Der Bundesfinanzhof hob am 26. Februar das bestehende Urteil zum Gemeinnützigkeitsstatus von attac auf. In der Begründung hieß es, attac beeinflusse die politische Meinung und könne daher nicht gemeinnützig sein. Mit dieser Argumentation kippte die Finanzbehörde eine Entscheidung des hessischen Finanzgerichtes aus dem Jahr 2016 und setzte zugleich ein verheerendes Signal an die Zivilgesellschaft. Ohne den Status der Gemeinnützigkeit könnten sowohl attac als auch andere Bildungsorgansiationen keine Spendenquittungen mehr ausstellen. Das würde die Finanzierungsgrundlage dieser Organisationen im Kern treffen und die weitere Arbeit gefährden.
Attac reagierte mit einer Pressemitteilung, die im Wortlaut hier nachzulesen ist:
Der Bundesfinanzhof hat heute entschieden, das bestätigende Urteil der ersten Instanz über die Gemeinnützigkeit von Attac aufzuheben und an das Hessische Finanzgericht zurückzuverweisen.
In seiner Begründung stellt er fest, dass die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung […] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt.“
Erkennbar setzt der BFH darin den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als das Finanzgericht in Kassel. Insbesondere die beiden Zwecke Förderung der Bildung und des demokratischen Staatwesens werden durch das Urteil deutlich eingeschränkt.
"Das ist ein verheerendes Signal für die gesamte kritische Zivilgesellschaft in Deutschland. Wir blicken mit großer Sorge auf Länder wie Ungarn oder Brasilien, die die Arbeit emanzipatorischer NGOs zunehmend unterdrücken und erleben nun auch hierzulande, wie Regierung und Parteien immer öfter versuchen, politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen“, sagt Dirk Friedrichs vom Vorstand des Attac-Trägervereins.
Die restriktive Auslegung des BFH macht nach Ansicht von Attac eine Anpassung der gesetzlichen Grundlage – der Abgabenordnung – an die Erfordernisse einer modernen Demokratie dringend notwendig: Eine widerstandsfähige Demokratie brauche eine kritische Bürgerschaft und starke Organisationen, die politische Entscheidungsprozesse aktiv begleiten und sich einmischen. Gemeinnützigkeit dürfe nicht auf apolitische Wohltätigkeit beschränkt werden.
„Das Gemeinnützigkeitsrecht darf nicht zu einem Instrument verkommen,mit dem zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich selbstlos für eine gerechte Gesellschaft und das Allgemeinwohl einsetzen, klein gehalten werden“, sagt Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann.
Dirk Friedrichs: „Vor kurzem hat eine Studie erneut gezeigt, dass Konzerne in der EU viel zu wenig Steuern zahlen. Es ist skandalös, dass der Bundesfinanzminister einer Organisation die Gemeinnützigkeit abspricht, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzt. Stattdessen sollte er dafür sorgen, dass sich sein Ministerium um die wirksame Bekämpfung von Konzernsteuertricks und Steueroasen kümmert.“
Mit seinem Engagement für eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft, für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit verteidige Attac das Gemeinwohl sowohl gegen mächtige wirtschaftliche Einzelinteressen als auch gegen rechte Demokratiefeinde.
Hintergrund
Mit der Behauptung, Attac sei zu politisch, entzog das Finanzamt Frankfurt dem Netzwerk am 14. April 2014 die Gemeinnützigkeit. Insbesondere der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem gemeinnützigen Zweck, hieß es zur Begründung. Im November 2016 gab das Hessische Finanzgericht der Attac-Klage gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit voll statt. Trotz des klaren Richterspruchs wies das Bundesfinanzministerium das Finanzamt an, beim Bundesfinanzhof in München Revision zu beantragen. Im Januar 2018 trat das Ministerium dem Revisionsprozess auch offiziell als Verfahrensbeteiligter bei.
Infolge des Entzugs der Gemeinnützigkeit können Mitglieder und Unterstützer der Attac-Arbeit ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. Stiftungen und andere Institutionen konnten Projekte von Attac nicht mehr fördern.
Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Attac die Gründung der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" angestoßen, die im Juli 2015 die Arbeit aufgenommen hat. Der Allianz setzt sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr angeschlossen haben sich mehr als 80 Vereine und Stiftungen – darunter neben Attac beispielsweise auch Brot für die Welt, Amnesty International, Medico International, Oxfam, Terres des Hommes und Campact.
Was ist Attac?
Attac ist die Abkürzung für die französische Bezeichnung "Association pour une Taxation des Transactions Financières pour l'Aide aux Citoyens – auf Deutsch: "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger/innen". Ausgehend von der Forderung nach einer Entwaffnung der Finanzmärkte befasst sich das Netzwerk mit der gesamten Bandbreite der Probleme neoliberaler Globalisierung. Attac setzt sich für eine Umverteilung des weltweiten Reichtums, eine strenge Regulierung der Finanzmärkte, gerechten Welthandel und umfassende soziale Sicherheit ein. Weltweit haben sich Attac rund 90.000 Menschen in mehr als 40 Ländern angeschlossen. Attac Deutschland – im Jahr 2000 in Frankfurt am Main gegründet – hat etwa 29.000 Mitglieder, 170 Regionalgruppen sowie mehr als 100 Mitgliedsorganisationen, deren Spannweite von den Gewerkschaften Verdi und GEW über den Umweltverband BUND oder die katholische Friedensorganisation Pax Christi bis hin zu kapitalismuskritischen Gruppen reicht.
Aktuell engagiert sich Attac Deutschland mit der Kampagne „Menschenrechte vor Profit“ für ein verbindliches Abkommen der Vereinten Nationen, das Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Unter dem Motto „Steuertricks stoppen“ streitet das Netzwerk für eine Gesamtkonzernsteuer und gegen die Steuervermeidung von Konzernen wie Apple, Ikea und Amazon.