Polen – Der Nach­bar von rechts?

Katho­li­zis­mus und Kon­ser­va­tis­mus schei­nen in Polen eng bei­ein­an­der zu lie­gen. Über 90 Pro­zent der Bevöl­ke­rung gehö­ren dem katho­li­schen Glau­ben an. Er gilt als inof­fi­zi­el­le Staats­re­li­gi­on -und das nicht erst, seit dem die Kir­che der PiS-Par­tei 2015 zum Wahl­sieg ver­hol­fen hat.

In fast jeder gro­ßen Stadt sind gan­ze Stra­ßen­zü­ge und Plät­ze Papst Johan­nes Paul II. gewid­met. In Polen ist man mehr Papst, als es Deutsch­land je war. Der tief ver­wur­zel­te Glau­ben spie­gelt sich auch im pol­ni­schen Stadt­bild wider. Selbst in der Mil­lio­nen­stadt War­schau ist die Bevöl­ke­rung erstaun­lich homo­gen. Hier sind es kei­ne Mus­li­ma, die Kopf­tü­cher tra­gen, son­dern Nonnen.

Des­halb ist es nicht unge­wöhn­lich, dass die Sitz­nach­ba­rin im Bus eine Klos­ter­frau ist. Dass ich als Tou­ris­tin mit Talis­ma­nen und Lob­prei­sun­gen auf Herrn Jesus und Mut­ter Maria mis­sio­niert wer­de, über­rascht mich trotz­dem. Für Aus­ein­an­der­set­zun­gen über Glau­bens­fra­gen rei­chen mei­ne Sprach­kennt­nis­se lan­ge nicht aus. Als ich eine jun­ge Frau um Über­set­zungs­hil­fe bit­te, bedau­ert sie, kein Deutsch spre­chen zu kön­nen. Die ande­ren Fahr­gäs­te star­ren auf ihr Han­dy. Doch kaum ist der Saum des Non­nen­ge­wands im Stra­ßen­ge­tüm­mel ver­schwun­den, erklärt mir die Frau in per­fek­tem Eng­lisch, dass ich die Dame nicht zu ernst neh­men soll­te. Eine Situa­ti­on, die einen ent­schei­den­den gesell­schaft­li­chen Mecha­nis­mus Polens prä­gnant wider­spie­gelt: Die Grat­wan­de­rung zwi­schen Tra­di­ti­on und Moder­ne, zwi­schen Kon­ser­va­tis­mus und Wandel.

infopointIn War­schau sit­zen vie­le Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (NGO‘s), die poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Arbeit leis­ten. In Deutsch­land erfahrt man über ihre Arbeit wenig, weil der poli­ti­sche Druck auf regie­rungs­kri­ti­sche Stim­men in Polen gewach­sen ist. Öffent­li­che Gel­der wur­den gestri­chen und eine unab­hän­gi­ge Bericht­erstat­tung fin­det nach der Medi­en­re­form kaum noch statt. Das ist nicht nur bedau­er­lich, son­dern für die Unter­stüt­zung aus der brei­ten Öffent­lich­keit gera­de­zu dra­ma­tisch. Denn unter der Oberflä­che ist unser Nach­bar­land weit weni­ger rechts, als die Regie­rung es gern hätte.

Kul­tu­rel­le Viel­falt sicht- und hörbar

Das Cen­trum Wie­lo­kul­tur­o­we, auf Deutsch „Zen­trum der Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät“, legt sei­nen Schwer­punkt auf Bil­dungs­ar­beit. Die offen und bunt gestal­te­ten Räum­lich­kei­ten bie­ten einen Anlauf­punkt für eth­ni­sche und kul­tu­rel­le Min­der­hei­ten. Das Zen­trum ver­steht sich als Netz­werk von über 100 ver­schie­de­nen Orga­ni­sa­tio­nen. Arbeits­räu­me und Mate­ria­li­en kön­nen genutzt wer­den, sofern die Inhal­te der ein­zel­nen Pro­jek­te mit der Ziel­set­zung des Zen­trums ver­ein­bar sind. Außer­dem beher­bergt das Zen­trum einen Info­point, wo Migran­tIn­nen in ihren indi­vi­du­el­len Anlie­gen unter­stützt wer­den. Zwei Mal wöchent­lich fin­det eine Rechts­be­ra­tung statt. Es gibt eine eige­ne Radio­sta­ti­on, das IMI Radio, von dem aus Migran­tin­nen und Migran­ten regel­mä­ßig auf Sen­dung gehen. Die pol­ni­sche Regie­rung hat im Zuge der 2015 ein­ge­setz­ten welt­wei­ten Flucht­be­we­gung kaum Geflüch­te­te auf­ge­nom­men. Seit Jah­ren fin­den in Polen jedoch Men­schen aus der Ukrai­ne und wei­ter öst­lich lie­gen­den Län­dern ein neu­es zu Hau­se. Gäbe es in Deutsch­land ein ,Zen­trum der Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät', wäre der Arbeits­schwer­punkt auf­grund der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen ver­mut­lich ein ande­rer. In War­schau soll in ers­ter Linie die exis­ten­te kul­tu­rel­le Viel­falt sicht­bar gemacht werden.

Spal­tung der pol­ni­schen Bevölkerung

wielokultur

Witek Heba­now­ski (li) und der stu­den­ti­sche Besuch aus Deutschland

Witek Heba­now­ski enga­giert sich seit Jah­ren in der Kul­tur­sze­ne War­schaus, unter ande­rem auch im Cen­trum Wie­lo­kul­tur­o­we. Ideen für Bil­dungs­pro­jek­te hat er vie­le. Die meis­ten Pro­jek­te wer­den durch För­der­gel­der der Euro­päi­schen Uni­on finan­ziert, da von der pol­ni­schen Regie­rung kaum Unter­stüt­zung zu erwar­ten sei. Wäh­rend ande­re Akti­vis­tIn­nen Kri­tik an der Regie­rung nicht expli­zit äußern, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Pro­ble­ma­tisch für die Arbeit vie­ler NGO's sei vor allem, dass die aktu­el­le Poli­tik von so vie­len Brü­chen und undurch­sich­ti­gen Ent­schei­dun­gen durch­zo­gen sei.

„Das macht es schwer zu sagen, was aku­ter poli­ti­scher Bull­shit ist und wo schlicht das poli­ti­sche Sys­tem Schuld hat“, so Witek. Seit­dem die PiS-Par­tei an der Macht ist, hat er eine dras­ti­sche Ver­än­de­rung inner­halb der pol­ni­schen Gesell­schaft beob­ach­tet. „Gera­de fin­det eine kom­plet­te Spal­tung der pol­ni­schen Bevöl­ke­rung statt. Ähn­lich zu dem, was Trump in Ame­ri­ka aus­ge­löst hat. Es bil­den sich zwei völ­lig unter­schied­li­che Polen her­aus.“ Dass Witek eher dem lin­ken Flü­gel ange­hört, ist offen­sicht­lich. Doch statt auf poli­ti­sche Kon­fron­ta­ti­on zu gehen, steckt er sei­ne Ener­gie lie­ber in kul­tu­rel­le Pro­jek­te. Der Mehr­wert für die Gesell­schaft steht für ihn an obers­ter Stel­le. Dabei geht er auch weit über die pol­ni­schen Lan­des­gren­zen hin­aus. Neben sei­ner Arbeit für Men­schen in War­schau ist er Orga­ni­sa­tor des jähr­lich statt­fin­den­den One­Cau­ca­sus-Fes­ti­vals. Das Fes­ti­val ver­steht sich als ein inter­dis­zi­pli­nä­res Pro­jekt, das neben Kunst, Musik und Tanz auch lang­fris­ti­ge Bil­dungs­ar­beit leis­ten will. Wochen bevor das Fes­ti­val star­tet, bricht ein Team aus Frei­wil­li­gen in den Kau­ka­sus auf. In den Dör­fern, die sich in unmit­tel­ba­rer Nähe zum Fes­ti­val­ge­län­de befin­den, wer­den Work­shops ange­bo­ten und genau geschaut, wie die loka­le Bevöl­ke­rung am bes­ten unter­stützt wer­den kann.

Gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment von der Regie­rung nicht zu stoppen

Redaktionsbesuch bei der Otwarta Rzecz­pos­po­lita

Redak­ti­ons­be­such bei der Otwar­ta Rzeczpospolita

Die Band­brei­te an NGO's ins War­schau ist groß. Ähn­lich breit sind auch die Wir­kungs­fel­der, in denen sie sich enga­gie­ren. Neben kul­tu­rel­len Pro­jek­ten wer­den auch kon­kre­te gesell­schaft­li­che Miss­stän­de bear­bei­tet. Die Otwar­ta Rze­cz­pos­po­li­ta, bedeu­tet über­setzt ,Offe­ne Repu­blik', und geht gegen Anti­se­mi­tis­mus und Xeno­pho­bie in Polen vor. Auch wenn bloß 5000 Men­schen jüdi­schen Glau­bens im Land leben, ist die Juden­feind­lich­keit ein ernst­zu­neh­men­des Pro­blem. Anti­se­mi­ti­sche Äuße­run­gen und gespray­te Paro­len sind vor allem im Umfeld der extrem rech­ten Hoo­li­gan-Sze­ne zu fin­den. Vie­les wird auf Face­book ver­öf­fent­licht oder kom­men­tiert. Dort setzt die Otwar­ta Rze­cz­pos­po­li­ta an. Es gibt kaum Fest­an­ge­stell­te, dafür ver­fügt die NGO über ein brei­tes Netz an Unter­stüt­ze­rIn­nen. 250 Vor­fäl­le von juden­feind­li­chen Äuße­run­gen wer­den jähr­lich an die Orga­ni­sa­ti­on wei­ter­ge­lei­tet, die ver­sucht juris­ti­sche Schrit­te gegen die Urhe­be­rIn­nen ein­zu­lei­ten. In den meis­ten Fäl­len wird ein Straf­ver­fah­ren gar nicht erst eröff­net. Im letz­ten Jahr kam es ledig­lich in vier Fäl­len zu einer Verurteilung.

Die Arbeit der Otwar­ta Rze­cz­pos­po­li­ta zeigt, wie schwer die Poli­tik das Tages­ge­schäft von Akti­vis­tIn­nen in Polen macht. Gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment ist trotz­dem reich­lich vor­han­den. Nicht nur in War­schau, son­dern auch in ande­ren Tei­len des Lan­des. Im Herbst letz­ten Jah­res demons­trier­ten Zehn­tau­sen­de gegen das geplan­te Abtrei­bungs­ver­bot der Regie­rung. Vor Weih­nach­ten besetz­ten Oppo­si­tio­nel­le das Par­la­ment in War­schau. Und auch in der Bevöl­ke­rung for­miert sich der Wider­stand gegen die rech­te Regie­rung immer stär­ker. Man muss nur wis­sen, wo der Akti­vis­mus zu fin­den ist.

Fest steht, dass sich die pol­ni­sche Gesell­schaft im Umbruch befin­det. Wel­chen Aus­gang der Ver­än­de­rungs­pro­zess neh­men wird, ist noch nicht klar. Eine jun­ge pol­ni­sche Genera­ti­on steht in den Start­lö­chern: Lus­tig, inter­es­sant und krea­tiv. In deren Krei­sen hält man gar nichts von der PiS-Regie­rung. Ihnen gegen­über ste­hen älte­re Genera­tio­nen, die weit­aus kon­ser­va­ti­ver und tra­di­tio­nel­ler ori­en­tiert sind. Die Ansich­ten der Eltern und Groß­el­tern wer­den von der jün­ge­ren Genera­ti­on kri­tisch hin­ter­fragt. Ein offe­ner Aus­tausch bis hin zur Kon­fron­ta­ti­on fin­det aber (noch) nicht statt.

Lui­sa Klatte

Lui­sa Klat­te stu­diert in Hal­le „Inter­dis­zi­pli­nä­re Polen­stu­di­en“ und war im Febru­ar 2017 in Warschau.

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