Am 12.Dezember 2020 trafen sich Halles Umweltaktivisten verschiedener Gruppierungen zu einer angemeldeten Demo gegen die Fortführung der Bauarbeiten der Autobahn A143. In Begleitung von Polizei und Ordnungsamt (wegen Überwachung der Coronaauflagen) fuhren circa 100 meist junge Menschen per Fahrrad nach Salzmünde. Im Gepäck hatten sie einen Weihnachtsbaum (im Lastenfahrrad eines Stadtabgeordneten der Fraktion Bündnis 90 Die Grünen). Passend zum dritten Advent sollte er symbolisch die Herzen erweichen und für Einsicht und Vernunft sorgen.
Schneise der Zerstörung schon sichtbar
Die Fahrt führte zur Trasse, welche zwischen Schiepzig und Salzmünde immer deutlichere Ausmaße offenbart. Eine Schneise der Zerstörung bahnt sich über fruchtbare Äcker, frisch gerodete Uferbereiche der Saale und direkt zwischen beiden Ortschaften hindurch. Zerstörung bis zum Horizont. Bürger, welche die künftige Autobahn dierkt neben ihr Haus bekommen, sahen aus ihren Fenstern und winkten den jungen Demonstranten zu. So deutlich sieht man Zu- und Widerspruch selten.
"Man kann direkt fühlen, wie hier Nahrung wuchs"

Foto: BI Saaletal
Friedlich und diszipliniert erreichte die Menschen-Radler-Kette das Ziel. Der alte Schießplatz Salzmünde ist ein zentraler Bauplatz der Trasse. Dort türmen sich hohe Erdhaufen auf, welche vom ursprünglichen Ackerboden stammen. Dahinter zwei große Kräne, Bagger und Radlader. Sensiblen Menschen, welche den Bezug zur Lebensgrundlage und Ernährung noch nicht verloren haben, stand das Leid ins Gesicht geschrieben. "Man kann direkt fühlen, wie hier einst Nahrung wuchs", sagte einer der Anwesenden.
Der Spaten wurde ausgepackt, schnell wurde ein Loch gegraben und der Weihnachtsbaum gesetzt und angegossen. Die Wahl des Baumes sorgte für interne Diskussionen. Manche hätten sich einen einheimischen Baum gewünscht. Doch in Zeiten von Corona sind solch Veranstaltungen organisatorisch eine große Herausforderung. Jeder übernimmt freiwillig eine Aufgabe und dann sind wichtige Punkte nicht beprochen. Wichtig? Der Baum steht inmitten eines Bauplatzes. Sein Überleben an gesetzter Stelle ist mit Sicherheit unwahrscheinlich. Er wird dort stören. Soll er ja auch irgendwie.
Warum jetzt noch eine neue Autobahn?
Aber warum stemmen sich so viele Vereine, politische Verantwortliche, private Menschen, gegen diesen Bau? Warum gründeten sie trotz gerichtlicher Niederlage des NABU eine Bürgerinitiative? Warum sammeln sie mit sehr viel Erfolg eine große Summe Geld für einen Prozess? Warum wollen sie sich nicht beugen und einen Autobahnring um die Region Halle/Leipzig zulassen?
Wir leben im Jahr 2020. Vor 30 Jahren wurde dieser Bau geplant. Doch gelten heute noch die gleichen Bedingungen wie damals? Sind mittlerweile nicht viel mehr Fakten zusammengetragen, welche das Ausmaß an Naturzerstörung und Klimaerwärmung wissenschaftlich beweisen? Laut wissenschaftlichem Rat von über 60.000 Wissenschaftler*innen weltweit (es gibt nur 34 Wissenschaftler*innen mit Gegenpublikationen) muss sich der Verkehr in den kommenden Jahren halbieren, da er neben der Landwirtschaft und dem Energiesektor den Großteil der Umweltelastung erzeugt. Warum also gerade jetzt eine neue Autobahn? Warum werden anerkannte Naturschutzgebiete geopfert, wenn wir heute mehr denn je um ihre Bedeutung wissen?
Hoffnung stirbt nicht vor dem Untergang
Der Mensch ist in sich sehr widersprüchlich. Zum einen wollen wir erhalten, zum anderen konsumieren und frei wirtschaften. Diese Freiheit ist unser Problem. Rücksicht, Vernunft und Weitsicht fehlen Bürgern wie auch Politikern noch immer. Doch gibt es in Brüssel Verantwortung für unser Europa? Wird es der Bürgerinitiative gelingen, einen Prozess anzustoßen, welcher beispiellos nachhaltige Zeichen setzen kann? Ein Baustopp einer Autobahn in Deutschland wäre eine Sensation. Genau so eine Sensation braucht unsere Erde dringend, auf genau diese Impulse warten sehnsüchtig Tier- und Pflanzenarten, welche kurz vor ihrer Ausrottung stehen. Auf genau diese Sensation warten tausende Jugendliche weltweit in der Freitagsbewegung.
Ein Baustopp einer Autobahn in Deutschland wäre eine Sensation. Genau so eine Sensation braucht unsere Erde dringend
Finden sich europäische Abgeordnete in Brüssel, welcher dieser Verantwortung gerecht werden? Die Hoffnung wurde mit der Pflanzung eines Weihnachtsbaumes symbolisch dargestellt. Die Hoffnung lebt, solange es schützenswertes Leben gibt im unteren Saaletal. Nun liegt es an jedem selbst, diese Hoffnung zu unterstützen oder zu begraben.
Es liegt an jedem selbst, zu überlegen, wem man sein Geld gibt beim Einkauf, wie man seine eigene Mobilität gestaltet, wie man mit Energie und Resourcen umgeht und wem man bei der nächsten Bundestagswahl seine Stimme gibt. Es liegt auch an Ihnen als Leser*in, ob man man die Aktion versteht und unterstützt oder ob man in seinem gewohnten Lebensstil weiter über Demonstranten schmunzelt.
Steffen Neubert