Die Autorin Marlen Hobrack wurde 1986 in Bautzen geboren. Sie studierte Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften und arbeitete im Anschluss für eine Unternehmensberatung. Seit 2016 schreibt sie hauptberuflich für diverse Zeitungen und Magazine, u. a. FREITAG, TAZ, ZEIT, WELT und MONOPOL. Mir ist sie durch die Lektüre ihrer Kolumne mutti politics im Freitag aufgefallen. Sie betrachtet darin Mutterschaft jenseits der gängigen bürgerlichen Klischees. Auch in ihrem 2022 bei Hanser Berlin erschienenen Buch "Klassenbeste" wählt sie einen persönlichen Ansatz.
Anhand der Biografie ihrer Mutter und eigener Erfahrungen zeigt Hobrack auf,,dass Identitätspolitik und Klassenfrage zusammen gedacht werden müssen“. Sie meint, dass es keine Haupt-und Nebenkonflikte in unserer spätkapitalistischen neoliberalen Gesellschaft gibt.
Hobrack beschäftigt sich mit der Klassenproblematik in der DDR. Auch hier wurde auf Angehörige der Unterschicht herabgeblickt. Ihrer Mutter gelingt es dennoch, sich hochzuarbeiten. Im vereinigten Deutschland wird sie sogar verbeamtet. Doch „Herkunft klebt wie Scheiße am Schuh“, so die Autorin. Es gebe auch bei Aufsteigerinnen noch die „unsichtbaren Zeichen“ der Vergangenheit. Es mache etwas mit dem Körper, dem Mindsetting von Menschen, wenn sie in Armut aufwachsen.
Hobrack beschreibt ihren eigenen steinigen Weg als hochbegabtes Kind aus einem bildungsfernen Elternhaus. Sie setzt sich dabei mit den Ungerechtigkeiten unseres Schulsystems sowie dem Dünkel von Lehrkräften und Psychologen auseinander. Oftmals wird den Kindern aus der Unterschicht, zu der auch migrantische Milieus gehören, wenig Verständnis entgegengebracht.
Einen breiten Raum nimmt auch Hobracks Auseinandersetzung mit der Identitätspolitik ein. Sie plädiert dafür, Identität nicht losgelöst von der Klassenproblematik zu betrachten und empfiehlt dafür die Literatur der US amerikanischen farbigen Professorin bell hooks. Diese sieht den Zusammenhang zwischen Klassen- und Geschlechterfrage sowie Klassen- und Rassenproblematik. Dabei formuliere hooks ihre Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Zuständen so, dass sie für breite Bevölkerungsschichten verständlich werde. Sie verzichte auf die Sprache der Identitätspolitik, die sie in wissenschaftlichen Diskursen als feministische schwarze Frau durchaus verwende.
Identitätspolitik werde häufig als eine Art „Stammesdenken“ aufgefasst, äußert Hobrack. Als eine recht große Gruppe von Menschen mit Stammesdenken macht sie die Generation der Ostdeutschen aus, die in der DDR geboren und dort bis ins Erwachsenenalter sozialisiert wurde. Doch auch hier zeigen sich die Klassenunterschiede deutlich. Die ostdeutsche Mitte verwahre sich dagegen als „rechts“ verortet zu werden. Allerdings sind sie diejenigen, denen eine „rohe Bürgerlichkeit“ zugeschrieben werden müsse. (Begriff stammt von W. Heitmeyer) Diese Menschen hätten das Gefühl, dass sie für dasselbe Ergebnis härter arbeiten mussten als andere, zum Beispiel Westdeutsche und Geflüchtete. Sie hätten die neoliberale Leistungslogik so stark verinnerlicht, dass all jene radikal angefeindet werden, die scheinbar keine Leistung erbringen. Deshalb blickten sie mit Verachtung auf die Schwachen und vermeintlichen Sozialschmarotzer. (Denen gönnt man nicht mal die geringfügige Erhöhung des Bürgergeldes, wie die derzeitigen Diskussionen zeigen – Anmerkung S.F.) Interessant ist, dass die rohen Bürgerlichen zumeist über ein gutes Auskommen verfügen und nicht abstiegsgefährdet sind.
Das Fazit von Hobrack ist, dass der Aufstieg in unserer Gesellschaft nur wenigen möglich und im Grunde auch nicht erwünscht ist. Unsere Gesellschaft sei gespalten, weil es eine Kluft zwischen den Lebensformen und Lebenschancen gebe. „Unsere Gesellschaft wird erst dann eine gerechte sein, wenn Klassenunterschiede nicht länger existieren.“ Dies ist der letzte Satz des Buches. Klingt nach Kommunismus. Ein neuer Kommunismus allerdings, der auch die Unterschiede zwischen sexuellen Orientierungen, Mann und Frau, Einheimischer und Zugewanderter, Farbigem und Weißem usw.,usw. aufheben möchte. Der, die, das Mensch soll einfach Mensch sein dürfen und nicht nach seiner Herkunft und seinem Geschlecht beurteilt werden.
Wenn man das konsequent zu Ende denkt, ist auch der Zwist zwischen Religionen und Nationen ausgeräumt. Klingt nach Utopie. Utopien werden gebraucht! Dringend!
Das Buch ist gut lesbar. Die persönlichen Erfahrungen machen es lebendig. Interessante Quellenzitate wecken Lust auf einen tieferen Einstieg in die Problematik von Klasse und Identität. Eine Entdeckung für mich ist bell hooks.
Solveig Feldmeier