Der Schriftsteller Christoph Kuhn war schon zu DDR-Zeiten in der Umweltbewegung aktiv. Und auch heute mischt er sich öffentlich bei Themen wie Baumschutz und Klimawandel ein. Als Reaktion auf seinen Offenen Brief an Stadtrat und Stadtverwaltung war er im Juni zu einem Kommunikationsworkshop des Klimateam Halle eingeladen. Im Interview spricht er über Unterschiede zwischen damals und heute, über fehlende Vernetzung von Aktiven, über Erfolge und Misserfolge im Kampf gegen legale Abholzungen und politische Ignoranz.
Als langjähriger Umweltaktivist und Verfasser eines kritischen offenen Briefes warst Du zu einem Kommunikations-Workshop des Stadtklima-Teams eingeladen. Ist denn Kommunikation und "Erlebbarmachen" wirklich das Hauptproblem in Sachen Stadtklima ?
Kommunikation, das Vernetzen von Aktivitäten und Aktiven ist tatsächlich beim Klimaschutz das A und O. „Erlebbar“ wird die Notwendigkeit des Klimaschutzes bei jedem Schritt ins Freie.
Bei dem Workshop traf ich vorwiegend junge Menschen, Studentinnen und Studenten, die sich für die Vermittlung von Klimaschutzideen für die Stadt interessierten. Und sie interessierten sich für die Umweltschutzaktivitäten – nach den Veröffentlichungen des Club of Rome – zur DDR-Zeit, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, in ökologischen Arbeitsgruppen der evangelischen Kirche. Das Stadtmuseum zeigt Dokumente von Aktionen der Ökologischen Arbeitsgruppe Halle (ÖAG). So zeigt ein Foto ein Plakat an einer Brücke über die verdreckte Saale: „Wir haben die Erde nicht geerbt, sondern nur von unseren Kindern und Enkeln geliehen!“ Einer Studentin fiel auf, wie dieser Slogan zu dem der FFF-Bewegung passt: „Wir sind jung, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut!“. Der aktuelle Slogan klagt die Alten an, von denen aber einige bereits vor über 40 Jahren die Naturzerstörung angeprangert haben – wohlgemerkt unter völlig anderen Bedingungen in der Diktatur, wo Umweltdaten geheime Verschlusssache waren und Umweltschützer gefahrliefen, kriminalisiert zu werden. In jeder Generation gibt es Menschen mit verträglichen und unverträglichen Fußabdrücken.
Welche konkreten Erfolge für das Stadtklima konnte die Initiative "Bürgerïnnen für Bäume" erreichen, in der Du selbst aktiv bist – und welche Rolle spielte die Form der Kommunikation dabei?
Damals war die Szene wohl überschaubarer als heute, allerdings die Kontaktwege miserabel (die wenigsten hatte Telefon!) aber es gab Zusammenkünfte der einzelnen Öko-Arbeitskreise, z.B. über das Netzwerk Arche, natürlich bei perfekter Stasi-Bewachung.

Durch erfolgreichen Protest gerettete Kastanie in der Mansfelder Straße Foto: E. Seppelt www.dubisthalle.de
Sieht man sich heute die lange Liste der Vereine, Initiativen und engagierten Personen an, die zum Klimabündnis Halle gehören, muss man bedauern, wie wenig Kommunikation und Vernetzung funktionieren (ja, viele kennen sich kaum untereinander). Wir sind als 'Bürgerïnnen für Bäume' an mehreren Stellen aufgetreten, wo Bäume zweifelhaften Bauvorhaben weichen soll(t)en. Die Medienpräsenz war gut, Verantwortliche der Stadtverwaltung und des Stadtrats zum Teil mit vor Ort – das Ergebnis für die Bäume allerdings eher bescheiden. Einen großen Kastanienbaum an der Mansfelder Straße stehenzulassen, wurde zugesagt – dank des Protestes; das ist erfreulich, offenbart jedoch zugleich, wie wenig die Existenz von Bäumen bei Planungsvorhaben berücksichtigt wird.
Bessere Vernetzung aller engagierten Gruppen und Einzelpersonen würde mehr konzertierte Aktionen ermöglichen und damit einen stärkeren Druck auf die Stadt ausüben, in vielfacher Hinsicht schneller und effektiver tätig zu werden. So fehlen beispielsweise nach wie vor ein brauchbares Konzept für einen Klimaschutzrat, eine den Klimaveränderungen angepasste Baumschutzsatzung, eine erkennbare handlungsfähige Baumschutzkommission, klimagerechte Bebauungs- und Mobilitätspläne. Auch sollte die Stadtverwaltung mehr in den Dialog treten mit dem Klimaschutzbündnis und anderen für Klimaschutz engagierten Initiativen und Personen. Schnellstmöglich sollte eine Klimakonferenz stattfinden.
Auf der Straße und in den Medien wird eine andere Sprache gesprochen als in politischen Gremien, Behörden und Amtsblättern. Das ist auch eine Frage der Generation(en). Welche Möglichkeiten siehst Du als Schriftsteller, diese beiden Sprachsphären durchlässiger zu machen?
Ich bin ein an sehr vielen Dingen interessierter Laie. Was den Klimaschutz betrifft (früher sprach man von Umweltschutz, was ich für kein passendes Wort halte), habe ich mir über viele Jahre Wissen angeeignet, aber kein Fachwissen, kann also nur begrenzt mitreden, wenn es um grünen Wasserstoff, Nullenergiehäuser u.a. geht. Ich darf mir eine gewisse Unvoreingenommenheit, Naivität – womöglich auch Teilnahme an Supervision – erlauben. Und verwunderte Fragen stellen: Warum ist Klimaschutz immer noch eine „freiwillige Aufgabe“ für Kommunen? Warum hat die Stadt so geringe Möglichkeiten, Druck auszuüben auf Immobilieneigentümer, die ihre Häuser in bester Wohnlage verwahrlosen und verrotten lassen?
Ich höre mir gern die Antworten von Expertinnen an ohne immer damit zufrieden zu sein. Ich erlaube mir Empörung, wo sich andere Laien vielleicht zu schnell mit Hinweisen auf Sachzwänge und komplexe Zusammenhänge abspeisen lassen. Oft wird dabei mit Fachtermini und Worthülsen um sich geschlagen. Man sollte sie überprüfen und sich nicht verschrecken lassen. Wie selten hörten wir vor dem Krieg in der Ukraine und der drohenden Energieknappheit aus der Politik Appelle gegen Verschwendung. Und nach wie vor wachsen die Müllberge, darf „Unkraut“ mit dem Gasbrenner vernichtet werden, kann man unter Heizpilzen sitzen …
Diesbezüglich wird von „kleinen Stellschrauben“ gesprochen, doch selbst an denen wird zu wenig gedreht.
Die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die Klimaziele immer wieder zu kommunizieren ist das eine, wirksame politische Veränderungen das andere. Welchen Gewinn nahmst Du vom Workshop für Deine weitere Umweltarbeit mit?

Prof. Christine Fuhrmann
Mich beeindruckte besonders der Impulsvortrag von Professorin Christine Fuhrmann. Sie zeigte, wie die herkömmliche Stadtbebauung (mit Hitzeinsel-Effekten) die Wirkungen des Klimawandels verstärken und auch, welche Strategien einige Nachbarländer für eine klimaangepasste Stadt entwickeln. So sind z.B. mehrere kleine Grünflächen besser als große. Der Begriff „Schwammstadt“ bedeutet „blau-grüne“ Infrastruktur, bei der durch Versickern des Regens, durch Entwässerung, Verdunstung und Verschattung ein natürlicher Wasserkreislauf unterstützt wird. Die Albedo, das Rückstrahlungsvermögen z.B. von Gebäuden, wird durch die Zunahme von Sonnenstunden immer wichtiger.
Für Halle sieht die Landschaftsarchitektin einen großen Handlungsbedarf, nicht nur hinsichtlich der zu hohen Versiegelung der Innenstadt (90%). Sie gibt aber auch vielfältige Handlungsempfehlungen und mahnt an, dass die Stadt klimaresilient planen müsse, was u.a. heißt, den Artenschwund aufzuhalten oder die Pflege der Stadtbäume zu intensivieren.
Die Studentinnen und Studenten stellten u.a. eine Öko-App vor. Die Anwendungssoftware ermöglicht es, im Umgebungsbereich die ökologische Situation virtuell zu verändern, z.B. durch das Einfügen von Bäumen, wo sie fehlen, wo sie hingehörten. Mittels Tablet oder Smartphone ist ein Baum zu umgehen, von allen Seiten und von oben sichtbar zu machen. Dieses Engagement setzt natürlich den Besitz eines entsprechenden Geräts mit der speziellen App voraus. Die Anwendung sollte mehr sein als ihr Spaß- und Unterhaltungswert. Und die mit der App gewonnen Erkenntnisse sollten Konsequenzen haben, in analoges Handeln münden – auch weil der Energieverbrauch durch die Digitalisierung von zu vielen immer noch zu sehr unterschätzt wird.
Foto: © Lisa A. Weber | Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0
Christoph Kuhn, 1951 in Dresden geboren, lebt als Schriftsteller und Journalist in Halle.
Mitglied des VS in ver.di und des PEN.
Zuletzt veröffentlicht: Kein Weg zurück, Erzählungen, 2018. Poesiealbum 348, Gedichte, 2019.