spannt, auch weil nun das Wort „Kli­ma­wan­del“ fiel. „Wir müs­sen zu einer nach­hal­ti­gen Lebens­wei­se fin­den“, bekräf­tig­te Butol­lo, der davon über­zeugt ist, dass das der­zei­tig erreich­te Wohl­stands­ni­veau dies ermög­li­che. Hier­zu müss­te unnö­ti­ge Kon­sump­ti­on ver­mie­den und der digi­ta­le Over­kill zu einem ver­nünf­ti­gen Ein­satz redu­ziert wer­den. Die Tech­nik kön­ne dabei an ent­schei­den­der Stel­le koor­di­nie­rend hel­fen, etwa indem anstel­le auf­wen­di­ger zen­tra­ler Pla­nun­gen Ele­men­te dyna­mi­scher Anpas­sung und Dezen­tra­li­tät in den Vor­der­grund treten.

Quel­le: Piraten-LSA.de








 

Kommentar verfassen