Fakten gegen Ängste und Hysterie
Vor den Toren Halles, in Landsberg, wurde ein Wolf überfahren – und schon melden sich besorgte Landwirte und Jäger zu Wort. Irgendwie passend zur allgemeinen Lage im Land, „sehr aufdringlich und mit populistischer Note“, wie es Wolfsexperte Dr. Martin Trost ausdrückt. Der Fachmann vom Landesamt für Umwelt, der das „Wolfsmonitoring“-Programm in Sachsen-Anhalt betreut, rät dazu, sich lieber an
Fakten statt an Schlagzeilen zu halten.
Der überfahrene Wolfsrüde war völlig gesund, aber unerfahren. Er befand sich wie etliche seiner Artgenossen auf der Suche nach einem neuen Revier. Und das finden Wölfe nicht in Städten oder Dörfern, sondern wie seit je her in tiefen, dichten Wäldern oder heutzutage auf Truppenübungsplätzen. „Der Wolf kommt mit unserer Kulturlandschaft hervorragend klar, aber er braucht für seine Ernährung eine gewisse Wilddichte und Ruhezonen für die Aufzucht der Welpen“, so Dr. Trost. Mit anderen Worten: Es werden bestimmt keine
Wölfe durch Halle und Umgebung marodieren. Das entspricht nicht der Lebensweise dieser scheuen Wesen, denn dafür ist es dort einfach zu laut.
Der Wolf bringt unsere Ökologie ins Lot
Jährlich ereignen sich hunderttausende von Wildunfällen, aber nur 20 bis 30 Wölfe sind bundesweit daran beteiligt. Sobald aber ein Wolf betroffen ist, gibt es einen Aufschrei und Forderungen nach Abschussquoten werden laut. Dabei bringt der Wolf unsere Ökologie ins Lot, wie Dr. Trost erläutert. In unseren Wäldern gibt es eine historische Höchstmarke der Wildbestände. Der ökonomische Schaden durch Wildverbiss ist
enorm hoch. Wölfe tragen in beachtlichem Maße dazu bei, diese Wilddichte zu reduzieren, denn sie jagen Damwild, Rehe und zuweilen auch Wildschweine. Die Förster, so Dr. Trost, stehen auf der Seite des Wolfes, denn ihr Anliegen sei es, intakte Wälder zu schaffen und Neuanpflanzungen zu schützen. Auch Landwirte im Pflanzenbau profitierten vom Jagdverhalten der Wölfe.
Tierhalter sind gesetzlich verpflichtet, ihr Vieh zu schützen, und zwar nicht nur vor dem Wolf. Dafür existieren fachliche Standards: 90 cm hohe Zäune, auf denen Strom anliegt. Dieser Schutz werde oftmals zu lasch gesehen, meint der Experte. Und so kommt es, dass die Hälfte aller gemeldeten Wolfsrisse auf andere Ursachen wie etwa wildernde Hunde zurückzuführen ist (siehe Statistik aus Sachsen). Für den Fall eines echten Wolfsrisses greifen im Übrigen staatliche Hilfen für die betroffenen Halter.
Der Wolf ist eine streng geschützte Art und er gehört in unsere Landschaft. Die Angst vor ihm ist oft irrational. Eine große skandinavische Studie hat Daten zu vermeintlichen Wolfsattacken in Europa wissenschaftlich ausgewertet. Demnach gab es nur zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Spanien und Russland gefährliche Begebenheiten. Dabei spielte allerdings auch die Tollwut eine Rolle.
„Der Wolf ist ein wehrhaftes Tier“, sagt Dr. Trost. Das bedeutet, es besteht ein gewisses Risiko, welches allerdings geringer ist als bei der Begegnung mit anderen Wildtieren. Viele Menschen übertragen eigentlich ihre Hundeangst auf Wölfe. Hunde haben jedoch ein ganz anderes Verhaltenspotenzial. Der Wolf ist von Natur aus nicht aggressiv; er weicht Begegnungen mit Menschen sogar aus.
Wölfe gehören in unsere Kulturlandschaft
Wie verhält man sich nun am besten, wenn man einen Wolf in der Nähe vermutet? „Wir sollten uns dem Wolf nicht gezielt nähern oder ihn gar in die Enge treiben“, sagt Dr. Trost. Und auf keinen Fall sollte man Wildtiere an menschliche Nahrung gewöhnen. Das gilt auch für den Wolf. Schlachtabfälle oder die Nachgeburten von
Tieren dürfen nicht im Gelände entsorgt werden. Letztendlich müssen wir den Wölfen Lebensraum lassen und erhalten. 150 Jahre lang waren die Wölfe in Mitteleuropa ausgerottet, aber historisch gesehen gehören sie in unsere Wälder. „In Italien“, erklärt Dr. Trost, „gehört der Wolf von je her in die Kulturlandschaft.“ Dort pflegt mensch von je her einen anderen Umgang mit dem Wolf, denkt sich die Autorin. Der Legende nach wurden Romulus und Remus durch eine Wölfin gesäugt. Dagegen erzählen etliche deutsche Märchen und Sagen von der Bosheit des Tieres. Vermutlich sind es solche irrationalen Bewusstseinsinhalte, welche unser Angstpotenzial in Gang setzen, wenn sich irgendwo der Wolf gezeigt hat.
Noch betrachtet der Gesetzgeber Wölfe als streng geschützte Art. Die Gegenbewegung, die Einfluss auf die Politik und damit auf den Gesetzgeber erlangen möchte, baut auf Ängste. Dr. Martin Trost und seine Mitarbeiter*innen vom Wolfsmonitoring Sachsen-Anhalt dagegen können Fakten auf den Tisch legen.
Solveig Feldmeier
Vielen Dank an Dr. Martin Trost vom Landesamt für Umwelt (lau), auf dessen Interview der Artikel basiert. Er hat zudem einige Literaturtipps zusammengestellt, die auf unserer Internetseite abgerufen werden können. Ebenso wie eine Statistik zu Rissen von Nutztieren.
Literatur
https://lau.sachsen-anhalt.de/naturschutz/arten-und-biotopschutz/wolfsmonitoring/
Gomille, A. (2016): Deutschlands wilde Wölfe. - Frederkiing & Thaler.
Wotschikowsky, U. (2009): Monitoring von Großraubtieren in Deutschland. - BfN-Skripten 251, S. 1-86.
Foto: Wolf-Dieter Schütz /pixelio.de