Der Ort und das Datum waren gut gewählt. Punktgenau am kämpferischen 1. Mai hatte die Bürgerinitiative Saaletal zur Pressekonferenz in Hörsaal des Botanischen Gartens geladen – zu einer ersten Übergabe von Protestunterschriften gegen die geplante Weiterführung der A143. Deren Klage gegen den finalen Bau wird Ende Mai verhandelt.
Gekommen waren circa 30 interessierte Menschen, unter ihnen Kommunal- und Landespolitiker von drei Parteien beziehungsweise Fraktionen.
Aufruf von Wissenschaftlern und Künstlern
Zunächst verlas Dr. Maud von Lampe den Petitionstext. Dieser stammt bereits aus dem Jahr 1999, wie die Botanikerin betonte, wo sich erstmals Wissenschaftler*innen und Künstler*innen mit einem Protestaufruf an die Öffentlichkeit wandten. An seiner Dringlichkeit und Aktualität hat der Text kein Stück verloren – im Gegenteil. Denn Ende Mai steht eine Gerichtsverhandlung über die Klage der BI gegen den finalen Ausbau der A413 durch das Untere Saaletal an.
Der Aufruf enthält alle bekannten Argumente gegen den Bau. Wie zum Beispiel die durch Erhebungen nachgewiesene Erkenntnis, dass die Verkehrsbelastung in Halle zu 95 Prozent von innerstädtischem Durchgangsverkehr verursacht wird und deshalb eine neue Autobahn so gut wie keinen Entlastungseffekt hätte.
"Wollen die etwa weiterbauen?“

"Naturschutzgebiet von europäischem Rang" - Prof. Dr. Martin Lindner erforschte seltene Arten im Saaletal
Der zweite Redner, Prof. Dr. Martin Lindner von der MLU Halle, machte noch einmal deutlich, wie unerhört der Fakt eigentlich ist, dass in einem Flora-Fauna-Habitat, also einem Naturschutzgebiet, das unter dem besonderen Schutz der Europäischen Union steht, überhaut eine Bauplanung stattfand und weiterhin stattfindet. Lindner beschrieb lebhaft, wie er als Neuhallenser auf Erkundungstour im Saalekreis zum ersten Mal den befremdlichen "Autobahnstunnel" von Bennstedt sah und sich als erfahrener Experte, der an zahlreichen Projekten wie der A20 selbst beteiligt war, befremdet und von einem Hauch des eigentlich nicht Glaubhaften fragte: "Wollen die etwa weiterbauen?"
Gründe für den Nicht-Weiterbau dringlicher als vor 25 Jahren
Die Gründe, die einen Bau über 25 Jahre bislang verhinderten, seien aktuell umso dringlicher – Klimaschutz und der Erhalt von Biodiversität sind mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Muss geworden. Keine einzige der sechs bedrohten Flederausarten im Saaletal dürfe aussterben.
Die immensen Kosten von 350 Millionen Euro könnten , so prof. Lindner, wenn sie für Radwege und grüne Infrastruktur im Saalekreis investiert würden - ein unerhörtes Plus an Attraktivität und Lebensqualität für die Menschen vor Ort bringen.
Dr Conrad Kunze, Sprecher der BI Saaletal, ergriff als dritter das Wort und dankte auch den drei Politiker*innen Thomas Lippmann, Fraktionschef der LINKEN im Landtag, Yvonne Winkler (MitBÜRGER) und Wolfgang Aldag (GRÜNE) für ihr Kommen.
In grundsätzlichen Worten und mit zahlen machte Kunze den Anwesenden die Notwendigkeit einer politischen Verkehrswende deutlich, wenn die Bundesrepublik die Ziele des Pariser Klimachutzabkommen erreichen will.
Trockener als auf Kreta
Der vergangene Sommer 2018 brachte in Mitteldeutschland ein trockeneres Klima wie es für gewöhnlich auf Kreta herrscht. Die landwirtschaftlichen Erträge würden bereits um bis zu zehn Prozent sinken. Klimawandel sei keine Frage der Zukunft. Darum sei es es geradezu absurd, dass die Koalition in Berlin trotz aller Lippenbekenntnisse zum Klimaschutz mit einem Anstieg des Autoverkehrs um 10 Prozent und des LKW-Verkehrs um 17 Prozent plane. Im Vergleich zu 1700 Neukilometern auf der Schiene seit den neunziger Jahren wurden im Straßenbau 250.000 Kilometer neuer Trassen errichtet.
Der „Blutzoll“, den der Automobilisus fordere, sei ungeheuerlich, so Dr. Kunze, der an der FU Berlin gerade ein verkehrshistorisches Seminar leitet und unerhörte Zahlen vorbrachte. So läge die Gesamtzahl der Verkehrstoten durch Autos in beiden deutschen Staaten und der Bundesrepublik seit den 50er Jahren bis heute bei 780.000 – die Zahl der Verletzten bei mehr als 30 Millionen.
Britische Perspektiven für politische Wende
Dr. Conrad Kunze ließ es sich auch nicht nehmen, am 1. Mai politische Töne anklingen zu lassen und berichtete für deutsche Ohren Erstaunliches aus Großbritannien. Dort hätten Klimaaktivistinnen im Dachverband der Gewerkschaften radikale Forderungen eingebracht, die sich nun im oppositionellen Labour-Programm von Jeremy Corbyn wiederfänden. Um eine Verkehrswende durchzusetzen fordert die Labourpartei nun unter anderem Rückverstaatlichungen der Eisenbahn.
Am 28. Mai verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig unter derm Aktenzeichen BVerwG 9 A 2.18 die Klage der BI Saaletal gegen die Westumfahrung Halle - >>Anmeldung für die Verhandlung
>>Petition der BI Saaletal unterstützen