Am 17. Februar 2020 öffnete am Frackplatz die Buchhandlung in den Franckeschen Stiftungen ihre Tür für das Lesepublikum der Stadt. Nach der Schließung der Waisenhausbuchhandlung Ende 2019 wird die lange Tradition der Buchhandlung in den Stiftungen unter neuem Namen von Buchhändler Nils Wagner fortgesetzt. Die hallesche störung hat mit ihm gesprochen.
Seit 322 Jahren darf das Hallesche Waisenhaus Bücher verkaufen. Ursprünglich wurden erbauliche und pädagogische Schriften sowie Lehrbücher aus der Produktion des stiftungseignen Verlages vertrieben, denn das Sendungsbewusstsein des halleschen Pietismus war groß. Die Bildung von Kindern ist auch der neuen Buchhandlung ein Anliegen: Kinderbücher machen einen Großteil des Sortiments aus. Daneben findet man Belletristik, Bücher aus dem regionalen Bereich und etwas Fachliteratur für Pädagogen.
Ist das (Papier)Buch auf dem Rückzug?
Nein, sagt Nils Wagner. Digitale Bücher ersetzten zwar im wissenschaftlichen Bereich weitgehend das gedruckte Buch, in anderen Gebieten wie der Belletristik oder dem Kinderbuch aber sei kein Rückgang der Nachfrage festzustellen. Das Buch sei nicht gestorben und werde nicht sterben. Es habe eine andere, sicherere Präsenz als das digitale Pendant und sei materieller Teil des Lesens, vielleicht auch des Textes selbst.
Herr der Bücherflut
Rund 70.000 Bücher erschienen 2019 in Deutschland. Die Zahl ist zwar seit Jahren rückläufig, ein katastrophaler Einbruch aber nicht zu verzeichnen. Keine Präsenzbuchhandlung kann diese Mengen auch nur annähernd bereitstellen. Kommt man in die Buchhandlung in den Franckeschen Stiftungen so wirkt sie leerer und übersichtlicher als die Vorgängerin. Als erstes fallen die Kinderbücher ins Auge, dann die schöne Literatur. Das Sortiment ist nicht nur testweise zusammengestellt. Natürlich ist Wagner noch beim Testen, was seine Besucher*innen kaufen möchten. Was allerdings kein*e -Angestellte*r einer großen Buchhandlung kann: Er liest einen Teil der angebotenen Bücher auch und empfiehlt aktiv. Das sei ein Alleinstellungsmerkmal der kleinen Buchhandlungen. Außerdem kann er alle lieferbaren Titel bestellen, die dann meist schon am kommenden Tag abgeholt werden können.
Ort und Tradition: Inspiration oder Last?
Der Ort und seine Tradition bedrückten ihn nicht, im Gegenteil, sagt Wagner. Seine Motivation, hier seine Buchhandlung zu eröffnen, sei von davon unterstützt worden. Hier habe es schon immer eine Buchhandlung gegeben und etwas anderes sei weder für ihn als auch die Stiftungen selbst nicht denkbar. Letztere seien auf ihn zugekommen, als die Unstimmigkeiten mit dem Vorbesitzer nicht mehr zu beheben waren. Wagner begleitet Stiftungsveranstaltungen mit Büchertischen und möchte zur Ausstrahlung des Ortes beitragen. Neben dem Buchverkauf sind Lesungen und andere Veranstaltungen geplant. Zur Eröffnung fand am 17. Februar eine Lesung mit dem halleschen Autor Mario Schneider, den viele als Filmemacher (MansfeldTrilogie) kennen, statt.
Auch sei die Lage in der Stadt günstig: in unmittelbarer Nähe zu den Franckeschen Stiftungen gelegen, kommen neben halleschem Publikum auch Besucher*innen des Stiftungsgeländes in die Buchhandlung.
Vision und IST
In zehn Jahren soll die Buchhandlung nicht nur wirtschaftlich auf sicherem Boden stehen, sondern auch als kultureller Ort in Halle bekannt sein. Informationen über Veranstaltungen und Lesungen findet man auf der Homepage (www.francke-buch-halle.de). Im Moment ist es allerdings ruhig: Corona wirkt sich auch hier aus. Einen Monat nach Eröffnung kam es nahezu zum Stillstand, alle Veranstaltungen wurden abgesagt und es erschienen auch deutlich weniger Kunden. Viele waren überrascht, den Laden überhaupt offen zu finden. Das Tal sei jetzt durchquert, sagt Nils Wagner. Seine Startphase verlängere sich durch die Ereignisse natürlich. Mehr Zeit zum Eingewöhnen und Ausprobieren.