Hal­le fühlt sich leben­dig an

Dia­na Neu­mer­kel hat das „Pan­t­a­rhei“ für unser Tref­fen aus­ge­wählt, weil sie sich hier sehr wohl fühlt. Eigent­lich fre­quen­tiert die jun­ge Frau eher sel­ten die Cafés der Innen­stadt. Ihr Akti­ons­ra­di­us befin­det sich haupt­säch­lich zwi­schen obe­rer Reil­stra­ße, wo sie in einer Fün­fer-WG lebt, und dem Design­cam­pus der Burg Gie­bichen­stein. Im vori­gen Som­mer hat­te sie als Exis­tenz­grün­de­rin das Glück, gemein­sam mit einer Kol­le­gin eines der Absol­ven­ten­bü­ros im Design­haus der Kunst­hoch­schu­le bezie­hen zu dürfen.

„jung.weiblich.engagiert in Sach­sen-Anhalt“ – so heißt nicht nur die Image-Kam­pa­gne, die Dia­na der­zeit von Berufs­we­gen kon­zi­piert und gestal­tet. Die drei Adjek­ti­ve gel­ten eben­so für die Absol­ven­tin des Stu­di­en­gangs Mul­ti­me­dia-Design. Zudem möch­te ich noch freund­lich, zuge­wandt und abso­lut ver­läss­lich hin­zu­fü­gen. Denn so habe ich Dia­na bei der gemein­sa­men ehren­amt­li­chen Arbeit ken­nen gelernt.

TAAK! Tausch­aka­de­mie Hal­le, AG Stadt­Grün, Gemein­wohl­öko­no­mie, Toma­ten­pi­ra­ten – das sind ihre ehren­amt­li­chen Betä­ti­gungs­fel­der. AG Stadt­Grün ist eine Initia­ti­ve von hal­le­schen Bür­gern, denen die städ­ti­schen Grün­flä­chen am Her­zen lie­gen. Den Akti­ven geht es dar­um, eine lebens­wer­te Stadt zu schaf­fen, in der die zuneh­men­de Tren­nung von Mensch und Natur auf­ge­ho­ben wird. Mög­lich wäre gemein­schaft­li­ches städ­ti­sches Gärt­nern auf Brachflächen.

Die Ern­te wie­der­um könn­te in einem Kurs der Tausch­aka­de­mie zu Auf­stri­chen ver­ar­bei­tet wer­den, wel­che sodann die vega­ne Koch­grup­pe „Toma­ten­pi­ra­ten“ auf selbst geba­cke­nem Brot gegen Spen­de beim öffent­li­chen Brunch in der Gol­de­nen Rose zum Ver­zehr anbie­tet. Das gan­ze wäre eine loka­le Pro­duk­ti­ons­ket­te, die Res­sour­cen spart, Men­schen in Kom­mu­ni­ka­ti­on und gemein­schaft­li­che Akti­vi­tä­ten bringt und dazu noch Spaß macht.

Ein schö­nes Leben bedeu­tet für Dia­na: „Zeit mit Men­schen ver­brin­gen, die mir wich­tig sind, und mit Akti­vi­tä­ten fül­len, die mir gut tun. Und immer wei­ter ler­nen und Neu­es ent­de­cken. Wer Zeit und Ener­gie inves­tie­ren kann, um sich zu infor­mie­ren und über die Fra­ge ‚Wie will ich eigent­lich leben?‘ nach­zu­den­ken, wird zwangs­läu­fig etwas ver­än­dern wol­len.“ Poli­ti­sches kom­me aus einem selbst, es kön­ne nie­man­dem über­ge­hol­fen wer­den. Nach ihrer Beob­ach­tung gelan­gen immer mehr jun­ge Men­schen zu der Über­zeu­gung: So kann es nicht wei­ter­ge­hen, und wer­den aktiv. Aber noch gibt es kei­ne all­um­fas­sen­de Lösung. Hier­bei ist viel Krea­ti­vi­tät gefragt, man muss ein­an­der Auf­merk­sam­keit schen­ken und gemein­sam aus­pro­bie­ren, um neue gesell­schaft­li­che Ansät­ze zu schaffen.

Eigent­lich hat die 30-jäh­ri­ge eine ziem­lich gerad­li­ni­ge Aus­bil­dungs­kar­rie­re hin­ge­legt. Schon als Jugend­li­che war sie künst­le­risch aktiv und com­pu­ter­be­geis­tert. Nach dem Abi folg­te eine Aus­bil­dung zur gestal­tungs­tech­ni­schen Assis­ten­tin für Medi­en. Nach einem Prak­ti­kum arbei­te­te sie zwei Jah­re bei einer klei­nen Inter­net-Agen­tur in Pots­dam, die kos­ten­los Online-Por­ta­le für kul­tu­rel­le Ein­rich­tun­gen erstell­te und sich aus Wer­be­ein­nah­men finanzierte.

Dia­na war fas­zi­niert von dem Kon­zept und moch­te das Arbeits­kli­ma im Team. Die anschlie­ßen­de Arbeit bei einer Dresd­ner Wer­be-Agen­tur dage­gen brach­te die Erkennt­nis: „Ich möch­te mei­ne krea­ti­ven Kräf­te nicht mit einem zwei­fel­haf­ten Sinn und zeit­li­cher Bin­dung an ein Büro ver­geu­den. Ich will eigen­stän­dig und frei arbei­ten.“ 2006 hat­te es nach drei Ver­su­chen end­lich mit der Bewer­bung an einer Kunst­hoch­schu­le geklappt. Und zwar gleich dop­pelt: In Wei­mar und in Hal­le. Nach je einem Tag in bei­den Städ­ten fiel die Ent­schei­dung leicht:

„Hal­le ist leben­di­ger – das habe ich gleich gespürt.“ Natür­lich ent­deck­te sie die für Stu­die­ren­de attrak­ti­ven Orte und die reiz­vol­le Natur ent­lang der Saa­le. Den­noch kon­zen­trier­te sie sich drei Jah­re lang voll auf das Stu­di­um und ihre Semes­ter­pro­jek­te. Irgend­wann wur­de der Arbeits­druck so groß, dass sie nur noch am Com­pu­ter saß und die Näch­te durch­mach­te, was sie an ihre kör­per­li­chen und psy­chi­schen Gren­zen brachte.

Unge­fähr zur sel­ben Zeit besuch­te sie eine Lehr­ver­an­stal­tung über Kon­sum­kri­tik bei Micha­el Suc­k­ow. The­men wie Gren­zen des Wachs­tums, Res­sour­cen­knapp­heit und Weg­werf­ge­sell­schaft erreg­ten ihr Inter­es­se und führ­ten zur Ver­än­de­rung des eige­nen Konsumverhaltens.

Sie trat der Umwelt­grup­pe „BURG­grün“ an der Kunst­hoch­schu­le bei und kon­zen­trier­te sich auf freie Pro­jek­te im Öko­be­reich. Dabei traf sie auf enga­gier­te Men­schen aus ande­ren poli­ti­schen Zusam­men­hän­gen und erkann­te zuneh­mend die Mög­lich­kei­ten und Chan­cen von Design bei der Ent­wick­lung eines nach­hal­ti­gen Lebensstil.

„Ist es nicht auch die Auf­ga­be von Desig-nern, krea­ti­ve Lösun­gen für unse­re Kri­sen anzu­bie­ten? Pro­dukt- und Mode­de­si­gner kön­nen res­sour­cen­scho­nen­de und intel­li­gen­te Pro­duk­te ent­wer­fen, Innen­ar­chi­tek­ten natur­na­he und ener­gie­ef­fi­zi­en­te Raum­kon­zep­te erar­bei­ten und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sig-ner kön­nen neue Ideen ver­mit­teln und so die Men­schen zum Nach­den­ken anregen.“

„Wo ich mal hin will?“, wie­der­holt mei­ne Gesprächs­part­ne­rin zunächst mit nach­denk­li­chem Gesicht. Dann lächelt sie. Schließ­lich ant­wor­tet sie lachend: „Ich möch­te es schaf­fen, weni­ger im Büro und vor dem Com­pu­ter zu sit­zen. Lie­ber mehr drau­ßen und mit ande­ren kör­per­lich aktiv sein.“ Gern wür­de sie nur vier Stun­den am Tag arbei­ten, damit aus­rei­chend Zeit für die wich­ti­gen Din­ge im Leben bleibt: Net­te Men­schen tref­fen, in Bewe­gung blei­ben und natür­lich gesun­des Essen gemein­schaft­lich selbst anbau­en und genie­ßen. Und Muße! Gern fängt sie beson­de­re Momen­te mit ihrer Foto­ka­me­ra ein. Sie will Selbst­aus­beu­tung ver­mei­den und mit einer Tätig­keit Geld ver­die­nen, die sie mit ihren Wer­te­vor­stel­lun­gen ver­tre­ten kann.

Die Suche gestal­tet sich schwie­rig. Aber in dem „Bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men“ oder Mög­lich­kei­ten wie „Crowd­fun­ding“ sieht sie inter­es­san­te Ansät­ze für die Finan­zie­rung ehren­amt­li­cher Arbeit.

Eigen­ver­ant­wor­tung über­neh­men, koope­rie­ren und etwas für die Men­schen tun – dies berei­tet den Wan­del in der Gesell­schaft vor. „Wir bau­en die Brü­cke“, meint Dia­na, die sich gut vor­stel­len kann, in einer Gemein­schaft zu leben, die sich über­wie­gend selbst versorgt.

Jetzt, nach zwei Stun­den Gespräch, fällt es der in der Nähe von Dres­den Auf­ge­wach­se­nen leich­ter zu sagen, was sie geprägt hat. In der Natur sein: Im elter­li­chen Gar­ten oder auf dem Land bei den Ver­wand­ten in Ungarn. Ver­bin­dung zu den Wur­zeln spü­ren. Din­ge von eige­ner Hand schaf­fen – nähen, bas­teln, bau­en. Dem Inners­ten fol­gen und los­las­sen ler­nen. Das gibt Kraft bei der Über­win­dung von Angst oder dem Ver­lust von Sicher­hei­ten. Und nie die Boden­haf­tung verlieren.

Solveig Feld­mei­er

Die von Orga­ni­sa­tio­nen, Poli­ti­ke­rIn­nen, Pri­vat­per­so­nen und Unter­neh­men mit­ge­tra­ge­ne Initia­ti­ve der Gemein­wohl-Öko­no­mie star­te­te im Okto­ber 2010. Über 50 Pio­nier­un­ter­neh­men erstell­ten 2011 erst­mals frei­wil­lig die „Gemein­wohl-Bilanz“. In über 20 regio­na­len „Ener­gie­fel­dern” wird das Kon­zept der Gemein­wohl-Öko­no­mie ver­tieft, ver­brei­tet und weiterentwickelt.
Ener­gie­feld Hal­le: Koor­di­na­ti­on: Anna von Gru­e­ne­waldt, halle@gemeinwohl-oekonomie.org








 

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