In der Nacht zum 11. Mai warfen Aktivist:innen Farbbeutel und besprühten den Eingang des Frauenzentrums Weiberwirtschaft / Dornrosa e.V. Der Anschlag ist keine harmlose Meinungsäußerung, er ist ein Fehdehandschuh und offensichtlich die Androhung von Gewalt gegen einen Ort, der u.a. auch als SafeSpace für alle Frauen wirkt. Eine Stellungnahme.
Der Vorwurf 'Transfeindlichkeit' ist nicht neu und auch nicht originell. Die Debatte schwelgt seit vielen Jahren und wird alles andere als offen geführt oder gar debattiert. Dieser Anschlag hat nun aber einen Grad auf der Eskalationsskala erreicht, der einen offenen Diskurs unmöglich macht. Nicht sachliche Argumente und die inhaltliche Auseinandersetzung stehen im Vordergrund; wer einen Farbbeutel wirft, spitzt den Konflikt auf die Äußerung zu: „Wir sind im Recht, ihr nicht.“
Frauen mit Gewalterfahrung werden vor einer Tür zurückweichen,
an der offen formulierte Gewalt abzulesen ist
Vorab eine Anekdote: Als ich die Nachricht vom Anschlag bekam, habe ich vielen Freund:innen und Bekannten die Fotos geschickt. Gerade weil ich entsetzt war, weil ich wütend war, weil ich Angst hatte um die Frauen, die im Frauenzentrum arbeiten, sich ehrenamtlich engagieren und / oder einfach nur treffen, und weil ich Angst hatte, um jene Frauen, die sich Hilfe suchend an das Frauenzentrum wenden. Denn gerade Frauen mit Gewalterfahrung werden vor einer Tür zurückweichen, an der offen formulierte Gewalt abzulesen ist, welche sie möglicherweise in ähnlicher oder sich unterscheidender Form selbst erfahren haben ... Die Reaktionen auf meine Nachricht haben mich überrascht. Nur die wenigsten meiner Freund:innen und Bekannten wussten, was der Begriff „TERF“ (Trans-ausschließender radikaler Feminismus) bedeutet und waren irritiert über meine komplexen Erklärungen. Für mich war die einschneidende Erfahrung: Ich erkläre im Grunde abgehobenen Vorwürfe, abgehobene Begriffe, den abgehobenen Anspruch, die Deutungsmacht und Meinungshoheit zu haben ...
Ich bleibe der Idee verpflichtet, dass Menschen, die anders leben, anders sein, anders aussehen und anders verstanden werden wollen, jedweden Respekt verdienen – alle!
Ich frage mich aber wegen des Anschlags, wer erhebt sich mit welchem Recht über Andere und erklärt seine Sichtweise als die allein gültige? Welche Machtphantasien haben Personen, die sich über andere Menschen erheben? Mit welcher Überheblichkeit erheben sie sich mit der Androhung von Gewalt über Menschen, mit denen sie nicht sprechen, nicht diskutieren, die sie nicht verstehen wollen und / oder in die sie sich nicht hineinversetzen wollen?
Was steht hinter dem Vorwurf? – Ein Blick in die Geschichte
Die Frauenbewegung wird in drei Wellen beschrieben. Die Erste Welle von 1848 bis zum Ende der Weimarer Republik meint die Kämpfe für staatsbürgerliche Rechte: Frauenwahlrecht, das Recht auf Bildung und Arbeit. Die Zweite Welle ab den 1960er Jahren steht unter der Forderung Selbstbestimmung, Frauenöffentlichkeit in allen politischen und zivilgesellschaftlichen Räumen: u.a. ging es darum, Gegenöffentlichkeit durch Frauensolidarität zu schaffen und die praktische Bewegungsarbeit zu organisieren. Als herausgehobene Vertreterin gilt Simone de Beauvoir: Das soziale Geschlecht wird konstituiert – im Patriarchat durch den Mann. Die Unterdrückung der Frau ist gesellschaftlich bedingt. Das andere Geschlecht konstituiert sich aus der bipolaren Sichtweise: Mann = aktives Subjekt und Frau = passives Objekt. Zentraler, viel zitierter Satz: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (1951).
Diese Richtung wird heute stark kritisiert von den Anhänger:innen der Dritten Welle. Ihre bekannteste Vertreterin ist Judith Butler. Ihr Buch „Das Unbehaben der Geschlechter“ (Gender Trouble, 1990) bildet den Aufschlag. Ihr Ansatz stellt sexuelle Identität(en) in den Fokus. Identitäten würden innerhalb struktureller Dimensionen des Sozialen, Politischen und Kulturellen konstituiert und es gelte sie zu dekonstruieren. Performative Sprechakte beschrieben nicht nur Wirklichkeiten (heteronormative Geschlechterordnungen), sondern besäßen handlungsartige Qualität. Das soll heißen: Sprechakte konstituieren sozialen Tatsachen. Die Annahme ist, dass Begriffe handeln können. Trennende – ethnische, kulturelle, klassenspezifische u. a. – Differenzen würden marginalisiert und übersehen, was ein binäres (patriarchales) System der Geschlechterbeziehungen festige.
Die Debatte ist derweil von gegenseitiger Ablehnung gekennzeichnet. Harsch und unnachgiebig ist der Ton geworden.
Auf der einen Seite habe ich hier stark verkürzt. Auf der anderen Seite weiß ich darum, dass sowohl die theoretischen Texte als auch die Debatten schwer zu verstehen sind. Ich bin nicht die einzige, die sich Fragen stellt: Ist die Idee dahinter verständlich? Wer begreift diesen ach so akademischen Slang? Ich kritisiere, dass es sich bei dieser Theorie um einen sehr theoretisierenden Ansatz handelt. Aus der Praxis kann ich sagen, dass uns blinder Aktionismus nur bedingt dabei hilft, gesellschaftliche Umstände und Bedingungen zu verändern.
Die Zweite und die Dritte Welle des Feminismus grenzen sich heute scharf ab. Die Debatte ist derweil von gegenseitiger Ablehnung gekennzeichnet. Harsch und unnachgiebig ist der Ton geworden. Der so genannte Differenzfeminismus und der queer-feministische Ansatz unterscheiden sich in der Frage, ob Frauenpolitik zu machen sei oder ob Geschlechterpolitik die bessere, weil alle Geschlechter(-identitäten) einschließende Methode ist. Darüber lässt sich trefflich streiten – im Sinne von Austausch, miteinander diskutieren.
Wer darf definieren?
In den letzten Jahren hat sich die Fragestellung dahin verschoben, dass die Meinungspluralität eingeschränkt wird zugunsten von einzelnen Gruppen oder Personen, die von sich behaupten, stets die ‚richtigen’ Worte zu wählen, Schutzräume zu achten und damit so gar nicht diskriminierend zu sein. Auch die Kritiker:innen formulieren harsch: Sprachpolizei oder Gedankenpolizei. Über den Wunsch nach strikter Trennung beziehungsweise das Bedürfnis, sich einer gesellschaftlich konstruierten Gruppe – Frauen, Transfrauen, Lesben etc. – zugehörig fühlen zu wollen, stellt sich die widersprüchliche Frage gar nicht mehr: Wer darf definieren? Ja, es gibt Transfeindlichkeit. Transfrauen, die sich beim Dornrosa engagieren, berichten uns von einer Zunahme verbaler und körperlicher Übergriffe. Kritik daran ist notwendig und sinnvoll. Aber wer urteilt darüber? Mit welchem Ziel?
Wofür steht das Frauenzentrum und der Verein Dornrosa?
Das größte Projekt des Trägervereins Dornrosa ist das „Frauenzentrum Weiberwirtschaft“. Der klar definierte Auftrag: für die Belange und Interessen von Frauen und Mädchen in Halle (Saale) einzutreten. Das Frauenzentrum bietet als soziokulturelles Zentrum im Süden von Sachsen-Anhalt und in der Stadt Halle (Saale) Räume für Gruppentreffen und Veranstaltungen, eine Kunstgalerie und eine Mädchen-und Frauenbibliothek. Ein weiteres großes Projekt ist „LiebensWERTe LebensWEISen“. Mit diesem Projekt setzen sich der Verein und viele Engagierte seit 1997 für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Trans- und Intersexuellen (LSBTTI) ein und wenden sich mit dem Projekt gegen Diskriminierung, Homo- und Transphobie, um Akzeptanz und Toleranz zu fördern.
Was ist passiert? – Eine Sichtweise
Die Gruppe Artemis hat am 6. Mai 2022 zu einer Diskussion und einem Vortrag von Naida Pintul im Frauenzentrum Weiberwirtschaft eingeladen. Schon in den ersten zwei einleitenden Minuten wird deutlich, worum es geht: Bestimmte Positionen zu kontroversen Themen (Kopftuch, Islam etc.) werden gar nicht mehr gehört. Gegenpositionen gar nicht mehr diskutiert, die Argumente aus der Diskussion gestrichen. Problematisch ist die Radikalität, mit welcher einzelne Personen oder Gruppen diffamiert werden. Die einzig relevante Frage: Entweder bist du für oder gegen uns. Die einzig zugelassene Antwort: Wer gegen uns ist, spielt nicht mehr mit. Die Spitze des Eisbergs: Diskussionsangebote werden abgelehnt, Referent:innen ausgeladen, Anschläge verübt. Diese Haltung beschäftigt den Vorstand und die aktiven Ehrenamtlichen des Dornrosa seit geraumer Zeit. Deshalb hat der Vorstand im November 2021 einen „Aufruf zum Dialog und sachlichen Austausch“ gestartet. Wir haben das getan, weil wir dem Vorwurf, transfeindlich zu sein, ausgesetzt waren. In einem Interview mit Radio Corax vom 6.2.2021 wollten wir klarstellen, dass wir vielen feministischen Richtungen und Meinungen Raum und Ort geben.
Problematisch ist die Radikalität,
mit welcher einzelne Personen oder Gruppen diffamiert werden
Wir haben erklärt: „als Institution verweigern wir uns jedem Stempel einer vermeintlich politischen Ausrichtung. Als einzelne Personen haben wir unsere diversen Meinungen, und diese Pluralität wollen wir uns erhalten! Eine unserer zentralsten Aufgaben ist, Themen der aktuellen politischen Debatte oder zu Alltagsfragen aufzunehmen und breit zu diskutieren. Wir verwehren uns einem Stellungs- und Positionierungskampf, der weder zum Dialog, zum sachlichen Austausch von Argumenten noch zur Debatte beiträgt. [...]
Wir stützen eine plurale Debattenkultur. Wir verweigern uns unbegründeten Vorwürfen, insbesondere, wenn diese nicht in persönlichen Gesprächen geäußert werden, sondern über digitale Kommunikationswege, unpersönlich, über Dritte gestreut und ohne Angabe von Begründungen vorgetragen werden.“
Mit diesem Anschlag ist der Vorwurf beziehungsweise die Beschimpfung TERF bzw. Transfeindlichkeit aber zu einem direkten Angriff geworden. Einschüchterung und angedrohte Gewalt gegen Frauen, die sich für Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Vielfalt und Solidarität einsetzen. Bei der Arbeit im Gewaltschutz- und im Diskriminierungsbereich geht es um Schutzräume. Diese sollen der Selbstvergewisserung dienen. Das ist gut so. Sie sind aber kein Selbstzweck und es bedarf irgendwann der Öffnung nach außen, damit gemeinsamer Dialog und gemeinsame Kämpfe um gleiche Rechte für alle geführt werden können. Im eigenen Saft schmoren oder in der eigenen Bubble bleiben, verändert Gesellschaft nicht und schafft keine Akzeptanz. Als soziokulturelles Frauenzentrum bemühen wir uns, diese Save Spaces zu ermöglichen. Aber wir haben genauso einen gesamtgesellschaftlichen – der Gemeinschaft zu nutzen – Auftrag. Wir sind ein Ort des Austausches, der Bildungs- und Kulturangebote, der Information und der Hilfe zur Selbsthilfe. Gewaltandrohung und Machtphantasien, die ein Gehorchen oder Verschwinden/ Weichen fordern, sind selbst ausschließend und autoritär. Sie widersprechen unserem Vereinsziel und unseren persönlichen Haltungen.
Was wir wollen
Der Dornrosa e.V. / das Frauenzentrum Weiberwirtschaft steht zum Motto „Mitmachen – Einmischen – Engagieren“. Wir halten einen Ort vor, an welchem Frauen und Mädchen sich empowern, vernetzen und engagieren, sich gesellschaftlich, sozial oder politisch einmischen können. Mit unserer Arbeit werden wir auch weiterhin vielen feministischen Richtungen und Meinungen einen Ort geben – Ausschlüsse und Meinungshoheiten schwächen feministisch verstandene soziokulturelle, kulturelle und soziale Arbeit. Die Vorstellung, dass eine bestimmte Gruppe Meinungen, Vorstellungen und Positionen kontrollieren, diktieren und verbieten, widersprechen wir entschieden. Diskussion, Austausch und gegenseitiger Respekt gegenüber vielfältigen Meinungen und Haltungen sind die Basis für ein demokratisches und partizipatives Zusammenleben. Denn solange noch Ungleichheit von Frauen und Mädchen in der Welt herrscht, Frauen und Mädchen weltweit benachteiligt und unterdrückt werden, haben wir einen gemeinsamen Kampf.
Eine gleichberechtigte Welt, in der alle Menschen – egal welches Geschlecht, welche Herkunft, welche Schicht oder Klasse – ihre Rechte wahrnehmen können, erreichen wir nur, wenn wir uns zuhören, unterschiedliche Meinungen respektieren und uns eben
nicht gegenseitig Gewalt androhen.
Nicole Thies für den Dornrosa e.V.
naida pintul sagt, transfrauen seien männer und transmänner grauen. das ist transfeindlich. warum ladet ihr sie ein? sie ist fast ausschließlich wegen ihrer transfeindlichkeit bekannt, bezeichnet sich selbst als anti trans aktivistin.
und ob ihr es glaubt oder nicht, viele transfrauen sind lesbisch und hassen die patriarchale frauenrolle.
es gibt wohl auch kaum jüngere feminist*innen, die lust auf einen raum ohne trans männer und nonbinäre haben. entweder ihr reformiert euch oder ihr seid bald im gleichen abseits wie die berliner "begine" und die ehemals feministische "emma".
wie würdet ihr es finden, wenn jemand permanent behauptet daß ihr männer seid?