„Kul­tur muss gewollt sein.“ Jörg Dagen­bach zum Ende der 'Schor­re'

In Herbst kam die Nach­richt, dass die 'Schor­re' von ihren Eigen­tü­mern geschlos­sen und kom­plett abge­ris­sen wer­den wird, um auf dem Bau­grund ein Alters­heim zu errich­ten. Nun steht der Abriss kurz bevor. Hal­les SPD wird mit anschau­en müs­sen, wie das Tra­di­ti­ons­haus, in dem die Par­tei sich 1890 ihren Namen gab, von Inves­to­ren auf den Schutt­hau­fen der Geschich­te beför­dert wird. Wir spra­chen mit Jörg Dagen­bach über sei­ne Jah­re als Lei­ter des ehe­ma­li­gen "Jugend­klub­haus Phil­ipp Mül­ler" von 1986 bis 1992 und befrag­ten Ihn zur Lage der Livekultur.

Wie haben sie die Nach­richt vom Ende der Schor­re aufgenommen?

Dass die Schor­re abge­ris­sen wer­den soll, war ja schon seit 2018 im Gespräch. Ich erfuhr es damals durch einen Arti­kel in der MZ von Stef­fen Könau. Damals wie heu­te macht es mich fas­sungs­los und sogar wütend.

Ver­an­stal­tungs­or­te kön­nen einen fes­ten Platz im Leben von Men­schen ein­neh­men – und wie im Fal­le der Schor­re – auch zu Legen­den wer­den. Was macht aus Ihrer Sicht die Beson­der­heit die­ses Ortes aus ?

Genera­tio­nen von Hal­len­sern und Leu­ten, die nur zeit­wei­se in Hal­le waren, haben in die­sem Haus getanzt, gefei­ert, gerockt, den Blues bekom­men, dem Jazz gefrönt, Reden gehört, Thea­ter gemacht und erlebt, sich in ver­schie­dens­ten künst­le­ri­schen Spar­ten selbst pro­biert, Fil­me und Aus­stel­lun­gen gese­hen, sich ver­liebt und getrennt, gekloppt oder Freund­schaf­ten geschlos­sen. Ja und zu DDR-Zei­ten war es auch oft „gegen den Strich gebürs­tet“. Aber das Haus war nie abge­ho­ben oder eli­tär. Es war offen für ein brei­tes Publi­kum und nie nur für eine spe­zi­el­le Schicht.

© Stef­fen Könau

Mit der Wen­de kam die kul­tu­rel­le Frei­heit, aber auch der kapi­ta­lis­ti­sche Markt. Das war für vie­le Kul­tur­häu­ser das Aus. Wie hat es die Schor­re damals geschafft, zu überleben?

Die Schor­re war fit für alles, was kom­men soll­te, weil wir den Laden 1986 bis 1988 schon umge­baut hat­ten. Auch waren wir schon seit 1988 finan­zi­ell unab­hän­gig von der Stadt, was ich per­sön­lich und als bei­spiel­haf­tes Modell auch für ande­re DDR-Kul­tur­häu­ser durch­set­zen konn­te. Wir hat­ten ein eige­nes Kon­to, auf das alle Ein­nah­men gin­gen und von dem wir alle Aus­ga­ben täti­gen konn­ten. Nur dadurch konn­ten wir dann all die Bands und Künst­ler buchen und gal­ten tat­säch­lich als ers­te Adres­se im Osten – mit einem ein­zig­ar­ti­gen Sta­tus als „noch“ - DDR-Kulturhaus.

Was war eigent­lich Ihr per­sön­li­ches Ver­an­stal­tungs-High­light in Ihrer Zeit als Clubchef?

Jetzt erwar­ten sicher vie­le, dass es der Abend war, an dem NIRVANA auf der Büh­ne stan­den. Der war es aber nicht, jeden­falls nicht im musi­ka­li­schen oder künst­le­ri­schen Sin­ne. Im August 1991 kann­te nie­mand die­se Band. Sie spiel­ten als Vor­pro­gramm von Sonic Youth und waren wirk­lich schlecht an die­sem Abend. Mein kur­zes Gespräch mit Kurt Cobain danach war dann jedoch etwas Beson­de­res. Er ärger­te sich über das igno­ran­te Publi­kum und wur­de rich­tig sau­er, als ich ihm ant­wor­te­te, dass auch an ihrem mie­sen Gig lag. Etwas trot­zig sag­te er dann mehr­mals „Ihr wer­det sehen, im Novem­ber sind wir die Num­mer Eins in der Welt.“ , was ich ihm natür­lich nicht glaub­te. Der Typ von Gef­fen Records, bei denen NIRVANA unter Ver­trag waren, zeig­te mir dann das Mar­ke­ting-Kon­zept für die Band. Dort war zu lesen, dass das Video zu „Smells like teen spi­rit“ in die A-Rota­ti­on bei MTV kom­men soll­te, die Sin­gle dann geplant Ende Sep­tem­ber und das Album „Never­mind“ im Novem­ber 1991 auf Platz 1 vie­ler Charts in der Welt ste­hen wür­de. Tja und so kam es dann ja auch…

NIRVANA also nicht – wer oder was dann?

Für mich war es der Abend, an dem wir 1988 nach dem fast zweiäh­ri­gem Umbau das Haus wie­der eröff­nen konn­ten. Heu­te kann sich das kei­ner vor­stel­len, was die­ser Umbau für ein Kampf war. Wir haben das Haus völ­lig umge­krem­pelt, das ver­fal­le­ne Haus hin­ter der Schor­re mit ihr ver­bun­den, Büros und Gar­de­ro­ben dar­in ein­ge­rich­tet, eine Ram­pe für LKWs als Anfahrt zur Büh­ne gebaut, ein Stark­strom­ka­bel unter der Stra­ße ver­legt, Tech­nik besorgt und ein­ge­baut, die es in der DDR-Man­gel­wirt­schaft eigent­lich gar nicht gab und mit Künst­lern aus Hal­le die Räu­me gestal­tet. Es gab nicht vie­le, die geglaubt haben, dass wir das schaf­fen wür­den und man hat uns teil­wei­se für ver­rückt erklärt. Des­halb war die Wie­der­eröff­nung ein ech­ter Höhepunkt.

© Stef­fen Könau

Die Betrei­ber der Schor­re kri­ti­sier­ten die Stadt Hal­le, weil sie dem Antrag auf „Umnut­zung“ des Grund­stücks­eig­ners statt­gab. Hät­te der Abriss durch ein Nein lang­fris­tig ver­hin­dert wer­den kön­nen oder bekom­men Ihrer Erfah­rung nach Inves­to­ren heut­zu­ta­ge immer das was sie wollen?

Ich den­ke, dass nicht die Inves­to­ren das Pro­blem sind. Die wol­len maxi­ma­le Ren­di­te für ihr Geld und das ist ihr Recht. Als die Stadt die Immo­bi­lie an Herr Vleu­gels ver­kauf­te, wur­de nicht dar­auf geach­tet, eine Zweck­bin­dung im Kauf­ver­trag zu ver­ein­ba­ren, der eine Umnut­zung aus­ge­schlos­sen hät­te. Die Fra­ge ist, ob die ver­ant­wort­li­chen Leu­te der Stadt dies absicht­lich nicht taten oder ob selbst die es sich nicht vor­stel­len konn­ten, dass jemand das Haus nicht für kul­tu­rel­le Zwe­cke nutzt oder es sogar abreißt. Aller­dings hat­ten schon 1991 eini­ge der neu­en Leu­te in der Stadt­ver­wal­tung vor, das Haus zu schlie­ßen. Als ich im Früh­jahr 1991 das Kon­zept für die EASY-Schor­re vor­leg­te und den Pacht­ver­trag dafür aus­han­del­te, waren vie­le in der Stadt­ver­wal­tung froh, dass man die Schor­re los war. Ich habe den Ein­druck, dass es bis heu­te so ist. Das ist erschre­ckend. Des­halb gibt es auch kei­nen Ver­such, die Immo­bi­lie zurück­zu­kau­fen oder Leu­te zu unter­stüt­zen, die es tun wür­den, um die Schor­re als Ver­an­stal­tungs­haus zu erhalten.

Die Live­kul­tur hat seit zwei Jah­ren ihre viel­leicht größ­te Her­aus­for­de­rung seit dem letz­ten Welt­krieg zu über­ste­hen. Wie bli­cken Sie seit Coro­na auf die Veranstaltungsbranche ?

Coro­na hat die Kul­tur-Bran­che nach­hal­tig ver­än­dert. Vie­le Ein­rich­tun­gen, Künst­ler, Tech­ni­ker, Büh­nen­bau­er, Secu­ri­ty-Leu­te, Gas­tro­no­men, Cate­rer usw. haben den Kampf ver­lo­ren, muss­ten auf­ge­ben. Vie­le aus der Bran­che haben sich ande­re Jobs gesucht und wer­den nicht zurück­kom­men. Und auch das Ver­hal­ten des Publi­kums hat sich verändert.
War­um soll ich ein teu­res Ticket für ein Kon­zert kau­fen, wenn ich es eini­ge Tage spä­ter strea­men kann? Ich befürch­te, die­ser Pro­zess hat sich durch Coro­na beschleu­nigt. Ich bin aber opti­mis­tisch. Kunst ent­steht durch Krea­ti­vi­tät. Des­halb wird sie auch immer einen Weg zum Publi­kum fin­den und dadurch am Leben bleiben.

Und was könn­ten die Kom­mu­nen für eine leben­di­ge Live­kul­tur tun?

Uni­ver­sel­le Rezep­te gibt es wahr­schein­lich nicht. Es kommt immer auf die Akteu­re an, die in einer Kom­mu­ne vor­han­den sind, deren finan­zi­el­le Vor­aus­set­zun­gen und auch die Gebäu­de­sub­stanz. Bewährt haben sich grö­ße­re Area­le oder Gebäu­de-Kom­ple­xe, die ver­schie­de­ne Kunst- und Kul­tur­gat­tun­gen und Ange­bo­te mit unter­schied­li­chen Betrei­ber­for­men (kom­mer­zi­ell, Ver­eins-geführt, kom­mu­nal getra­gen, tem­po­rär geför­dert u.a.m.) beher­ber­gen. Ein bekann­tes Bei­spiel ist die Kul­tur­braue­rei im Prenz­lau­er Berg in Ber­lin. Auch eine Stadt wie Frank­furt (Oder) hat so etwas, natür­lich viel klei­ner – die Gers­ten­ber­ger Höfe. Das alles muss gewollt sein. Ohne loka­le Poli­ti­ker mit Inter­es­se kul­tu­rel­le Ange­bo­te zu erhal­ten und auch neue zu schaf­fen, geht es nicht. Aber die wäh­len WIR ja schließlich.

 

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