Wenn Anne Knödler von ihrem favorisierten Material spricht, kommt sie ins Schwärmen: Mundgeblasenes Altantikglas sei kaum zu vergleichen mit üblichen Industriescheiben. Es entsteht buchstäblich durch den menschlichen Atem, es enthält Fächerungen als lichtbrechende Strukturen und es kann ein changierendes Farbspektrum erzeugen. Fällt das Tageslicht hindurch, entsteht an der Wand ein strukturreicher wolkenartiger Schein. Für die junge Hallenser Glaskünstlerin kann es kaum eine bessere Substanz geben, um damit Kunst für Menschen im öffentlichen Raum zu realisieren.

Entwurfsskizze der Skulptur. Foto: Anne Knödler. Quelle: Diakoniewerk Halle.
Für ihre Wand- und Raumskulpturen setzt Anne Knödler tausende von Hand geschnittener Glasplättchen zu luziden Mosaikflächen zusammen. Diese Technik möchte die Künstlerin nun auch für eine Gedenkstele einsetzen, gewidmet all den Frauen, die seit 1857 als Diakonissen in Halle tätig waren. Das Licht soll dabei durch zwei Glasschichten dringen und eine Fotografie des Halleschen Künstlers Marcus-Andreas Mohr mit einbinden. Mit dieser Idee, bei der sich die Tradition bebilderter Kirchenfenster mit einer modernen Form- und Materialsprache verbindet, konnte Anne Knödler bei der öffentlichen Ausschreibung des Diakoniewerk Halle die Jury überzeugen. Nun soll das fertige Kunstwerk am 18. November im Innenhof hinter dem Mutterhaus eingeweiht werden.
Anne Knödler wuchs in Thüringen auf – Mutter Sprachlehrerin, Vater Schlosser. Nach einer Ausbildung zur gestaltungstechnischen Assistenin und zwei Jahren an der BURG im Studiengang Industriedesign wechselte sie in die deutschlandweit einzige "Glas"-Klasse an einer Kunsthochschule. Bei einem Mosaik-Kurs im bayrischen Waldsassen lernte sie die traditionelle Manufakturerzeugung von mundgeblasenem Glas kennen und lieben. Bis spät in die Nacht blieb sie mit den Glasschmelzern an den Öfen sitzen, und konnte immer wieder beobachteten, wie diese in Teams bei einem Abstich fast tanzartig mit eingespielten Bewegungsabläufen ihre Arbeit leisten. Das Glas für ihre Mosaikstele wird nun genau in dieser Manufaktur gefertigt und nach Halle geliefert werden.
Ganze zwei Tage verbrachte Anne Knödler im Archiv des Diakoniewerkes, um sich beim Durchsehen alter Akten und Bildplatten den Leben der Hallenser Diakonissen seit Mitte des 19. Jahrhunderts annähern zu können. Dass so viele junge Frauen ihre individuellen Lebenswünsche zurückstellten, um anderen Menschen zu helfen und in einer Gemeinschaft zu dienen, beeindruckt sie aus heutiger Perspektive besonders. Anne Knödler ist eine sehr weltzugewandte und engagierte junge Frau, die in mehreren Fremdsprachen kommunizieren kann. Obwohl sie selbst keiner Glaubensgemeinschaft angehört, glaubt sie dass sie mit christlichen Werten erzogen worden ist und schätzt die Kirche als gemeinschaftsstiftende Institution. Als Taufpatin für ein befreundetes Elternpaar schrieb sie vor kurzem sogar eine eigene Fürbitte. Und unterwegs in der Welt gehörten Kirchen und Gotteshäuser immer zu den sicheren Häfen für die Reisende.
Im Jahr 2014 brach Anne Knödler mit Freunden zu einer motorisierten Tour durch die halbe Welt auf. Unterwegs in Kasachstan, Georgien, Russland oder der Mongolei begegnete ihr sehr viel selbstlose Hilfsbereitschaft, ohne die die Gruppe niemals ans Ziel gelangt wäre. Tief beeindruckt von dieser Erfahrung versucht Anne Knödler selbst zu helfen wo sie kann, etwa wenn sie Konvois an die ukrainische Grenze begleitet oder Familien aus Kriegsgebieten hier beim Ankommen hilft. "Wir sind so wenig darauf geeicht, anderen zu helfen weil es gar nicht in unseren Tagesplan passt, weil jeder sich um sich selbst kümmern muss und alles funktionieren muss.", konstatiert die 36-Jährige, die selbst auch einen vollen Terminkalender hat. Nicht immer dreht sich dabei alles um Kunst. Denn ihre Arbeit sieht Anne Knödler immer auch als eine Gelegenheit an, um mit Menschen in Kontakt zu kommen, etwas über andere Lebensentwürfe und Gegebenheiten zu erfahren. Als sie 2011 für ein halbes Jahr als Stipendiatin nach Istanbul ging, hängte sie noch einmal so viel Zeit dran, etwa um türkisch zu lernen oder mit einheimischen Fischern vom Bosporus Räucheröfen zu konstruieren. Dabei lernte sie die unterschiedlichsten Leute kennen und bekam viel von den sozialen Spannungen mit, die wenig später zu den Gezi-Park-Protesten führen sollten. Wenn sie heute ihre türkischen Freunde kontaktiert, ist Anne Knödler erschüttert über das Ausmaß an Angst, dass sich in den Intellektuellenvierteln von Istanbul ausgebreitet hat. Offen sprechen könne man dort heute nur noch im Flüsterton.
Glas spielte und spielt als Material eine zentrale Rolle in der Kunst und Architektur seit der Moderne. Symbolhaft steht es unter anderem für Transparenz und Reflektion, für konstruktive Klarheit und lichtzugewandte Offenheit. Für die Glasklasse der BURG wünscht sich die Künstlerin, dass diese in den gegenwärtig bewegten Zeiten weiter Bestand haben wird und ihr Ausbildungsprofil nicht verschwindet.
Die von Anne Knödler geschaffenen Glas-Arbeiten zumindest haben Bestand – etwa eine Wandgestaltung in einem Kindergarten oder in einem wissenschaftlichen Begegnungszentrum - und bald auch auf dem Gelände des Diakoniewerk Halle.
Jörg Wunderlich
Glas. Wunderschön. Beschrieben.