Die Theologin und ehemalige EKD-Ratspräsidentin Margot Käßmann unterschrieb wie eine halbe Million weiterer Menschen das Friedensmanifest von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht. In der Öffentlichkeit verteidigt sie ihre Entscheidung mit Verweis auf ihre pazifistische Überzeugung. Dargelegt hatte sie diese schon in einem Spiegel-Bestseller vom Juli 2022 mit dem Titel "Entrüstet Euch!", einer bemerkenswerten Sammlung klassischer und brandaktueller pazifistischer Texte.
Berlin im Juli 2022. Gerade hat die Ampel unter grüner Beteiligung ein 100 Milliarden Aufrüstungspaket beschlossen und damit womöglich den Grundstein gelegt für eine nach immer mehr Krieg rufende deutsche Kriegswirtschaft. 5000 Menschen, darunter Christen, Basisgrüne, Jusos, Omas gegen rechts, wenden sich entschieden dagegen und fordern lautstark eine Umwidmung für zivile Zwecke. Dafür werden sie von nicht wenigen Passanten als Pazifistenschweine beschimpft. Auch die Leitmedien haben umgeschaltet und streuen demagogische Wortungeheuer aus der strategischen Hülsenfabrik: Da ist plötzlich wieder von 'Lumpenpazifisten' die Rede, für dessen Zwilling Vaterlandsverräter man bloß noch keine zeitgemäße Form gefunden hat. Doch der neue Werte-Bellizismus funktioniert in den Köpfen und hat den einstigen Hurrah-Patriotismus erfolgreich ersetzt. Wer will da schon gern ein Lump sein?
Während viele bekannte Künstler dazu schweigen, ist ein Konstantin Wecker aktiv. Schon in seinem Friedensmanifest vom 2. März 2022 erteilt er der Ampel eine scharfe Absage. Ebenso wie das Bündnis Zivile Zeitenwende fordert der Künstler eine Umwidmung der 100 Milliarden für solziale, kulturelle und ökologische Zwecke. Und zeitgleich zur Berliner Demo legt Wecker als Mitherausgeber ein kämpferisches Buch vor: 'Entrüstet Euch' – in bester Doppeldeutigkeit. Das Buch vereint klassische Friedenstexte mit Wortmeldungen zeitgenössischer Pazifisten. Stefan Zweig neben Bertha von Suttner, Wolfgang Borchert neben Martin Luther King, Eugen Drewermann neben Antje Vollmer. Auftakt ist ein 50-seitiges Doppelinterview mit den Herausgebern Margot Käßmann und Konstantin Wecker.
Während Käßmann ihren konsequenten Pazisfismus bibelfest aus theologischen Überzeugungen ableitet und sich dabei auf Jesus und Bonhoeffer beruft, plädiert Kontantin Wecker für eine neue blockübergreifende internationale Friedens- und Abrüstungsbewegung und fordert eine Friedensrevolution. Beide bekunden ihre Solidarität mit den Verteidigern der Ukraine, benennen aber auch die unerträglich hohen Opferzahlen der jüngeren Kriege des Westens beim Namen. Beide verteidigen den Pazifismus als sicheren ethischen Kompass in Zeiten der scheinbar wertebasierten Werteumkehr, die sie als bereits bekanntes Spiel der Kriegsmächte entlarven. Und beide wenden sich aus eigener Erfahrung gegen die grassierende Shitstormkultur, in der alle nachdenklichen und mahnenden Stimmen niedergewalzt werden.
Das Buch enthält wertvolles Rüstzeug für Menschen, die sich argumentiv wappnen und weltanschaulich verorten möchten, wenn sie sich dem Friedensgedanken in einer schwierig gewordenen Welt treu bleiben möchten. Die zusammengetragenen Texte beweisen, dass der Pazifismus keine bequeme Nicht-Haltung ist, sondern im Gegenteil eine engagierte aktive Auseinandersetzung erfordert.
Auch wem der Ruf nach Friedensverhandlungen und Rüstungsstopps naiv erscheinen mag, sei dieses wunderbare und wichtige Buch empfohlen.
Jörg Wunderlich
Entrüstet euch! Von der bleibenden Kraft des Pazifismus
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