Reformpolitiker, Kritische Ökonomen und Aktivisten sozialer Bewegungen sprachen auf dem GCN-Kongress 2013 MACHT GELD SINN in Köthen. Unter den Referent*innen waren unter anderem Prof. Margrit Kennedy, Sven Giegold, Prof Dr Herta Däubler-Gmelin, Prof. Dr. Niko Paech oder die ehemailge Vizepräsidentin des Bundestages Dr. Antje Vollmer.
Wer sich zu einem gewöhnlichen Regionalfußball- Sonntag Anfang März ins winterliche Köthen begab, dem musste Europa dort auf den ersten Blick weit entfernter erscheinen als zu Zeiten der askanischen Fürsten. Doch während die Bankniederlassungen genauso im Schneefall dahindämmerten wie die übrige Köthener Innenstadt, verhandelten dort Experten aus Wissenschaft, Politik und sozialen Bewegungen beispielsweise darüber, wie sinnvoll Banken in ihrer heutigen Form als solche überhaupt noch sind. Fast eine ganze Woche lang trafen sich in der anhaltischen Residenzstadt grüne, rote und gelbe Politprominenz, NGO-Vertreter, Banker und Manager, Wirtschaftswissenschaftler und Philosophen, Klima- und Energieexperten, um gemeinsam über brisante makroökonomische Fragen zu beraten. Der Fokus vieler Vorträge lag dabei auf der engen Verbindung der Finanzproblematiken mit der Demokratiefrage.
Warnung vor Krisen-Diktatur
Den zweiten Kongresstag am 10. März eröffnete Antje Vollmer mit der Aufforderung zu mehr Basisdemokratie in Wirtschaftsfragen. Denn bei so viel Politiküberdruss auf allen Seiten, wenn de facto gar nichts mehr geht – so die hoffnungsvolle Überzeugung der Grünen-Politikerin und Hannah-Ahrendt- Preisträgerin – fange alles erst an.
Prof. Margrit Kennedy, Mitbegründerin der Occupy-Bewegung, warnte in ihrem folgenden Vortrag vor der Etablierung einer krisenbedingten Verwaltungsdiktatur und forderte mehr Aufklärung und öffentlich finanzierte Forschung im Finanzbereich. Im Gegensatz zu früher könne man heute mit digitalen Modellsimulationen mögliche Alternativen am Computer durchspielen und so wichtige Erkenntnisse über Systeme gewinnen, die möglicherweise zukunftsfähiger sind als die heute gültigen. Zum Thema Schuldenkrise wies die kritische Volkswirtschaftlerin auf den ursächlichen spiegelbildlichen Zusammenhang zwischen wachsenden Schuldenbergen auf der einen und überproportional ansteigendem Privatvermögen auf Seiten der Gläubiger hin.
Vorschlag für eine vierte Staatsgewalt
In der von der TV-Journalistin Kathrin Latsch ( u. a. NDR, arte ) im Anschluss moderierten Diskussion brachte Frau Kennedy den Begriff der „Monetative“ ins Spiel. Als notwendige Erweiterung der heutigen Demokratie bezeichnet dieses Wort ein Staatsmodell, in welchem die Zentralbanken als vierte Säule neben Legislative, Exekutive und der Gerichtsbarkeit selbstständig und allein für die Geldschöpfung, die Kreditvergabe und die Währungsstabilität verantwortlich sind. Als möglicher Übergang seien auch Varianten denkbar, wo die privat geführten Geschäftsbanken immer noch einen festgelegten Teil (z.B. 50 Prozent) der Geldmenge innerhalb ihres Geschäftsbetriebes verwalten könnten. Die auf dem Köthener Kongress ebenfalls stark diskutierten Regionalwährungen bezeichnete Frau Kennedy als „Laboratorien für einen anderen Umgang mit Geld“. Abschließend forderte sie, endlich die „Denkgefängnisse“ in Sachen Währung zu überwinden und diese genau wie das demokratische Gemeinwesen als frei formbaren Gestaltungsgegenstand zu betrachten.
Einen ersten Kongresshöhepunkt stellte der anschließende Vortrag von Sven Giegold dar, der seine Erfahrungen als Abgeordneter im Europaparlament beschrieb. Giegold sitzt dort seit drei Jahren für die Grünen im Wirtschafts- und Finanzausschuss, zu dessen Aufgaben neben der Steuer- und Wettbewerbspolitik auch die Kontrolle der EZB und die Finanzmarktgesetzgebung gehört.
Sven Giegold: In Strasbourg und Brüssel lässt sich viel bewegen
Parteipolitik sei ihm nach dieser Zeit innerlich immer noch fern, so der 43-jährige, etwa wenn gegenseitige Konkurrenz die Kommunikation blockiere. Ebenso fremd seien ihm die Privilegien der europäischen Volksvertreter oder die häufig anzutreffende Pöstchenmentalität bei den Politprofis in Strasbourg und Brüssel. Bei seinen grünen Parteifreunden irritiere ihn zudem eine typische „urbane Arroganz“ gegenüber allem Spirituellen und Religiösen.
Genau wie seine Vorrednerin beklagte der ehemalige Basisaktivist und Attac - Mitbegründer das in der Krise aufklaffende Demokratiedefizit. „Etwas Grundlegendes läuft schief“, so sein Fazit, denn „die Stunde der Krise ist immer die Stunde der Exekutive“. So hätte kein einziges der „Rettungspakete“ für Banken und verschuldete Staaten nach seiner Ansicht eine Mehrheit der Abgeordneten im Parlament bekommen. Gleichzeitig betonte Giegold, wie wenig die verbreitete Überzeugung einer allgemeinen Ohnmacht gegenüber den Entscheidungen einer übermächtigen EU-Bürokratie den Tatsachen entspreche. Das Parlament in Strasbourg sei ein Ort mit „harter Gesetzgebungskompetenz“ und wer als Abgeordneter seine Kollegen zu überzeugen wisse, könne auch sehr viel bewegen. Statt Fraktionszwang und Parteidisziplin sei dort Sachpolitik mit hoher Verantwortung an der Tagesordnung. „Wo es starken öffentlichen Druck gegeben hat, hat sich auch etwas bewegt“, so der überzeugte Europäer, der auch politische Erfolge zu berichten hatte. Die gesetzliche Drosselung der Banker-Boni und die Erhöhung der Mindestkapitaleinlagen seien wichtige Reformen gewesen, die gemeinsame EU-Bankenaufsicht ein echtes Highlight. Die gerade verabschiedete staatenübergreifende Finanztransaktionssteuer sei eine der ersten politischen Forderungen von attac gewesen. Noch in diesem Jahr werde voraussichtlich die Spekulation mit Lebensmitteln an europäischen Finanzplätzen verboten, so Giegold weiter. Vor diesen erfolgreichen demokratischen Reformen hätten sich die Staaten und Regierungen in Europa einen Wettbewerb in Deregulierung und Liberalisierung geliefert.
Gemeinsam von unten gegen die Macht des "Kleingedruckten"
Problematisch sei, dass bestimmte Politikfelder, welche inhaltlich zu komplex und schwer verständlich seien, von wenigen Experten und Lobbyisten zu stark beeinflusst würden. Dadurch komme die „Macht des Kleingedruckten“ im Gesetzespapier zum Tragen, die häufig von den Partikularinteressen der Wirtschaft diktiert werde. Immer noch gebe es keinen eigenen wissenschaftlichen Dienst im europäischen Parlament, beklagte Giegold, so dass die Politiker auf Expertise von außen angewiesen seien. An die Bürger zu Hause appellierte der engagierte Politiker, den direkten Weg zu den Abgeordneten zu suchen und sich in Europafragen einzubringen. Europa müsse von zu Hause aus stärker kontrolliert und in die Pflicht genommen werden. Wenn es beispielsweise gelingen würde, die Steuerschlupflöcher in Europa zu schließen, könnten allein mit diesen zusätzlichen Milliarden theoretisch alle Staatsfinanzierungprobleme gelöst werden.
Neue NGO "Finance Watch" soll für mehr Transparenz sorgen
Um die Zivilgesellschaft endlich auch in Wirtschaftsbelangen zu stärken, haben EU-Abgeordnete im Jahr 2011 die NGO „Finance Watch“ gegründet. Diesem Schritt müssten noch weitere folgen, so Giegold abschließend, denn es habe sich gezeigt, dass das System auf Druck reagiere. Europa sei ein „riesiger Schatz“ und müsse genau deswegen von unten kritisiert und mitgestaltet werden.
Auf der Homepage des Politikers unter www.sven-giegold.de kann man sich für einen Newsletter anmelden und wird regelmäßig direkt von ihm informiert. Viele Vorträge des Kongresses sind im Internet zu sehen: www.castortv.de/?p=667
Jörg Wunderlich
Foto: Omnibus für Demokratie http://zukunft-dreinull.de/