Für Carsten Burkhardt gehören freie Software, Daten und Systeme zu den Grundrechten. Der Hallesche IT-Unternehmer und Linux-Experte engagiert sich seit über 20 Jahren für Open Source. Die "Hallesche Störung" sprach mit ihm.
Foto: Carsten Burckhardt (re.) auf dem Linux Presentation Day 2018
Herr Burkhart, Die Umsetzung der digitalen Agenda des Landes Sachsen-Anhalt lässt aus Ihrer Sicht zu wünschen übrig...
Nüchtern betrachtet hat man mir dieser Art Digitalisierung nur die nächste Umverteilungsrakete gezündet. Die Konzepte werden von denen erstellt, die an den höchstmöglichen Umsätzen interessiert sind. Hingegen jene, die das bezahlen oder denen, die das nutzen sollen, werden nicht einbezogen. Dabei haben viele Dinge gar nichts mit Geld zu tun. Es ist das Know How und die Lösungsorientiertheit, die fehlen. OpenData, OpenSource, OpenEducation, OpenGovernment bleiben Neuland. Zumindest habe ich in der digitalen Agenda Sachsen Anhalts nichts davon vernommen.
Wo genau klemmt es denn? Geld für mehr Computer in Schulen scheint es ja zu geben..
Das Bildungssystem hat man derart umgestaltet, dass man den Kindern nicht ausreichend geschultes Personal bereitstellt. In den Schulen steht häufig nicht gewartetes Gerät herum und es liegen Lizenzen im Schrank, weil niemand Zeit gefunden hat, diese einzuspielen. Dabei werden Werte vernichtet und nicht nachhaltig erhalten. Stoßweise fahren Wagen einschlägiger Lieferanten vor, um neues Gerät abzukippen. Man erinnert sich an die iPad-Idee aus dem Rathaus. Die gelieferten Geräte waren und sind nicht einsatzbereit. Und was haben eigentlich hochtechnisierte „Leuchtturm“-Klassen mit Chancengleichheit zu tun?
Hard- und Software sind das eine. Und wie steht es mit der Netz-Infrastruktur?
Wenn in der Zeitung positiv herausgearbeitet wurde, dass die Schulen mittlerweile an das kupferne Landesdatennetz mit 50Mit/s angeschlossen wurden, dann wird einem bewusst, dass 1000 Schüler sich in die Internetbandbreite eines Privathaushaltes teilen sollen. Üblich wären heute aber 10 oder mehr Gigabit über eine Glasfaserverbindung. Dabei kassiert das hiesige Großunternehmen auch mit den Leitungen aus Kaiser-Wilhelm-Zeiten circa 30 Millionen pro Jahr für dieses Netz, verlangt und bekommt aber für den bisher sträflich unterlassenen Glasfaserausbau wiederum Subventionen. Die besten Netze hingegen sind in der Stadt die kleinsten – ganz ohne Subventionen und in Zusammenarbeit mit dem Bürger sind die lokalen Dienstleister meines Erachtens die bessere Alternativen.
Was genau verstehen Sie unter 'digitaler Souveränität' und inwieweit kann diese Ihrer Meinung nach durch mehr Open-Source befördert werden?
Zunächst möchte ich anmerken, dass wir uns nicht auf Open-Source beschränken. Es geht insgesamt um ein Mehr an Open und Demokratie. Wenn wir es bereits hinnehmen, dass Verträge wie Maut, TTIP, Privatisierung des Volksvermögens sogar Parlamentariern verschlossen bleiben, dann ist es ein langer Weg, bis der gemeine Bürger wieder eingebunden wird. Es ist also mehr als angebracht, dass die Algorithmen der Berechnung von Hartz 4, der Rente oder des Wahlergebnisses einsehbar und dadurch überprüfbar gemacht werden. Und auch die Austauschformate sollten standardisiert und möglichst simpel gestaltet sein, denn nur so hat man die freie Wahl von Werkzeug und Anbieter.
Nun zu Ihrer eigentlichen Frage: Man erinnere sich - früher konnte jeder mit jedem in der Welt telefonieren. Landeskennzahl, gefolgt von Ortsnetz, Anschluß und Durchwahl haben Menschen verbunden, egal ob schnurgebunden, analog, mobil, ISDN oder welcher Anbieter. Später ging das auch als Text per SMS oder Email. Heute aber ist jeder in einem anderen goldenen Käfig gefangen. Jeder braucht seine spezielle App und die Oma kann über ihr Telefon kaum noch jemand erreichen. Sich vom Proprietären wieder zu lösen, das ist digitale Souveränität. Das Abhören durch verselbständigte Dienste die uns weiterverkaufen durch Verschlüsselung zu verhindern - das ist digitale Souveränität. Und dadurch die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen – und dabei hilft selbstverständlich Open Source.
Open Source erscheint vielen aus der Ferne wie ein unbekannter Kontinent, den zu betreten Mühe machen könnte. Vor allem ist dieser Schritt auch mit dem Verlust von eingeübter Sicherheit in den Erfahrungen verbunden. Wie würden Sie "Newbies" mit wenigen Argumenten zu einem Umstieg ermuntern?
Je unbefangener und eher man damit anfängt, desto weniger investiert man in eine Sackgasse. Insofern sind die Newbies jene, die es am einfachsten haben. Jene die teure Investitionen in ein geschlossenes System tätigten, verbiegen sich lieber weiterhin, als das wegzuwerfen. Der Aberglauben steckt tief im Menschen. Mit Wissen und Aufklärung hatte Mitteldeutschland schon mal Hochzeiten. Mir fallen Luther, Münzer, Goethe ein. Mit Wissen kommt es zu Säkularisierung und gibt den Menschen die Sicherheit, um neue Kontinente zu erkunden.
Die Open-Source-Gemeinde rekrutiert sich ja eher aus der Profi- oder Hackerszene, während Ottonormal-User meist die kommerziell gängigen Programme nutzt. Könnte hier die Bildungslandschaft nicht entscheidend zu einer Open Source Wende beitragen?
Gewöhnlichen Anwendern ist meistens gar nicht bewusst, dass die Fritzbox, der Laserdrucker, der Beamer, das Androidtelefon im Allgemeinen auf Linux basiert. Auch das Angebot von Facebook, Google oder der Microsoft Acure Cloud baut auf Open Source auf. Die Nachfrage nach den kommerziellen Marken-Systemen reißt deshalb nicht ab, weil die nachfragenden um geschlossenen Kreis gehören wollen und sich damit aufgewertet/ besser fühlen. So verkaufen sich viele überteuerte / unvernünftige Konsumartikel, obwohl deren Software frei ist.
Solange die Jugend das „Dealermodell“ bei Lehrmaterialien und Inhalten aushalten muss, ist eher von einem Verdummungssystem zu sprechen. Erst wenn sie ernst genommen und eingebunden wird, und auch die Eltern ebenso am Bildungsauftrag beteiligt werden, wäre ein Bildungswillen erkennbar. Bei 8 Stunden Unterricht plus Hausaufgaben bleibt den Wissensdurstigen wenig Zeit zu hinterfragen. Der Mensch wird im System geschliffen und zum Maschinenbediener ausgebildet. Wissensbulimie und Multiple Choice lassen sich super digitalisieren.
Dagegen stünde vernetztes dialektisches Denken und Erziehung zu kritischen selbstbestimmten soziales Wesen, welche sich in die Gesellschaft einbringt. Ja, Lehrer als Mentoren plus OpenSource, -Data, -Education, -Access, -Government sind geeignete Bausteine.
In Halle wird oft über klamme Haushalte gestritten. Würden Sie einen mittel- bis langfristigen Einspareffekt mit dem Einsatz von open Source beziffern können? Hat das mal jemand durchgerechnet und wurde es je im Stadtrat vorgeschlagen?
Die Leute mögen sich in den Parlamenten streiten. Sie bewirken nur selten das richtige und die betroffene Masse ist nicht eingebunden. Die Streitkultur ist nur der äußere Schein. Wie im Bundestag mehr Lobbyisten als Parlamentarier wandeln, so ist die Macht in den Städten ähnlich verteilt. Die Anfragen der Stadträte werden von der Stadt an entsprechende Consultingunternehmen durchgereicht. Egal ob man nun Unvermögen oder Unwillen unterstellt – diese politische Praxis kann niemals ergebnisoffen sein. Wirkliche Gegengutachten im Sinne der Stadträte vermisse ich. Daher werden die Lösungen dauerhaft verhindert.
Es gab und gibt natürlich auch in de Lokalpolitik aktiv für Verbesserungen streitende Menschen . Ich verfolge das seit Jahren. Frau Sabine Wolff (Kreuz) habe ich zu diesem Thema in bester Erinnerung.
Bis vor kurzem schien es so dass Linux und Open Source im öffentlichen Bereich kaum aufzuhalten wären - vor allem wegen der Kostenersparnisse. Nun hat gerade die deutsche Linux-Vorzeigekommune München eine komplette Kehrtwende eingeleitet. Erleben wir dort gerade eine "lobbyistische Konterrevolution" ?
Voll ins Schwarze getroffen. Da sind 15 Jahre lang insgesamt 30 Millionen Euro für die Umstellung auf Linux aufgewendet worden. In den kommenden fünf Jahren rechnet man nun mit 100 Millionen für die beschlossene Rückabwicklung und Umstellung auf kommerzielle geschlossene Systeme.
Wir sollten aber beim Dreck vor unserer eigenen Haustür bleiben: Unser Finanzministerium hatte 4.500 Arbeitsplätze unter Linux laufen. Diese wurden ebenfalls wieder auf Microsoft © Lizenzen umgerüstet. Den hiesigen Verantwortlichen gelingen also ganz ähnliche Streiche wie den Bayern.
Zu guter Letzt ein Hauptargument: Es geht um Freie Software/ Daten/ Systeme - das kann man nicht mit Geld verrechnen. Das sind Grundrechte des Menschen!
Ich habe als Schüler sehr gern bei diesen Tagen mitgemacht und auch manchmal mit präsentiert. Es herrschte da immer ein sehr angenehmes Klima des Ideenaustausches unter wildfremden Leuten, wirklich schöne Erfahrungen. Auch boten diese Tage immer eine tolle Möglichkeit seinen eigenen Horizont was Open Source angeht zu erweitern etwas, dass ich mir echt auch in der Schule gewünscht hätte, wo unsere technische Aufklärung leider eher eine Microsoft Produktschulung war.
Auch jetzt auf der Uni vermisse ich dies sehr, weil sich auch hier so gut wie alles nur auf Closed Source beschränkt.
Schade