Dr. Gregor Hasler ist Professor für Molekulare Psychiatrie an der Universität Fribourg in der Schweiz. Moleküle und geistige Gesundheit gehen zusammen, wenn man Hirn, Darm, Nahrung und Darmflora im Zusammenhang untersucht und denkt.
"Die Darm-Hirn-Connection" ist ein Gemeinschaftswerk, für das der Herr Professor seine Lohnabhängigen kräftig eingespannt hat. Der geneigte Leser wird von Mitarbeiterin zu Mitarbeiterin weitergereicht, wie Studenten an einem langen Ausbildungstag im akademischen Lehrkrankenhaus. Entstanden ist eine komplexe Mischung von Fachbuch und populärwissenschaftlichem Exkurs, beim Urschleim beginnend: Urmund-Tierchen, Neumund-Tierchen, das Neuralrohr als Einstülpung des Exoderms - die alte Geschichte. Dann gleich das Fallbeispiel als ultimativer Beweis der engen Darm-Hirn-Verbindung: der neu entwickelte Vagusnerv-Stimulator, der einen Wachkoma-Patienten zu erstaunlichen Genesungsschritten stimuliert. Der Leser ahnt, dass die Lektüre anstrengend werden wird.
Zum Glück gibt es immer eine launige Geschichte zu erzählen, allein schon, um die Stimmung aufzuhellen. Etwa die über die Evolution des Vagusnervs vom Steuerer der Erstarrungsreaktion bei Amphibien und Reptilien zum umfassenden Regulator des Verdauungssystems und der Atmung bei Säugetieren.
Die Erziehung des Vagusnervs
Den Vagusnerv kann man trainieren, durch Singen von Schlafliedern, Fastenzeiten, Yoga und andere Entspannungsübungen. Interessant auch die Geschichte des Schluckaufs, der ursprünglich bei Amphibien die Aufgabe hatte, bei längerer Atmung durch die Kiemen Luft in die auch schon vorhandenen Lungen abzugeben. Nice to know.
Need to know für den ratsuchenden Leser ist die persönliche Diät-Strategie des Professors, die wohl als undogmatische GLYX-Diät mit Orientierung auf die längerfristige Energiebilanz zu beschreiben ist. Der Verzicht auf Industiezucker versteht sich von selbst, auch auf Fruktose-haltige Limonaden. Der glykämische Index ist ein Maß dafür, wie stark der Blutzucker nach Verzehr eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels ansteigt. Bei der Glykämischen-Index-Diät (GLYX) wird zwischen "guten" und "schlechten" Kohlenhydraten unterschieden.
Weißbrot ist dabei der "Staatsfeind Nr. Eins", gefolgt von Kartoffeln, Mais, Reis und so ziemlich allen Backwaren. Auch Vollkornbrot findet keine Gnade. Alle Kohlenhydrate, die die Darmbakterien leicht zu Einfachzuckern umwandeln können, stehen auf dem Index. Der Schwerpunkt der Ernährung liegt auf dem regelmäßigen Verzehr von Fleisch und Fisch sowie hochwertigen Fetten. Schon das Bestreichen einer Brotscheibe mit echter Butter kann deren glykämische Indexzahl auf einen verträglichen Wert senken. Die Darmbakterien sollen also schwerer arbeiten müssen, der Blutzuckerspiegel nach der Mahlzeit langsamer ansteigen und die Insulinwerte mäßig bleiben. Dadurch sollen vermehrt Fette abgebaut und nicht im Körper eingelagert werden.
Hunger ist der beste Diätberater
Zur Gewichtsreduktion empfiehlt Prof. Hasler zusätzliches Fasten. Von längeren Hungerphasen wird abgeraten, schon allein wegen der essentiellen Aminosäuren, die unser Körper nicht selbst synthetisieren kann. Regelmäßige Eiweiß-Mahlzeiten sind deshalb unverzichtbar. Ideal zum Abnehmen sind kleine persönliche Fastenrituale, etwa das 16-Stunden-Fasten: nach der traditionellen Mittagsmahlzeit gibt es bis zum nächsten Morgen nur noch Leitungswasser. Das Fastenbrechen (breakfast) ist dann schon der erste Höhepunkt des Tages.
Kollektive Rituale helfen auch bei der Gewichtsreduktion. In evangelischen Gegenden wurden nach der Reformation Fastenzeiten abgeschafft, was auch in der Schweiz mit ihren calvinistischen Traditionen als Verlust erlebt wird. Hier ist wieder einmal Eigeninitiative gefragt, die schon mit dem Lesen einschlägiger Bücher beginnt. "Die Darm-Hirn-Connection" von Gregor Hasler lässt uns Fortschritte in der Inneren Medizin hautnah miterleben und macht auch die darauf aufbauenden psychiatrischen Erkenntnisse sichtbar.
Gregor Hasler. Die Darm-Hirn-Connection - Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit. Schattauer Stuttgart 2019. 302 Seiten. 20,- €
Fotos: Schattauer, Pixabay