Nach­ge­fragt: Was brin­gen Bürgerräte ?

"Unse­re Zukunft ist jetzt" - unter die­sem Mot­to hat sich ein Netz­werk von cir­ca 150 Men­schen vor­ge­nom­men, die Emp­feh­lun­gen des ers­ten Zukunfts­ra­tes in Meck­len­burg-Vor­pom­mern bekann­ter zu machen und vor­an­zu­brin­gen. Dabei ste­hen die drei Haupt­fel­der Nach­hal­tig­keit, Digi­ta­li­sie­rung und Gemein­wohl im Mit­tel­punkt. Die Sozio­lo­gin Uta Rüchel gehört zu einem Pro­jekt­team, das als Teil die­ses Netz­wer­kes auf Anfra­ge Bür­ger­rä­te orga­ni­siert. Vor dem Hin­ter­grund der anste­hen­den Kom­mu­nal­wah­len haben wir sie zum For­mat 'Bür­ger­rat' und ihren Erfah­run­gen damit befragt. 

Bür­ger­ver­samm­lun­gen sind ja nichts Neu­es; letzt­end­lich geht auch der Par­la­men­ta­ris­mus auf sie zurück. Mal ganz platt gefragt: Was kann ein Bür­ger­rat leis­ten, was eine gewähl­te Kom­mu­nal­ver­samm­lung nicht leis­ten könnte?

Es geht ja nicht um ein Ent­we­der-Oder, son­dern um ein Sowohl-als-auch. Ein gut gemach­ter Bür­ger­rat kann eine gan­ze Men­ge leis­ten: Die Bürger:innen beschäf­ti­gen sich mit einer Fra­ge­stel­lung und infor­mie­ren durch ihre Emp­feh­lun­gen dann Poli­tik und Ver­wal­tung über ihre Posi­tio­nen. Das ist durch übli­che Mei­nungs­um­fra­gen in die­ser Tie­fe nicht zu ermit­teln. Ein ande­rer Vor­teil ist, dass Bürger:innen nicht in Legis­la­tur­pe­ri­oden den­ken und nicht von  Lob­by­is­ten beein­flusst werden.

Und anders als im Par­tei­en­sys­tem stre­ben Bür­ger­rä­te an, den Quer­schnitt der Bevöl­ke­rung zu reprä­sen­tie­ren. Irgend­je­mand hat mal gesagt, Bür­ger­rä­te sei­en eine teu­re Volks­hoch­schu­le. Da ist etwas dran. Sie ermög­li­chen nicht nur poli­ti­sche Teil­ha­be, son­dern sor­gen auch für poli­ti­sche Bil­dung. Am Ende kön­nen bei­de Sei­ten viel ler­nen: die par­la­men­ta­risch gewähl­ten Vertreter:innen von den Bürger:innen und umgekehrt.

Zu Euren Pro­jekt­zie­len gehört die Erpro­bung von Bür­ger­rä­ten auf kom­mu­na­ler, aber auch auf Kreis- und Lan­des­ebe­ne. Wel­che davon fan­den bis­lang statt, um wel­che The­men ist es dabei gegan­gen und wer leg­te die­se fest?

Unser Pro­jekt ist im ver­gan­ge­nen Jahr gestar­tet. Mitt­ler­wei­le haben wir einen kom­plet­ten Bür­ger­rat in Mal­chin zur kom­mu­na­len Wär­me­ver­sor­gung beglei­tet - von der Vor­stel­lung des For­mats in der Stadt­ver­tre­ter­ver­samm­lung bis hin zur Über­ga­be der Emp­feh­lung. Das The­ma bestim­men grund­sätz­lich die­je­ni­gen, die den Bür­ger­rat beauf­tra­gen. In Mal­chin waren dies der Bür­ger­meis­ter und die Stadtverter:innen. Ein sol­cher poli­ti­scher Beschluss ist aus unse­rer Sicht sehr wich­tig, damit die Emp­feh­lun­gen spä­ter auch ernst­ge­nom­men und - soweit als mög­lich - berück­sich­tigt wer­den bzw. die Bürger:innen eine detail­lier­te Rück­mel­dung bekom­men, war­um bestimm­te Emp­feh­lun­gen even­tu­ell auch nicht umge­setzt wer­den können.

Per Los­ver­fah­ren in einen Rat beru­fen zu wer­den, um sich in grö­ße­rer Run­de poli­tisch aus­ein­an­der­zu­set­zen – das liegt viel­leicht nicht jedem Men­schen oder kann auch nicht von allen geleis­tet wer­den. Wie hast Du selbst vor Ort die Ath­mo­sphä­re in den Bür­ger­rä­ten erlebt und wie sind die Ein­ge­la­de­nen mit ihrer Beru­fung umgegangen?

Nor­ma­ler­wei­se geht man davon aus, dass min­des­tens zehn mal so vie­le Ein­la­dun­gen ver­schickt wer­den müs­sen, wie Men­schen an einem Bür­ger­rat teil­neh­men sol­len, um wirk­lich eine reprä­sen­ta­ti­ve Mischung zu haben. In Mal­chin hat­te die Stadt beschlos­sen, nur 65 Per­so­nen anzu­schrei­ben und dem auf­su­chen­den Los­ver­fah­ren zu fol­gen. Das heißt, dass man noch mal zu den­je­ni­gen hin­geht, die sich auf die Ein­la­dung nicht zurück­mel­den, und sie fragt, was die Grün­de sind, war­um sie nicht kom­men und ob man da even­tu­ell unter­stüt­zen kann, zum Bei­spiel durch Kin­der­be­treu­ung. Wir haben in Mal­chin erlebt, dass jun­ge Frau­en nicht gut ver­tre­ten waren, was sicher­lich mit der fest­ge­leg­ten Uhr­zeit zu tun hat­te, aber viel­leicht auch damit, dass vie­le von ihnen ein­fach kei­ne Zeit in ihrem All­tag für eine sol­che Form der Betei­li­gung finden.

Trotz­dem hat­ten wir eine recht gut gemisch­te Grup­pe, die ein­an­der doch recht offen ent­ge­gen­ge­tre­ten sind. Und natür­lich haben wir von Anfang an dar­auf geach­tet, den Ein­la­dungs­text und auch alles ande­re so ein­fach wie mög­lich zu for­mu­lie­ren, so dass nie­mand allein schon durch eine unnö­ti­ge sprach­li­che Kom­ple­xi­tät aus­ge­schlos­sen wird. Ich wür­de sagen, das ist uns auch ganz gut gelun­gen. Uns ist aller­dings auf­ge­fal­len, wie lan­ge es gedau­ert hat, bis die Teilnehmer:innen genug Ver­trau­en hat­ten, sich auch in der grö­ße­ren Grup­pe mit einer nicht von allen geteil­ten Mei­nung her­vor­zu­wa­gen. Aber genau dar­um geht es ja auch, viel­leicht ins­be­son­de­re in den öst­li­chen Bun­des­län­dern, dass Men­schen ermu­tigt wer­den, öffent­lich zu spre­chen, sich einzubringen.

Bei Wah­len und Volks­ent­schei­den haben sich bestimm­te sinn­vol­le Abläu­fe eta­bliert und bewährt. Wie ist es bei der rela­tiv neu­en For­mat Bür­ger­rat- gibt es dafür schon fest­ste­hen­de Werk­zeug­käs­ten oder sind die Metho­den noch in der Erprobung?

Das For­mat Bür­ger­rat wird seit mehr als 10 Jah­ren erprobt und hat schon eine gan­ze Rei­he von defi­nier­ten for­ma­len Abläu­fen und Regeln. Aber letzt­lich ist natür­lich auch die­ses For­mat ein ler­nen­des Sys­tem und wird immer wie­der nach­ge­bes­sert. Momen­tan ist wahr­schein­lich die drän­gends­te Fra­ge, wie es gelingt, das, was die Bürger:innen erar­bei­tet und in ihren Emp­feh­lun­gen fest­ge­hal­ten haben, auch in die poli­ti­sche Umset­zung zu brin­gen. Ein Pro­jekt von Mehr Demo­kra­tie e.V., in dem es expli­zit um Bür­ger­rä­te zum The­ma Kli­ma­schutz geht, ver­bin­det daher jetzt den poli­ti­schen Beschluss für einen Bür­ger­rat mit einem Beschluss für einen Bür­ger­ent­scheid, der dann qua­si als Rea­li­tätscheck funk­tio­nie­ren soll.

Kri­ti­sche Stim­men sehen die Bür­ger­rä­te auch als „Ali­bi­ver­an­stal­tung“, wo man mit gelenk­ten par­ti­zi­pa­ti­ven Set­tings Mei­nun­gen erfor­schen, Zustim­mung erzeu­gen und For­de­run­gen nach mehr direk­ter Demo­kra­tie befrie­den möch­te. Was wür­dest Du dar­auf ant­wor­ten wollen?

Bei einem gut gemach­ten Bür­ger­rat wird nichts gelenkt. Es gibt eine Fra­ge­stel­lung, die Bürger:innen bekom­men einen Ein­blick in die nöti­gen Infor­ma­tio­nen und auch Per­spek­ti­ven auf die­se Fra­ge und dann dis­ku­tie­ren sie unter­ein­an­der. Daher sehe ich auch nicht, inwie­weit hier Zustim­mung erzeugt wird. Dann wäre die Her­aus­for­de­rung bezüg­lich der Umset­zung der Emp­feh­lun­gen, die aus mei­ner Sicht einer der stich­hal­tigs­ten Kri­tik­punk­te ist, ja hin­fäl­lig. Grund­sätz­lich wür­de ich sagen: Solan­ge man von Bür­ger­rä­ten kei­ne Revo­lu­ti­on erwar­tet, sind sie ein pro­duk­ti­ver Ver­such, die offen­sicht­li­che Lücke zwi­schen Politiker:innen und Bürger:innen etwas zu ver­klei­nern. Oder anders gesagt: Ich sehe es als eine Chan­ce, neue Räu­me zu eröff­nen, in denen das Gemein­wohl eine zen­tra­le Rol­le spielt.

Da wer­den ganz klei­ne Schrit­te gegan­gen, wenn Men­schen anfan­gen, sich zu inter­es­sie­ren und dann viel­leicht auch für die von ihnen erar­bei­te­ten Emp­feh­lun­gen ein­zu­set­zen. Aus mei­ner Sicht ist es ein For­mat oder auch Instru­ment, mit dem man die­je­ni­gen errei­chen kann, die sonst wenig sicht­bar und hör­bar sind, weil sie sich weder in einer Bür­ger­initia­ti­ve noch in poli­ti­schen Grup­pie­run­gen enga­gie­ren. Das ist auf jeden Fall eine wert­vol­le Berei­che­rung, für den Ein­zel­nen wie auch für die Kom­mu­ne oder den Land­kreis - wer auch immer einen Bür­ger­rat in Auf­trag gibt.


Auch wenn es mitt­ler­wei­le schon mehr als 100 Bür­ger­rä­te in Deutsch­land gab, sind sie noch poli­ti­sches Neu­land. Könn­ten und soll­ten sie eines Tages genau so selbst­ver­ständ­lich sein wie Wahlen?

Bür­ger­be­tei­li­gung soll­te genau­so selbst­ver­ständ­lich sein, ja, und gleich­zei­tig natür­lich fle­xi­bel ein­ge­setzt wer­den. Ein Bür­ger­rat ist nicht für jede Fra­ge und jedes Anlie­gen die geeig­ne­te Betei­li­gungs­form. Aber Bürger:innen stär­ker ein­zu­be­zie­hen und ihnen eine gro­ße Kom­pe­tenz, nicht nur für ihre eige­nen Belan­ge, son­dern auch für das Gemein­wohl zuzu­trau­en - das soll­te selbst­ver­ständ­lich sein.

 

Foto: Rüdi­ger Disselsberger

 

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