Das war ein Kultur-Wochenende! Am Freitagabend „Dreigroschenoper“ – ein Fest für die Sinne. Fantastische Kostüme und ein Bühnenbild das amerikanischen Gangsterfilmen der 1970-iger nachempfunden ist. Dazwischen ein bisschen Dada – wunderbar choreographiert. Und dazu das Spiel mit und zwischen den Geschlechtern..
Ein Orchester, das wie eine Bigband aufspielte, mitreißende Songs, auch wenn man bei den Stimmen die Unterschiede in der Ausbildung bemerkt. Das ist nun mal in erster Linie Theater und erst in zweiter eine Oper! Schließlich gibt es ein grandioses Finale mit Harald Höbinger, der sich zuvor als Moritatensänger im Brecht-Outfit präsentieren durfte, als reitender, halt, wir wollen hier nicht alles verraten ...
Das Publikum war rundum begeistert. Und als ich meinen Begleiterinnen an der Garderobe wartend verkündete: Und am Sonntag gehe ich zu „Aida“ mischte sich eine ältere Dame ein: „Da gehen sie besser nicht hin! Das ist schrecklich!!!
Was soll ich sagen? Ich bin keine Opernfreundin, aber diese "Aida" hat mich an zwei Stellen zu Tränen gerührt. Und ein Statist des Chores, der kurz vor der Pause seinen großen Auftritt hatte, brachte mich zum Lachen. Fast kamen mir dabei auch die Tränen, denn ich erntete böse Blicke aus meiner Umgebung und das befeuerte meinen Lachzwang. Ich musste daran denken, wie ich einmal im Ballett, es war bei Casanova, kicherte und am Ende der Vorstellung eine junge Dame an mir vorbeirauschte und süffisant näselte: „Gehen Sie doch das nächste Mal ins Steintor!“ Nein, in der Oper, da gibt es nichts zu lachen! Da sind wir ganz ernsthaft, lauschen der hohen Kunst und benehmen uns kultiviert!
Die Inszenierung, sagt Regisseur von zur Mühlen, will den Sängern Raum geben, sich vor allem auf ihre Stimmen und ihre persönliche Performance zu konzentrieren. So war das um 1880 zur Zeit der Uraufführung üblich. Und deshalb tragen die Herren Gehrock und mächtige Bärte und die Damen opulente Kleider überm Reifrock. Damit sie sich vom Chor abheben, der sie durch sein Agieren immer wieder einkreist, bedrängt oder beschützt, tragen sie Plateauschuhe. Musikalisch geht dieses Konzept voll auf.
Und nun kommt Brecht ins Spiel. Das, worüber man sich in der Dreigroschenoper wahlweise amüsieren oder Gedanken machen darf, der Verfremdungseffekt, schockiert das traditionelle Opernpublikum. „Glotzt nicht so romantisch!“ – das Zitat stammt von Brecht. Genau, Ihr dürft schon Gefühle entwickeln, liebes Publikum. Aber ihr sollt darüber nicht die gesellschaftliche Realität vergessen. Und die wird noch vor der Ouvertüre eingespielt und zeigt sich im gruseligen ersten Auftritt des Chores. Für Bühne und Kostüme zeichnet Christoph Ernst verantwortlich, der zunächst selbst schockiert von dem Effekt war, den die Damen und Herren des Chores erzeugten, als sie kurz vor der Premiere zum ersten Mal in ihrer ägyptischen Verkleidung steckten.
Ich kann mir vorstellen, dass bestimmt nicht alle mit Freuden in diese Hülle geschlüpft sind. Aber die Damen und Herren haben einen bravourösen Auftritt hingelegt, spielerisch, tänzerisch und vor allem stimmlich! Dazu ein hervorragendes Orchester unter der musikalischen Leitung von Michael Wendeberg.
Gut, die Video - bzw. Audio-Einspielungen zwischen den Auftritten sind sicherlich für herkömmliche Opernbesucherinnen gewöhnungsbedürftig bis störend. Aber wie sagte doch ein auch nicht mehr so junger Herr in der Diskussionsveranstaltung „Agitation und Revolte“, die im Anschluss stattfand:„Mir ist es diesmal leichter gefallen, die Oper zu erleben. Sonst wird es immer ziemlich bald langweilig.“ Und eine junge Frau berichtet über ihr Opernerlebnis bei „Aida“ in Verona. Da wurde die Aufführung dreimal durch Gewitter unterbrochen. Und der Einbruch der Realität war eine Putzkolonne bestehend aus afrikanischen Frauen, die die Arena wieder herrichten mussten. Vom Podium kam dann die Rede auf ein modernes Regie-Konzept, dass die Sklavin Aida mit dem Staubsauger über die Bühne gejagt habe.
Das Inszenierungsteam hat sich ganz bewusst dazu entschieden, Aida in den historischen Kontext der Aufführungszeit zu stellen. Es ist die Zeit des Entstehens der modernen Nationalstaaten in Europa. Vaterland und Heimat sind hehre Begriffe. Das Volk wird auf die Verteidigung der Grenzen und gegebenenfalls auch auf deren Erweiterung eingeschworen. „Ich bin ein Ägypter! Wir alle sind Ägypter! Ägypten den Ägyptern!“ Für den romantischen Liebestod in der Grotte wurde übrigens eine überraschende Lösung gefunden, die überzeugend und zutiefst menschlich wirkt.
Solveig Feldmeier
Tipp: Opernkarten sind ja recht teuer, aber es gibt Gruppenrabatte.