Mehrere tausend Friedensaktivist*innen aus der gesamten Bundesrepublik versammelten sich am 2. Juli am Bebelplatz in Berlin. Bei einer Kundgebung und anschließenden Demonstration ans Brandenburger Tor forderten sie den Stopp des 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramms, diplomatische Friedensverhandlungen sowie eine Umwidmung der beschlossenen Kredite für eine nachhaltige Zukunft. Den Angriffskrieg Russlands verurteilten einhellig alle Redner*innen.
„Hunderttausend Millionen – nicht für Panzer und nicht für Kanonen“, rief ein Akteur in die Menge und machte plastisch klar um wie viel Geld es eigentlich geht beim Extra Waffen- und Aufrüstungspaket der Bundesregierung. Einhunderttausend mal eine Million Euro – das ist als Bild in 500 Euro-Scheinen ausgedrückt ein Turm - mehr als drei mal so hoch wie der Mount Everest.
Weil diese Milliarden zwar beschlossen, aber noch nicht ausgegeben seien, müsse die Diskussion darum bei jeder konkreten Ausgabe weitergehen, sagte Katharina Jessen bei ihrer Auftaktrede für das Bündnis Zivile Zeitenwende.
Sozialökolische Transformation als "Schwester der Abrüstung"
Dieses Waffengeld, so eine Rednerin, konnte politisch nur in einer Schocksituation durchgesetzt werden. Es könne weder den Klimawandel oder wachsende Armut aufhalten noch sei es geeignet, Frieden herbeizuführen. Jessen verwies auf die Friedenskämpfe in den 50er Jahren oder im Kalten Krieg der 80er. Deren Erfolge trotz Einschüchterung und Repression hätten gezeigt, dass es beim Thema Frieden auf eine breite Bündnisfähigkeit ankomme. Genau wie 1914 stehe man augenblicklich vor einer weitreichenden historischen Entscheidung – Zivilisation oder Barbarei. Die Parallelen von heute zu den „Kriegskrediten“ von damals seien frappierend, aber anders als damals könnten sich Friedensforderungen heute auf die UN-Charta oder das Grundgesetz stützen.
Die sich anschließende Rednerin Anne Riegert vom Bundesratschlag Friedenskooperative betonte, dass die soziale und ökologische Konversion als „Schwester der Abrüstung“ im Zentrum heutiger Friedenskämpfe stehen müsse, weil von ihr das Überleben auf dem Planeten abhinge. „Wir sind die Opposition gegen eine entfesselte Kriegs- und Aufrüstungspolitik der Bundesregierung“ rief sie unter starkem Beifall in die Menge.
Eine weitere Rednerin aus der christlichen Friedensbewegung zitierte ein Gedicht der Theologin Dorothee Sölle, um das derzeitige gesellschaftliche Klima der Angstspirale zu skizzieren:
"Wir sehen immer nur zwei Möglichkeiten
selber ohne Luft zu sein oder andern die kehle zuhalten
angst haben oder angst machen
geschlagen werden oder schlagen ."
Gegenüber der Humboldt-Uni in Berlin auf dem Bebelplatz hatten sich tausende Friedensaktivist*innen aus der gesamten Bundesrepublik versammelt, um für eine Umwidmung des Milliardenprogramms für soziale und friedliche Zwecke zu fordern: Bürgerlich-konservative und Linke, Klimaschützer und Gewerkschafter, 'Omas gegen rechts' und 'Pax Christi'. Das Fahnenmeer war entsprechend bunt und reichte von Regenbogen und blauer Friedenstaube bis hin zu verschiedensten roten Flaggen und auch der grün-gelben Sonnenblume.
Grüne Urabstimmung für eine Kehrtwende
Diejenigen Anwesenden, die eine Parteifahne der Grünen in der Hand hielten, hatten auf dem Platz einiges an Häme auszuhalten, aber sie wussten um ihre wichtige Mission: Mit einer Urabstimmung wollen die Mitglieder einer basisgrünen Initiative ihre Parteispitze an das eigene Programm erinnern und zur politischen Abkehr vom Aufrüstungskurs bringen. Um die Abstimmung durchsetzen zu können, benötigen sie laut Statut die Unterschriften von 5 Prozent aus den Reihen der Mitglieder.
„Keine Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete - das steht bei uns im Wahlprogramm. Es war sogar auf Plakaten mit Annalene Baerbock zu lesen, das muss man sich mal vorstellen“ sagt Klaus Griesehop, der schon 1981 im Bonner Hofgarten dabei war, als 200.000 Menschen gegen neue Pershing-Raketen demonstrierten. Heute ist seine Partei selbst an der Regierung beteiligt, die aus seiner Sicht aber einen fatalen Fehlkurs eingeschlagen habe. Zeit, die Partei mit einer möglichen Urabstimmung davor zu bewahren, bleibt Klaus Griesehop und seinen Mitstreiter*innen vom linken Parteiflügel der Grünen noch bis Ende August.
Demo weitgehend frei von Störungen
Nach einer einstündigen Auftaktkundgebung setzte sich der Zug über die Straße Unter den Linden in Bewegung. Unterwegs kam es zu einer Zwischenkundgebung am Brandenburger Tor. Der Zug verlief weitgehend störungsfrei und ruhig – von Beschimpfungen einer organisierten Gegenveranstaltung abgesehen. Auch hier eine weitere Parallele zu 1914: Humanisten gegen Krieg und Aufrüstung werden unter Vorgabe einer moralischen Alternativlosigkeit als „Lumpen“ und „Schweine“ bezeichnet. Die Polizei verhielt sich kooperativ, professionell und friedlich.