Am Abend des 30. August (dem ersten und einzigen Regenabend dieses Sommers) fand im Händelhaus der „Bürgerdialog zur Zukunft Europas in einer Welt im Umbruch“ statt. Slogan der Veranstaltung war „Und jetzt, Europa? Wir müssen reden!“ Organisatoren waren die Europa-Union Deutschland und das Informationsnetzwerk Europe Direct in Sachsen-Anhalt.
Rund 50 Menschen, darunter viele Studenten, waren in den Konzertsaal des Händelhauses gekommen, um über das Heute und Morgen mit Europa-Fachleuten zu diskutieren. Diese Diskussion fand in zwei parallelen Themenräumen statt: Einem zum Thema Europas Rolle in der Welt: Werte, Außenpolitik, Sicherheit, Migration und einem zweiten zum Thema Wirtschaft und Soziales: Arbeit, Binnenmarkt, Verbraucher- und Sozialstandards.
Wer oder was ist denn diese EU?
Vor der Diskussion in den Themenräumen gab es eine Einführungsrunde mit Richard Kühnel, dem Vertreter der EU-Kommission in Deutschland. Ja, die Bürger wüssten zu wenig über Europa, meinte er. Er erzählte ein einschlägiges Anekdötchen, nach dem viele Bürger des United Kingdom nach ihrer Entscheidung für den Brexit erst einmal gegoogelt hätten, was denn diese EU eigentlich sei und wolle. Die EU habe eine hier Informations-Bringeschuld gegenüber ihren Bürgern.
Reden können wir gut
Wer bedrückt von den endlosen Streitigkeiten über die europäische Seenotrettung oder den Tendenzen zum Rechtspopulismus zweifelnd im Themenraum 1 saß, bekam erst einmal einen Rettungsring zugeworfen: Das Bild Europas sei zu negativ, war vom Podium zu hören. Auf diesem standen Richard Kühnel, Arne Lietz, Mitglied des Europäischen Parlaments und Valerio Morelli, Referent der Europa-Abteilung im Auswärtigen Amt, Moderatorin war die Hauptstadt-Korrespondentin des MDR, Vera Wolfskämpf. Europa sei RELEVANT in Sachen Wirtschaft, in Sachen Werte, leider noch nicht in Sachen Verteidigung, aber das werde sich bald ändern. Nach der realen Bedrohungssituation gefragt, meinte Arne Lietz, eine solche könne jederzeit eintreten, man wisse nie.
Ein wichtiges Thema war die zunehmende Renationalisierung und Abschottung in der EU selbst. Warum diese Tendenz sich so verstärkt habe? Das sei ein weites Feld, war zu hören, angeboten wurden (mehr oder weniger plausible) Deutungen. Eine beunruhigende (wenngleich nicht neue) kam von Valerio Morelli: Er zog den Vergleich zu den Jahren nach der Großen Depression/der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: auf Phasen der Verarmung und Verunsicherung folgten Tendenzen zu Rechtspopulismus und Nationalismus.
Migration oder Mehr Geduld miteinander
Die Aufnahme von Flüchtlingen sei (leider) Ländersache, der europäischen Kommission stünden hier keine Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zur Frage, ob es bei Aufnahme-Verweigerern wie Ungarn sinnvoll sei, finanzielle „Daumenschrauben“ anzulegen, wurden gegensätzliche Meinungen geäußert. Auch andere Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Mitgliedern wurden diskutiert. Dass sich einzelne nicht an den beim Beitritt akzeptierten Wertekodex halten wollten, gar die Regeln der Rechtsstaatlichkeit in Frage stellten, nehme die europäische Kommission, wie man wisse, nicht hin. Ein Diskutant aus dem Publikum meinte, dass man Staaten, die wie die ehemaligen Ostblock-Staaten Diktatur-Erfahrungen gemacht hätten, mehr Zeit geben solle, sich an veränderte Bedingungen und Regeln zu gewöhnen. Schließlich kehrte die Diskussion zum Thema Migration zurück. Ein junger Mann aus Syrien meinte, die EU solle Geld für den Wiederaufbau des Landes geben. Werde man tun, hieß es vom Podium. Ja, und die Fluchtursachen müsse man in Afrika bekämpfen, kam es aus dem Publikum ... Ja natürlich, wurde oben genickt, wolle man auch tun.
Zu Hause in der Blase
Das alles war sicher ausgeleuchtet und plausibel. Erste sich leise einstellende Zweifel galten der Sprache. Es waren oft genug durch vieles Wiederholgen glatt gewordene Sätze: Europa-Sprech. Man beleuchtete sich und die eigenen guten Absichten mit Erfolg. Wenn es Probleme gab, dann waren die verursacht durch die mangelnde Kooperationsbereitschaft (oder auch Einsicht) anderer Nachbarn im Hause Europa, die USA (D. Trump) oder andere. Das Unheil der Welt, in dem das Schiffchen Europa steuert, kam nicht vor. Kein Wort über exponentielles Bevölkerungswachstum, über kaum gebremste Erderwärmung, Ressourcenknappheit, Plastikvermüllung, gefüllte Waffenarsenale etc.
Wir sind ein Kontinent der Regeln. Regeln gut - alles gut - Zukunft gut. Als wären unsere Regeln magische Formeln, die die Welt bessern könnten. Sind sie aber nicht.
Eine Beteiligung am Bürgerdialog ist auch online möglich unter: www.eud-buergerdialoge.de.