Eine Filmrezension von Eva N.
Der polnische Film Pora umierać (engl. Time to die) beschäftigt sich mit einer allgegenwärtigen, aber doch gern verdrängten Thematik: dem Älterwerden. Zentrale Figur des Films ist die alte Dame Aniela, gespielt von Danuta Szaflarska, die sich mit über 90 Jahren resolut den Herausforderungen eines selbstbestimmten Lebens stellt. Gemeinsam mit ihrem Hund bewohnt Aniela eine marode Villa, deren glanzvolle Jahre längst vergangen sind. Dennoch ist das Haus Anielas wertvollster Besitz, denn mit ihm verbindet sie ihre schönsten Erinnerungen.
Hund Phila, der er eine ausgeprägte Schwäche für Butterbrote hat, begleitet Aniela zuverlässig auf Schritt und Tritt. Geduldig lauscht er Anielas Erzählungen, verjagt energisch ungebetene Besucher vom Grundstück und hebt auch schon mal den Telefonhörer ab, wenn sie es nicht rechtzeitig zum klingelnden Telefon schafft. Im Gegenzug teilt Aniela brüderlich ihren Likör mit Phila, zur Förderung der Gesundheit versteht sich, warnt ihn vor Fettleibigkeit durch übermäßigen Butterbrotkonsum und neckt ihn mit scherzhaften Kommentaren wie „Früher war alles besser, auch Hunde“. Um ihre ereignisarmen Tage zu füllen, observiert Aniela täglich die unmittelbare Nachbarschaft mit einem Fernglas. Häufiges Beobachtungsobjekt ist ein neureiches Paar, das es sich zum Ziel gesetzt hat, sie zum Verkauf ihres Grundstücks zu bewegen.
Zu den wenigen Höhepunkten in Anielas Leben gehören die sehnsüchtig erwarteten, aber kurz gehaltenen Anrufe und Besuche ihres Sohnes Witus. Die Gesellschaft ihrer kleinen Enkelin und deren Desinteresse an ihrem geliebten Haus schätzt sie hingegen weniger. Den Vorschlag der Enkelin, das alte Haus kurzerhand niederzubrennen anstatt es zu renovieren, quittiert Aniela sinngemäß mit den Worten: „Gut, dann machen wir das so. Und übrigens heiße ich nicht Oma, sondern Großmutter. Und wenn wir schon dabei sind: Wenn du weiter so viel isst, wirst du nie einen Verehrer finden.“
Mit ihren Kommentaren, die sich zwischen schonungslos und humorvoll bewegen, entlockt die Figur der Aniela dem Zuschauer das ein oder andere Schmunzeln im Verlauf des Films. Dass sie keine typische Großmutter ist, die in aller Ruhe ihren Lebensabend verbringen will und Nettigkeiten samt Bonbons für die Enkelin bereithält, wird schnell deutlich. Dennoch ist Aniela einsam, wogegen auch die Kameradschaft mit Hund Phila nicht immer etwas ausrichten kann. Oftmals schwelgt Aniela in Erinnerungen. Ihr Bemühen an ihnen festzuhalten zeigt der Film mithilfe verschiedener traumartiger Erinnerungssequenzen. Der Umstand, dass der gesamte Film in schwarz-weiß gehalten ist und jene Sequenzen mit ausladender Filmmusik unterlegt sind, lassen diese nahezu kitschig wirken.
Der ansonsten sehr sparsame, aber gezielte Gebrauch von Musik lässt der Tongestaltung, ganz im Sinne des Films, viel Raum. Ein Umstand der nicht selbstverständlich ist, wo doch oft in Filmproduktionen die Entscheidung zugunsten eines überdimensionierten Soundtracks ausfällt. In Pora umierać wird eine detaillierte Geräuschkulisse geschaffen, die durchgängig ihre Berechtigung findet: Sei es im Hundebellen, dem Lachen der Nachbarskinder oder den knarzenden Holzdielen im Flur.
Die Regisseurin Dorota Kędzierzawska zeichnet in ihrem Film ein detailliertes Bild vom Älterwerden und dessen Begleiterscheinungen, welches beeindruckt und zugleich Fragen aufwirft: Fragen nach Isolation und Einsamkeit, körperlichen Veränderungen und Einschränkungen. Der Alterungsprozess der Protagonistin Aniela wird im Film einmal mehr mithilfe ihres Wohnhauses verdeutlicht. Im Laufe der Jahre ist es gemeinsam mit ihr gealtert. Und obwohl an jeder Ecke der Putz bröckelt und auch die Elektrik langsam den Geist aufgibt, ist der Charme des Hauses ungebrochen. Für seine Bewohnerin stellt es einen Ort der Vertrautheit und Sicherheit dar.
Während in Pora umierać die Figur der Aniela als ausgesprochen eigenständig dargestellt wird, stellt sich im Nachklang des Films die Frage, inwieweit sich diese Darstellung mit der allgemeinen Lebenssituation von älteren Menschen in Polen deckt. Anknüpfend an eine Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung1 zeigt sich, dass partnerlose polnische Senioren ihren Haushalt in der Regel allein führen. Doch auch das Zusammenleben mit den eigenen erwachsenen Kindern und deren Familien ist in Polen nicht unüblich. Im Film wird exemplarisch deutlich, welchen negativen Einfluss fehlender familiärer Zusammenhalt auf das Leben im Alter haben kann.
Mit Blick auf die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Danuta Szaflarska, deren Rolle der Aniela von Dorota Kędzierzawska eigens für sie erschaffen wurde, gibt es nur lobende Worte. Laut einer Anekdote erschrak Szaflarska, als sie sich erstmals im fertiggestellten Film sah. Grund dafür war die Intensität ihrer Falten, die durch die Schwarz-Weiß-Optik des Films noch zusätzlich verstärkt wurde. Doch ist es ebendiese kontrastreiche Optik, die den Film um ein weiteres Stück interessant macht und gekonnt die Verbindung zwischen dem Erlebten und der Gegenwart der Protagonistin Aniela schafft. Wer also keine Angst vor Falten, Hunden oder gar dem Tod hat, dem sei der Film Pora umierać wärmstens empfohlen.
1 http://www.bpb.de/internationales/europa/polen/41018/aeltere-menschen-05-04-2011
Pora umierać (engl. Time to die)
Veröffentlichung: Polen, 2007
Regie & Drehbuch: Dorota Kędzierzawska
Hauptdarstellerin: Danuta Szaflarska
Foto: IMDb
Eva N. ist Studentin des Masterstudienganges „Medien- und Kommunikationswissenschaften“ der Abteilung „Medien- und Kommunikation“ am Institut für Musik-, Medien- und Sprechwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie schaute sich am 23. Mai den Film „Pora umierać“ im Rahmen der polnischen Filmreihe „Körper im Film“ im Puschkino an.