Tschechien hat gewählt. Jenseits einiger landesspezifischer Besonderheiten weist das Ergebnis bemerkenswerte Gemeinsamkeiten mit den letzten Urnengängen in den USA, in Frankreich, Österreich und – mit Einschränkung – Deutschland auf. In all diesen Wahlen ist der Trend zu beobachten, dass besonders erfolgreich jene Politiker abgeschnitten haben, die für sich in Anspruch nehmen, keine Politiker zu sein. Politiker, so behaupten sie, finde man nur bei der Konkurrenz, den „Altparteien“. Und die seien korrupt, machtbesessen, verbraucht, von Postenjägern beherrscht.
"New Deal" mit tschechischen Bürgern
Andrej Babiš, dessen Bewegung ANO mit fast 30 % überlegener Sieger der Wahlen zum Prager Parlament geworden ist, verschickte drei Tage vor dem Urnengang einen Brief an alle Haushalte. Dieser enthielt einen „Vertrag von Andrej Babiš mit den tschechischen Bürgern“. Darin verpflichtet sich der milliardenschwere Unternehmer, den tschechischen Staat wie sein erfolgreiches Unternehmen zu führen. Er erweckt den Eindruck, es gehe nicht um demokratische Wahlen, in denen die Stimmberechtigten einer Partei und ihren Repräsentanten auf Zeit ihr Vertrauen schenken und den Auftrag erteilen, ihr politisches Programm umzusetzen, sondern um einen Deal, ein Geschäft zwischen Herrn Babiš persönlich und jedem einzelnen Bürger. „Sie entscheiden, ob Sie eine Veränderung wollen oder für ewige Zeiten eine Regierung traditioneller Politiker“ schreibt er zum Schluss. Der stellvertretende Regierungschef und Finanzminister in der zu Ende gehenden Legislaturperiode hieß Andrej Babiš.
Ideologiefreier kaufmännischer Populismus a la Trump
Ja, Andrej Babis ist ein Populist. Aber nicht in dem Sinne, dass er eine nationale, EU-feindliche, rechtsextreme oder überhaupt irgendeine Ideologie verfolgen würde. Sondern im Sinne eines Kaufmanns: Der Kunde verlangt Anti-Migrationspolitik? Gern, haben wir selbstverständlich im Angebot! Keine Euro-Einführung? Höhere Renten? Stets zu Diensten - ganz nach Kundenwunsch!
Die Parallelität zur Gedankenwelt eines Donald Trump ist frappierend. Der Staat als Unternehmen, das zum Erfolg geführt werden muss. Auslandsbeziehungen müssen „gute Deals“ sein. Wer von solchen Vorstellungen beherrscht an die Macht strebt, unterliegt der Annahme, oberstes Staatsziel sei Gewinnmaximierung. Zweifellos ist eine florierende Wirtschaft eine wichtige Voraussetzung für ein blühendes Gemeinwesen. Aber es ist nur eine Komponente, nicht pars pro toto. Wer den Staat auf gewinnorientiertes Wirtschaften reduziert, fremdelt mit allen anderen Komponenten, die menschliche Gemeinschaften erst lebenswert und sinnerfüllt machen: Freiheit, Kultur, Recht, Gleichberechtigung, Wohlfahrt, Solidarität. Die bisherige Amtszeit Donald Trumps als amerikanischer Präsident legt beredt Zeugnis davon ab.
Deutliche Abkehr von Europa
ANO ist mit fast 20 % Vorsprung Sieger der Wahlen. „ANO“ ist die Abkürzung für „Akce nespokojených občanů“. Zu Deutsch: Aktion unzufriedener Bürger. Gibt es Grund zur Unzufriedenheit?
Dank der EU-Migliedschaft geht es Tschechien so gut wie schon lange nicht mehr. Die Wirtschaft blüht, die Arbeitslosenquote ist die niedrigste von allen Mitgliedsstaaten. Aber nur noch rund 30 % der Tschechen halten die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache.
Wie der Rechtspopulist Tomio Okamura, dessen „Partei für direkte Demokratie“ (SPD) mit gut 10 % den vierten Platz belegt hat, verspricht Babiš seinen Wählern, die Flut „illegaler Migration“ in die EU und nach Tschechien zu bekämpfen und keinerlei Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen zu akzeptieren. Es gibt praktisch keine Flüchtlinge in Tschechien. Letztes Jahr wurden nur Hundert aufgenommen.
Die Abgabe weiterer Kompetenzen an Brüssel, mithin die Annäherung an Kerneuropa, die Einführung des Euro, die seit dem EU-Beitritt auf der Agenda der tschechischen Europapolitik stehen und dem Land zu weiterer Prosperität verhelfen würden, lehnt Babiš in seinem „Vertrag mit den Bürgern“ ausdrücklich ab.
Wahlsieger droht Haftstrafe wegen Korruption und Betrug
Gegen Andrej Babiš läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Subventionsbetrug. Seine Immunität wurde im Mai aufgehoben, er musste von seinen Regierungsämtern zurücktreten. Auch die EU-Korruptionsbehörde OLAF ermittelt. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren.
Vor zwei Wochen hat das slowakische Verfassungsgericht ein Urteil des Obersten Gerichtshofes aufgehoben und an die Gerichte zurückverwiesen. Es ging um den Vorwurf, Andrej Babiš habe in den 80er Jahren als Agent „Bureš“ für die Staatssicherheit gearbeitet. Zwei Zeugen hatten dies bestritten. Diese Zeugen, so das Gericht, seien in höchsten Maße unglaubwürdig. Sie waren hauptamtliche Stasimitarbeiter.
Das tschechische Wahlvolk hat sich als faktenresistent erwiesen. Nun steht zu befürchten, dass Andrej Babiš wie Donald Trump sein Land in die Isolation treiben wird.
Der deutsche Historiker Werner Imhof schrieb für die "Prager Zeitung" und arbeitete 15 Jahre für die Brücke/Most Stiftung. Außer dem ist er Tschechien-Korrespondent der Wochenzeitung "jungle world"
Grafik oben: By Kurzycz (Own work) CC BY-SA 3.0
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