Spiel­ball der Mäch­te - Ver­ges­se­ne Jesiden

Die kur­di­sche Volks­grup­pe der Jesi­den wur­de 2014 Opfer eines Geno­zids durch den IS. Die Foto­gra­fin und TV Jour­na­lis­tin Annet­te Strei­cher besuch­te  Über­le­ben­de der Ter­ror­herr­schaft in ihren Camps und beglei­te­te eini­ge von ihnen bei einem reli­giö­sen Ritu­al der Erneue­rung. Aus Anlass ihrer Aus­stel­lung in Hal­le sprach sie mit uns.

 

Wie kam es zu die­sem Pro­jekt und über­haupt der Mög­lich­keit dazu?

Ich bin im Haupt­be­ruf Jour­na­lis­tin und recher­chier­te zur kur­di­schen Unab­hän­gig­keits­be­we­gung in Nord­sy­ri­en und Nord­irak. Dabei bin ich auf das The­ma gesto­ßen - die Jesi­den sind ja eine kur­di­sche Volks­grup­pe. Natür­lich kann­te ich die Bil­der der Ein­kes­se­lung von 2014, aber die Geschich­te um das Ritu­al von Lalish war mir neu und auch in den Medi­en gab es die noch nicht.

Was hat sie dar­an beson­ders inter­es­siert oder sogar fas­zi­niert, dass sie de Ritu­al nun eine künst­le­ri­sche Serie widmeten?

Es geht etwas Hoff­nungs­vol­les davon aus, und mich inter­es­sier­te auch, wel­che Bedeu­tung es für die Men­schen selbst hat. Auch fand ich es inter­es­sant über­haupt etwas über die Reli­gi­on der Jesi­den zu erfah­ren, habe dann Leu­te kon­tak­tiert, um her­aus­zu­fin­den ob es über­haupt denk­bar ist dahin zu rei­sen und es zu fotografieren.

Wie zugäng­lich waren die Men­schen die sie foto­gra­fie­ren woll­ten? Die Fotos wir­ken so als ob sie sich geöff­net haben.

Ich bin mehr­mals hin­ge­fah­ren, war bei Früh­lings­fest der Jesi­den und traf auch die Reli­gi­ons­ge­lehr­ten im Tem­pel von Lalish. Über die­se habe ich wei­te­re Kon­tak­te bekom­men, so zu einem Mann, der mit Über­le­ben­den der IS-Gefang­schaft arbei­tet und der für mich anfrag­te ob ich sie besu­chen darf. Man­che der Frau­en die ich dann ken­nen­lern­te, konn­te ich anfangs nur von hin­ten foto­gra­fie­ren und in der Aus­stel­lung kom­men auch nicht alle vor.

Für mich sind eini­ge Bil­der sehr aus­sa­ge­kräf­tig – zum Bei­spiel die Frau­en die sich den Namen in den Arm haben täto­wie­ren las­sen, weil sie im Grun­de anti­zi­pier­ten dass sie die­se Gefan­gen­schaft nicht über­le­ben wür­den. Als ich sie in ihren Räu­men besuch­te und die Kin­der sah, die extrem unru­hig sind, nicht mehr essen und schla­fen, hat mich das sehr getroffen.

Wie ist die Lebens­si­tua­ti­on der Men­schen die sie besuchten?

Die Gesamt­le­bens­si­tua­ti­on die­ser Bevöl­ke­rungs­grup­pe ist schwie­rig. Sie leben nach wie vor in Lagern, haben wenig Ein­fluss in der Regio­nal­re­gie­rung und kei­nen Ein­fluss in Bag­dad, und es ist auch frag­lich wie groß das poli­ti­sche Inter­es­se dar­an ist dass die Jesi­den in ihre Hei­mat­re­gi­on zurück­keh­ren können.
Man muss auch sagen dass Deutsch­land ver­hält­nis­mä­ßig viel Hil­fe geleis­tet hat, auch durch die Auf­nah­me von Kon­tin­gent­flücht­lin­gen. Zwei Frau­en die ich foto­gra­fier­te hat­ten in Deutsch­land eine Trau­ma­the­ra­pie bekom­men. Ihr Leben ist immer noch beein­träch­tigt, aber ins­ge­samt geht es ihnen besser.

Ist die Mög­lich­keit der Rück­kehr aktu­ell durch die tür­ki­sche Inva­si­on in Nord­sy­ri­en um so mehr in Fra­ge gestellt?

Zur tür­ki­schen Inva­si­on kann ich nicht all­zu viel sagen, aber bei einen Recher­chen wur­de auch klar dass die­se Gebie­te um Kir­kuk wo es um Öl geht und auch bei den Unab­hän­gig­keits­be­stre­bun­gen von Ira­kisch-Kur­di­stan – dort geht es nicht nur um eth­ni­sche und reli­giö­se Fra­gen son­dern es geht auch um Inter­es­sen in der Region.

Wo kön­nen sich denn Men­schen hin­wen­den die ganz gezielt die Jesi­den unter­stüt­zen möchten?

Es gibt die gro­ßen Flücht­lings­pro­gram­me aber nichts was sich expli­zit an die Jesi­den im Nord­irak rich­tet. In Bran­den­burg exis­tiert eine Initia­ti­ve und in Baden-Würt­tem­berg gibt es einen Ver­ein namens Zarok e.v. Die haben mehr­fach Unter­stüt­zung dort vor Ort geleis­tet. Eini­ge Kin­der die ich foto­gra­fier­te, wer­den in einem Zen­trum namens Haven Cen­ter betreut, eine loka­le NGO, für die der Ver­ein Geld gesam­melt hat.

Ich selbst möch­te für die­se NGO auch noch ein Crawd­fun­ding machen, denn ich habe gese­hen, dass direk­te Hil­fe gut ist, weil man dann weiß dass es ankommt. So eine Trau­ma­the­ra­pie für 30-40 Kin­der, die regel­mä­ßig über einen Zeit­raum betreut wer­den, kos­tet unge­fähr 10.000 Euro – das ist eine Ziel­sum­me die man durch­aus sam­meln kann.

Im Zusam­men­hang mit der Aus­stel­lung habe ich auch erfah­ren dass in Hal­le erstaun­lich vie­le jesi­di­sche Flücht­ling ele­ben. Dar­an fand ich inter­es­sant dass die jesi­di­schen Flücht­lin­ge gar nicht so sicht­bar sind. Viel­leicht hal­ten sie sich auch sel­ber bedeckt und wol­len gar nicht so auffallen.

Die Aus­stel­lung heißt „ver­ges­se­ne Jesi­den“ - War­um wer­den und wur­den sie ver­ges­sen, war­um ist ihr Schick­sal im Ver­gleich zu ande­ren bedroh­ten Min­der­hei­ten weni­ger bekannt?

His­to­risch kann ich das nicht beant­wor­ten. Ich weiß dass die Jesi­den immer wie­der ver­folgt wor­den sind. Der media­le Fokus lag im Som­mer 2014 für kur­ze Zeit extrem auf den Jesi­den, aber nach­dem die Peschmer­ga Sin­jar befreit haben, hat man nicht mehr so genau hin­ge­schaut wo die­se Men­schen gelan­det sind. Mitt­ler­wei­le sind sie seit 4 Jah­ren in Lagern für Bin­nen­flücht­lin­ge unter­gbracht. Das ist eine lan­ge Zeit vor allem wenn Kin­der so lang schon nicht mehr zur Schu­le gehen können.

Das ist das eine war­um ich sagen wür­de 'ver­ges­se­ne Jesi­den' – und dann eben auch weil sie Spiel­ball der Mäch­te in der Regi­on sind, also dort auch nicht die ent­spre­chen­de Hil­fe bekom­men und die inter­na­tio­na­le Hil­fe nicht ausreicht.

Es gibt im gan­zen Nord­irak kaum Psy­cho­the­ra­peu­ten, die Men­schen sind ja zum Teil sogar schwer trau­a­ti­siert. Dort wo ich foto­gra­fier­te hat mir ein ver­ant­wort­li­cher Lei­ter berich­tet, dass sich im Schnitt zwei Frau­en pro Monat umbrin­gen, und das obwohl sie dort eine Ansprech­stel­le vor Ort haben und eigent­lich ver­su­chen die Men­schen zu iden­ti­fi­zie­ren die Hil­fe benötigen.


HOLY WHITE SPRING - Ver­ges­se­ne Jesiden

Finis­sa­ge in Anwe­sen­heit der Künst­le­rin

Gale­rie Raum­in­halt am 14. 7. | 20:00 mit Feuerschale

 

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